Politische Berichte Nr.4/2022 (PDF)02b
Blick auf die Medien

Oberster Gerichtshof der USA vor weiteren verfassungsrechtlichen Entscheidungen

Christoph Cornides, Mannheim. Eine der langzeitigsten Nachwirkungen der Präsidentschaft Trump ist die Besetzung des Obersten Gerichtshofs der USA (Supreme Court) mit konservativen und reaktionären Richtern.

Im Interview mit dem Radiosender NPR spricht die Jura-Professorin Melissa Murray von einer der „extremsten Sitzungsperioden“ in der Geschichte des Gerichtes: „Die Konservativen haben eine ausreichend große Mehrheit, und sie scheinen bereit, Dinge zu überdenken, die wir bereits für geklärt hielten.“ (ARD, Tagesschau vom 11.7.2022) Das gilt für die Gesetzeslage und Rechtsprechung zur Abtreibung, zum Waffenrecht oder zu Auflagen für den Umweltschutz.

Ein neuer Fall wird frühestens im Herbst zur Anhörung kommt, sorgt aber bereits jetzt für Schlagzeilen. Es geht es um die Frage, ob Abgeordnete der Bundesstaaten allein über das Wahlrecht entscheiden dürfen, ohne die Möglichkeit des Einspruchs von Gerichten oder Gouverneuren. „Haben Gerichte in Bundesstaaten das Recht, Grenzen zu setzen bei Gesetzen, die Wähler abschrecken, ihre Stimme abzugeben, wie zum Beispiel der Zuschnitt von Wahlkreisen nach Wählerregistrierung.“ (Melissa Murray nach ARD, a.a.O.) Das wäre ein später Sieg Trumps, der nach seiner Wahlniederlage bereits versucht hatte, auf der Ebene von Bundesstaaten Wahlergebnisse zu negieren und zu fälschen. Entsprechende Urteile für die Zuschnitte von Wahlkreisen auf Bundesebene hätten Folgen für Kongresswahlen, womöglich aber auch für Präsidentschaftswahlen.

Anlass ist ein Streit in North Carolina. Republikanische Abgeordnete hatten mit ihrer Mehrheit im Parlament die Wahlkreise für die Kongresswahlen neu zugeschnitten. Die Abgeordneten verabschiedeten dazu aber einen Zuschnitt, der schon vor der eigentlichen Wahl sicherstellen sollte, dass zehn der 14 Wahlkreise an die Republikaner gehen. Die Stimmen der Wähler im gesamten Bundesstaat sind bisher nahezu gleich verteilt zwischen Republikanern und Demokraten. Das Oberste Gericht von North Carolina wies den Versuch als verfassungswidrig zurück. Die Republikaner aus North Carolina klagen vor dem Obersten Gerichtshof. Sie sind der Meinung, dass Abgeordnete über die alleinige und unabhängige Autorität verfügen, Regeln für Wahlen festzulegen.

Eine solche Politik, der Theorie rechter Juristen von der „independent state legislature“ folgend, hatten Republikaner in mehreren Bundesstaaten schon nach der letzten Präsidentschaftswahl verfolgt. Sie versuchten, eigene Listen von Wahlmännern und Wahlfrauen aufzustellen, unabhängig vom Ergebnis der Auszählung der abgegebenen Stimmen.

Bei einer anstehenden Befassung und Entscheidung des Obersten Gerichtshofs geht es also im Kern weniger um das Zuschneiden von Wahlkreisen im Parteiinteresse in einem Mehrheitswahlsystem – das sog. „Gerrymandering“, das von Republikanern und Demokraten je nach Lage der Dinge betrieben wird –, sondern um das Einspruchsrecht von Bundesgerichten und -institutionen gegen Entscheidungen der bzw. in den Bundesstaaten. Oder: Wie viel Freiheit sollen die Bundesstaaten darin haben, Wahlen zu organisieren. Würde sich die Rechtsauffassung der Republikaner sowie konservativer und reaktionärer Juristen durchsetzen, so würde ein wesentlicher Bestandteil der US-amerikanischen Gewaltenteilung abgeschafft.

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 9.7.2022

Abb. (PDF): Die Unterzeichnung der Verfassung der USA im Jahr 1787.