Politische Berichte Nr.4/2022 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Französische Nationalversammlung: Mehrheiten gesucht

Matthias Paykowski, Karlsruhe.

Die Partei des Präsidenten hat bei den Wahlen zur Nationalversammlung die absolute Mehrheit verloren, stellt aber weiterhin die meisten Deputierten (172 von insgesamt 577). Das Regierungsbündnis kommt mit den anderen beteiligten Parteien auf eine Mehrheit von 245 Deputierten (die absolute Mehrheit sind 289 Deputierte). NUPES, in der sich die linken Parteien zur Wahl zusammengefunden hatten, stellt zwar die mit Abstand größte Oppositionsgruppe, ist aber keine Fraktion. Jede Partei bei NUPES bildet eine eigene. Der Vorschlag von La France Insoumise (LFI), in einer gemeinsamen parlamentarischen Gruppe zusammenzuarbeiten, wurde von den anderen abgelehnt. Die größte Oppositionsfraktion in der französischen Nationalversammlung ist damit Le Pens Rassemblement National RN mit 89 Deputierten, das beste Ergebnis seit der Parteigründung 1972! Auch die bürgerlichen Republikaner LR haben besser abgeschnitten als vorhergesagt (62).

Innenpolitik: Das Maßnahmenpaket zur Erhaltung der Kaufkraft war von Macron als erste dringliche innenpolitische Maßnahme seiner zweiten Amtszeit angekündigt worden und fand nach zehn Tagen mühseliger Beratung eine Mehrheit. Sowohl RN als auch LR stimmten schließlich zu. Das Paket sieht eine Erhöhung von Altersrenten und Sozialleistungen sowie eine Begrenzung bei Mietpreiserhöhungen vor. Für die Zustimmung von LR wurde eine Subvention beim Benzin eingepreist, die von 18 auf 30 Cent pro Liter Benzin bis Ende Oktober ansteigt, sowie eine Unterstützung für private Haushalte, die Heizöl verwenden (230 Millionen Euro), und Hilfsmaßnahmen für Tankstellen im ländlichen Raum.

Ein Änderungsantrag fand eine Mehrheit aus NUPES, RN, LR, aber auch aus Horizons, einer der Regierungsparteien: Den Kommunen werden 180 Millionen Euro und den Departements 120 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um vom Staat vorgesehene Erhöhungen auszugleichen, die die Kommunen und Departements umsetzen müssen.

Europapolitik: Die politischen Kräfte, die der EU, den europäischen Institutionen und europäischer Zusammenarbeit kritisch bis ablehnend gegenüberstehen oder auf ihre Zerstörung setzen, haben in der Nationalversammlung deutlich an Gewicht gewonnen. In der Diskussion um die beschlossene hundertprozentige „Renationalisierung“ des französischen Energiekonzerns Electricité de France (EDF), an dem der Staat bereits 83,9% der Anteile hält, spielt die Zusammenarbeit im europäischen Stromverbund und -netz keine Rolle. Das gilt auch für den von Macron angekündigten Bau einer neuen Generation von Kernkraftwerken. So könnte die von Macron geforderte größere europäische „Souveränität“ auch durchaus zu einem „Frankreich zuerst“ werden.

Quelle: Le Monde, diverse Ausgaben

CFDT: Gewerkschaftskongress bekräftigt Position zur Rentenreform

Macrons Anspruch steht, die verschobene Rentenreform mit einer vorgesehenen Anhebung des Rentenalters in der zweiten Periode seiner Präsidentschaft zu beschließen. Eine parlamentarische Mehrheit ist möglich, z.B. mit Le Republicains (LR). Bei einer Rentenreform sind die Sozialpartner in die Verhandlungen eingebunden. Die Gewerkschaft CFDT hat auf ihrem Kongress im Juni 2022 in Lyon ihre Vorstellungen zu einer Reform dargelegt und in einem Änderungsantrag auch nochmal bekräftigt: „Die steigende Lebenserwartung kann eine Erhöhung des durchschnittlichen Rentenalters nicht rechtfertigen.“ Die folgenden Auszüge sind der allgemeinen Resolution entnommen.

Rentensystem robust – jedoch ungerecht und reformbedürftig:

„3.7.1.1: Das derzeitige Rentensystem ist robust und seine Finanzierung ist langfristig gesichert. Es ist jedoch ungerecht und führt zu Ungleichheiten, insbesondere für Arbeitnehmer mit diskontinuierlichen oder gebrochenen Erwerbsbiografien, allen voran von Frauen. Unterschiedliche Regelungen in den verschiedenen Systemen benachteiligen die immer zahlreicher werdenden Arbeitnehmer, die im Laufe ihrer Erwerbstätigkeit Beiträge in die verschiedenen Systeme einzahlen. Die Berechnung der Rente auf der Grundlage der 25 besten Jahre oder der letzten sechs Monate begünstigt die höchsten Einkommen, die von den größten Lohnsteigerungen profitieren, während sie die am Anfang der Karriere erworbenen Ansprüche entwertet. Außerdem ist das System nicht verständlich genug und erlaubt es nicht jedem, einfach zu verstehen, wann er in den Ruhestand gehen kann und mit welcher Rente er rechnen kann.“

Solidaritätsmechanismen verbessern:

„3.7.1.2: Es geht also darum, die Solidaritätsmechanismen (Familienansprüche, Hinterbliebenenrenten, Mindestrenten usw.), die Anrechnung von Zeiten der Nichterwerbstätigkeit (Arbeitslosigkeit, Invalidität, Behinderung usw.), die Anrechnung spezifischer Zeiten (Pflegen von Angehörigen, Teilzeitarbeit usw.) und die Berücksichtigung von Härtefällen zu verbessern, aber auch neue Rechte zu schaffen und Situationen zu beseitigen, die Personen benachteiligen, die alle für eine vollständige Rente erforderlichen Trimester erworben haben.“

Annäherung und Harmonisierung in einem einzigen System:

„3.7.1.3: Die CFDT setzt sich für eine Reform des gesamten Rentensystems ein, bei der durch den Umlagemechanismus jeder zur Finanzierung der Rente aller beiträgt. Für die CFDT basiert die Rente auf generationen- und berufsübergreifender Solidarität“, mit einem „gemeinsamen Sockel“, „bei der ein eingezahlter Euro die gleichen Rechte für alle mit sich bringt. Die Annäherung und Harmonisierung aller Systeme in einem einzigen System kann nicht mit der Zielsetzung betrieben werden, einfache Kostenersparnisse zu erzielen, und vor allem auch nicht, indem man die Arbeitnehmer gegeneinander ausspielt.“

3.7.1.4: Nach Ansicht der CFDT muss der langfristige Aufbau eines solchen Systems in Etappen erfolgen, wobei die Auswirkungen sowohl für die Versicherten als auch für das Personal der Systeme regelmäßig bewertet und berücksichtigt werden müssen. Außerdem müssen drei Vorbedingungen erfüllt sein.

„Erstens müssen die Besoldungsstruktur und die Lohnpolitik unter Berücksichtigung der bestehenden Ungleichheiten im öffentlichen Dienst und in den Sondersystemen überprüft werden: Die Rentenregelungen sind dort häufig die Gegenleistung für geringere Lohnsteigerungen oder die Nichtberücksichtigung von Prämien bei der Rentenberechnung.

Zweitens müssen die von den Arbeitnehmern vor der Reform erworbenen Rechte garantiert werden.

Drittens muss es Branchen oder Unternehmen gestattet sein, spezifische Regeln im Rahmen eines ausgehandelten Sozialpakts/-vertrags zu gestalten, die jedoch aus eigenen Mitteln dieser Branchen oder Unternehmen finanziert werden.“

Abb. (PDF): Logo CfDT

Allgemeine Erklärung; 50. Kongress der CFDT, Lyon, 13.–17. Juni 2022; Seite 61. https://www.cfdt.fr/upload/docs/application/pdf/2022-07/12.reso_reso-generale-02.pdf