Politische Berichte Nr.3/2022 (PDF)03
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Sinn Féin gewinnt in Nordirland die Wahlen

Eva Detscher, Karlsruhe. Am 5. Mai 2022 wurde in Nordirland das Regionalparlament gewählt mit einer Wahlbeteiligung von 61,1 % (873.787 abgegebene Stimmen von 1.373.731 Wahlberechtigten, Gesamtbevölkerung 2020: 1.895.510 Einwohner). Von vielen so erwartet, gewann die Sinn Féin das erste Mal die relative Mehrheit.

Die Partei Sinn Féin hat im Wahlkampf vor allem mit ihrem Sozialprogramm gepunktet: günstigere Wohnungen, bessere Gesundheitsversorgung und mehr Arbeitsplätze. Das Programm durchzuziehen, wird eine schwierige Aufgabe. Für eine Regierungsbildung ist im Karfreitagsabkommen von 1998 festgelegt, dass der Premierminister von der stärksten, der stellvertretende Premierminister aber von der stärksten Partei des jeweils anderen politischen Lagers kommen muss. Und die DUP hat nach den Wahlen gleich bekannt gegeben, dass sie sich nicht an der Regierung beteiligen wolle. Gibt es keine Einigung, und die DUP hat sogar die Wahl der Versammlungsleitung blockiert, dann steht eine Verwaltung von London aus auf dem Plan. Zur Erinnerung: 2017, als DUP Wahlgewinnerin und SF die stärkste Partei des „anderen Lagers“ war, blieb Legislative und Exekutive lange arbeitsunfähig, weil es keine Einigung gab. Erst am 9. Januar 2020 (!) wurde in dem Abkommen „New Decade, New Approach“ die Bildung einer neuen Regierung mit Arlene Foster (DUP) und Michelle O‘Neill (SF) sowie unter Beteiligung anderer stärkerer Parteien möglich.Wie es weitergeht, ist ziemlich offen: die Umsetzung des Nordirland-Protokolls ist wie ein Schwelbrand, dauernd und in allen Fragen. Die wirtschaftliche Situation der arbeitenden Menschen in Nordirland ist schlecht, eine wirksame politische Repräsentation ist eher nicht gegeben. Ein Beispiel, wie SF hier etwas tut: diese Woche wird ein Antrag ins Regionalparlament (Sitz im Belfaster Stadtteil Stormont) eingebracht für Sofortmaßnahmen, die sicherstellen sollen, dass alle Kinder im September einen angemessenen Schulplatz erhalten.Florian Weis fasst für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen: „Nach wir vor stimmen jeweils rund 40 Prozent der Wähler:innen für Parteien entlang der starren Lager (irisch-katholisch-nationalistisch bzw. britisch-protestantisch-unionistisch) ab, auch wenn der Anteil gerader jüngerer Wähler:innen langsam steigt, die sich dieser Trennlinie entziehen wollen. Leider gelingt es bis heute nicht, eine linke bzw. eine Arbeiter:innenpartei jenseits der unionistisch-nationalistischen Spaltungslinie zu etablieren. So bleibt SF die hegemoniale Mitte-Links-Partei, die aber zwangsläufig nicht in die protestantische Arbeiter:innenschaft hineinwirken kann.

Trotz der großen Erfolge von SF 2020 (24 Prozent der Stimmen in der Republik Irland) und 2022 (29 Prozent im Norden), die der SF-Führung um Mary Lou McDonald und Michelle O’Neill Hoffnung machen, in den nächsten fünf Jahren ein Referendum („border poll“) über die irische Vereinigung abhalten und gewinnen zu können, ist dies ein eher unwahrscheinliches Szenario: Die Mehrheit der Nordir:innen lehnt derzeit eine irische Vereinigung ab. Der Erfolg von SF im Süden ist auf sozialpolitische Positionen und Proteststimmen zurückzuführen, nicht auf die nationale Frage, und auch im Norden, wo diese eine größere Rolle spielt, versuchte SF, gesundheits- und sozialpolitische Themen stark zu machen.“

FAZ, verschiedene Ausgaben. Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Wahl_zur_Nordirland-Versammlung_2017, RLS: https://www.rosalux.de/news/id/46491/rueckschlag-fuer-boris-johnson-triumph-fuer-sinn-fein

Abb. (PDF): Tabelle. SF: Sinn Féin, DUP: Democratic Unionist Party, SDLP: Social Democratic and Labour Party, UUP: Ulster Unionist Party, APNI: Alliance Party of Northern Ireland, TUV: Traditional Unionist Voice, Green: Green Party Northern Ireland, PBP: People Before Profit, Aontú: Partei, die in der Republik Eire und in Northern Ireland tätig ist (aus Trennung von Sinn Féin hervorgegangen).