Politische Berichte Nr.4/2022 (PDF)04b
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Das „Strategische Konzept der Nato 2022“: Ein Schritt der Militarisierung der internationalen Politik

Christoph Cornides, Mannheim, Martin Fochler, München

Am 29.6.2022 brachten die Regierungschefs der Nato-Staaten das neue „Strategische Konzept der Nato 2022“ auf den Weg. Die politische Öffentlichkeit hat sich mit diesem Konzept kaum beschäftigt. Angesichts der offenbaren Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine und der kaum verhüllten Drohungen gegen weitere Staaten fragte kaum jemand, ob die neue Konzeption sich überhaupt noch im Rahmen des Nato-Vertrages bewegt. Der Text gibt Hinweise, dass das neue Konzept über die im Nordatlantikvertrag festgehaltene Aufgabe, einen „bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle“ abzuwehren, um „die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.“ (Artikel 5)1, hinausgeht. Unter anderem wird dabei die Veränderung wirtschaftlicher Kräfteverhältnisse zur umfassenden Sicherheitsbedrohung erklärt.

Tatsächlich handelt die neue Konzeption von der Ausweitung der Aufgaben und des Wirkungskreises der Nato. Dies belegt exemplarisch der Satz 13 der Vereinbarung.2

„13. Die von der Volksrepublik China erklärten Ziele und ihre Politik des Zwangs stellen unsere Interessen, unsere Sicherheit und unsere Werte vor Herausforderungen. Die Volksrepublik China setzt ein breites Spektrum an politischen, wirtschaftlichen und militärischen Instrumenten ein, um ihren weltweiten Fußabdruck und ihre Machtprojektion zu vergrößern, während sie zu ihrer Strategie, ihren Absichten und ihrem militärischen Kräfteaufwuchs im Vagen bleibt. Die böswilligen hybriden und Cyberoperationen der Volksrepublik China und ihre konfrontative Rhetorik und Desinformation zielen auf die Verbündeten ab und schaden der Sicherheit des Bündnisses. Die Volksrepublik China versucht, Schlüsselbereiche der Technologie- und Industriesektoren, kritische Infrastruktur sowie strategisches Material und Lieferketten unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie setzt ihr wirtschaftliches Gewicht ein, um strategische Abhängigkeiten zu schaffen und ihren Einfluss zu vergrößern. Sie strebt danach, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, auch in den Dimensionen Weltraum, Cyber und See. Die immer enger werdende strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation und deren sich gegenseitig verstärkende Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu unterhöhlen, laufen unseren Werten und Interessen zuwider.“

In diesem Abschnitt sind mehrere Verschiebungen enthalten. Anstelle einer Sicherheitsgarantie für die Mitgliedstaaten tritt eine einseitig formulierte Ordnungsvorstellung. Die Nato hat nicht festzusetzen, welche Regeln international gelten sollen, das ist Sache der Vereinten Nationen. Wenn die Nato Ansprüche zu „Weltraum“, „Cyber“ und „See“ formuliert, ist damit auch ein neuer Operationsraum eröffnet. Es geht um destruktive Handlungen im Internet, es geht um den gesamten Komplex der Seewege und am Ende geht es um den Weltraum.

Betrachtet man die Nutzung von Seewegen, die Möglichkeiten grenzüberschreitenden Datenverkehrs und den nahen Weltraum als Gemeingüter der Menschheit, dessen, um das altmodische Wort aus dem Verwaltungsrecht zu benutzen, gemeinverträglicher Gebrauch durch Verhandlungen und Verträge zwischen allen Beteiligten zu regeln ist, wofür es – zum Glück – auch die UNO gibt, wird deutlich, dass ein Militärpakt auf diesem Gebiet noch nicht einmal zu Verhandlungen berufen ist.

Das „Strategische Konzept der Nato 2022“ verschiebt die Behandlung von internationalen Problemlagen in den Bereich des Militärischen. Diese Positionierung gefährdet das nach Ausgang des Zweiten Weltkriegs so mühevoll errichtet Netzwerk der UNO, deren Grundlage das Verhandeln über akzeptable Rahmenbedingungen internationalen Handelns. Es errichtet eine Drohkulisse.

Wenn die Repräsentanten, die diese Strategie beschlossen haben, die Absicht gehabt hätten, den großen Rest der Staatenwelt gegen sich aufzubringen, hätten sie nicht anders verfahren müssen.

Der obenstehende Bericht zeigt einen – freilich mühevollen und langwierigen – Weg, gegen diesen Trend zu kämpfen. Wenn es gelänge, die globale öffentliche Meinung gegen die Atombewaffnung zu mobilisieren und in den Staaten, insbesondere der Nato, wenigstens den expliziten Verzicht auf den Ersteinsatz in Recht, Gesetz und vielleicht sogar der Verfassung zu verankern, so wäre das ein Schritt gegen die Tendenz, politische und wirtschaftliche Ziele durch militärische Drohungen zu verfolgen.

Die Anstrengungen der verschiedenen Bündnisse und Zusammenschlüsse verdienen Beachtung und energische Unterstützung durch die politischen Vereinigungen und Parteien.

1| https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_17120.htm?selectedLocale=de

2| https://nato.diplo.de/nato-de/service/-/2539668