Politische Berichte Nr.4/2022 (PDF)21b
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Der NSU-Komplex in Hamburg

Bis heute haben sich 14 Parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit der Aufklärung des NSU-Komplexes befasst: im Bund, in Thüringen, Sachsen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, NRW, Brandenburg, Hessen. Das einzige Tatortland, das einen Untersuchungsausschuss seit mehr als zehn Jahren verweigert, ist Hamburg – hier hatte der NSU am 27.6.2001 Süleyman Taşköprü ermordet. Einen entsprechenden Antrag der Linksfraktion hatte die Bürgerschaft 2015 abgelehnt. Der rot-grüne Senat gab zwar zu, dass es Fehler gegeben habe, weil man die Täter ja nicht ermittelt habe, um hinzuzufügen, dass aber „Hinweise auf ein Fehlverhalten der Hamburger Institutionen … bislang nicht (hätten) identifiziert werden können“.

Christiane Schneider, Hamburg

Ende August bringt nun die Linksfraktion eine Broschüre zum NSU-Komplex im Hamburg heraus, die mehr als nur „Hinweise“ auf „Fehlverhalten“ der Behörden liefert. Sie dokumentiert, dass die Ermittlungsarbeit der Polizei durch einen ethnisierenden Blick auf das Opfer geprägt war mit der Folge, dass man ausschließlich nach Verbindungen des Mordopfers zur Organisierten Kriminalität suchte. Nicht einmal ging man rassistischen Mordmotiven nach. Im Gegenteil: Als ein Münchner Profiler der „BAO Bosporus“, die die Ermittlungen in der Mordserie bundesweit koordinierte, eine Fallanalyse vorlegte, die Einzeltäter und rassistische Motive nahelegte, boykottierte die Hamburger SOKO diesen Ermittlungsansatz. Der Verfassungsschutz legitimiert sich gerne als „Frühwarnsystem“ – im NSU-Komplex erwies er sich als ein „Frühwarnsystem“, das nichts sieht, nichts hört und nichts sagt. Das Hamburger Landesamt (LfV) behauptet bis heute, es habe keinerlei Hinweise auf einen rechten Hintergrund der Mordserie gegeben. Die Broschüre liefert eine Reihe handfester Indizien, dass das LfV nicht so ahnungslos gewesen sein kann, wie es sich gibt.

Die Broschüre gibt auch einen kurzen Überblick über die „Vorgeschichte“ des NSU-Terrors, über rassistische Gewalt und rassistischen Terror in der Bundesrepublik, eine ungehemmte Herabsetzung gerade von türkischstämmigen Menschen, eine stillschweigende Kumpanei von Rechtskonservatismus und Nazis. Das alles prägte die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen das NSU-Kerntrio und die meisten ihrer Unterstützer:innen sozialisiert wurden und auch die Deutungs- und Handlungsschemata in den Sicherheitsbehörden, die sich in den Ermittlungen zur NSU-Mordserie so verheerend auswirkten.