Politische Berichte Nr.3/2022 (PDF)02c
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Schweiz: 71,5% stimmen für Frontex

Alfred Küstler, Stuttgart. Am 15. Mai fand in der Schweiz die zweite Runde von Volksabstimmungen in diesem Jahr statt. Bei einer eher mäßigen Wahlbeteiligung von 40 Prozent, stimmten 71,5 Prozent für eine Erhöhung des Beitrags der Schweiz zur europäischen Grenzsicherungsagentur Frontex (künftig 61 Millionen Franken statt 24 Millionen). Die Schweiz nimmt am Schengen-Abkommen der EU teil, das heißt bei allen Maßnahmen rund um Grenzübertritte und -kontrollen verhält sich die Schweiz wie ein EU-Mitgliedsstaat (mit Rechten und Pflichten). Die Volksabstimmung war von linken Kritikern des EU-Grenzregimes Frontex initiiert worden. Sie kritisierten, dass Frontex am illegalen Zurückdrängen von Migranten an den EU-Außengrenzen beteiligt sei. Dazu kam noch, dass der Direktor der Frontex, Fabrice Leggeri, kurz vor der Abstimmung wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste. Von den politischen Parteien der Schweiz hatten die Sozialdemokraten und die Grünen die Initiative gegen Frontex unterstützt. Die Gründe für die erstaunlich hohe Zustimmung sind zusammengesetzt. Die von einigen befürchtete Querfront zwischen der EU-feindlichen nationalistischen SVP und den Linken kam nicht zustande. Die Anhänger der SVP fanden es vermutlich besser, dass die Frontex an den EU-Außengrenzen Migranten abwehrt, statt dass die Schweiz aus Schengen aussteigen und ein eigenes Grenzregime einrichten muss. Für eine breite Mehrheit war die Abstimmung aber auch ein Signal, dass die Schweiz an der EU teilhaben will. Dazu hat der Krieg Russlands gegen die Ukraine beigetragen, die Schweiz hat bislang alle Sanktionen der EU gegen Russland übernommen. Selbst eine engere militärische Zusammenarbeit mit der Nato und der EU wird von der Verteidigungsministerin befürwortet. Vermutlich wollten die Wähler auch ein Signal geben für die schwierigen Verhandlungen, wie es nach den gescheiterten Verhandlungen weiter gehen soll mit den bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU. Und schließlich dürfte einem großen Teil, die keine menschenrechtswidrige Behandlung von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen wollen, eingeleuchtet haben, dass eine Teilnahme der Schweiz an Frontex, finanziell und organisatorisch, eher etwas bewirken kann, als wenn diese Grenzregimes von den nationalen Polizeien und Militärs bestimmt werden. Denn die sogenannten Push-Backs, also das gewaltsame Zurückbringen von Migranten über die Grenze, ist bisher von der Frontex allenfalls gebilligt worden, im Falle Polens gegenüber Belarus war Frontex sogar ausdrücklich unerwünscht. Am Abstimmungssonntag wurden auch die beiden anderen Vorlagen entsprechend den Parlamentsempfehlungen angenommen. Bei der Organspende gilt künftig eine Widerspruchslösung (60,2 Prozent Ja). Bei Filmen müssen auch Streaming-Anbieter künftig mindestens 30 Prozent europäische Produktionen anbieten und vier Prozent ihres Schweizer Umsatzes in der Schweiz investieren (58,4 Prozent Ja). Am 25. September stehen eine Volksinitiative gegen Massentierhaltung sowie Bundesgesetze zur Rentenversicherung und ein Steuergesetz zur Abstimmung.