AfD-Parteitag: Großraum-Europa-Konzept des Höcke-Flügels – vorerst vertagt
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dok: NSDAP: Großraum und Großraum-Verwaltung
„Nach einem erbitterten Streit um eine Europaresolution hat die AfD ihren Bundesparteitag im sächsischen Riesa vorzeitig beendet“, berichtet die Tagesschau am 19. Juni. „Besonders scharf wurde vor allem von Delegierten aus dem Westen kritisiert, dass der Antrag eine Annäherung an Russland fordert, ohne den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu erwähnen. In der Vorlage war nur von einem ‚Ukraine-Konflikt‘ die Rede.“
Michael Juretzek, BREMEN
Hat man sich erstmal durch den betäubenden Begriffsnebel von „Interessensausgleich“, „souveräne und eigenverantwortliche Nationen“, „europäische Einigung“, „abendländische Identität“ hindurchmanövriert, entdeckt man, dass der Höcke-Flügel in seinem Resolutionsentwurf „Europa neu denken“ einen für die AfD-Positionen neuen Begriff einführt. Etwas versteckt, und darum umso interessanter, taucht unter dem Stichwort „friedliche Welt nationaler Vielfalt“ das Wort „Großraum“ auf: „In der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts bieten wir allen Großräumen der Welt Partnerschaft auf der Basis gegenseitigen Respekts an.“ (Zeile 174-176) Um anderen Großräumen Partnerschaft anzubieten, muss Europa selbst erstmal zu einem Großraum gemacht werden. Mit der Schaffung eines europäischen Großraums hat die NSDAP die Überfälle und Besetzungen im 2. Weltkrieg begründet (siehe untenstehenden Artikel). Dazu muss Europa in der Tat „neu gedacht“ werden. Die Resolution atmet den Geist einer Großraum-Führungsmacht. Die Kritik an der EU als „dysfunktionales politisches Gebilde“ mündet nicht in der Forderung nach Austritt der BRD, der ihr nach Artikel 50 der Europäischen Verträge zusteht, sondern nach „Auflösung der EU“. Da entscheidet eine deutsche Partei, was das Richtige für alle Mitgliedsstaaten ist. Das Gleiche gilt für die Währungspolitik: „Die Euro-Zone wird geordnet aufgelöst … Die EZB wird aufgelöst“. Da bestimmt als „ordnende“ Führungsmacht ein Mitglied über die währungspolitische Zukunft aller anderen 18 Mitgliedstaaten. An die Stelle der EU soll eine neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft als ein „flexibles Europa funktionaler Verträge“ treten.
Militärpolitisch strebt die Resolution die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft EVG an als „Bündnis ihrer nationalen Armeen“, ohne gemeinsame Streitkräfte. Sie soll „Mechanismen der politischen Bewertung und Entscheidung, einen Stab zur Planung und Durchführung militärischer Operationen“ haben und „Mitglied einer reformierten Nato“ sein.
Wirtschaftspolitisch soll das neue „wahre Europa“ den „Ausgleich mit Russland“ suchen und die „wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Eurasischen Wirtschaftsunion“ anstreben. Zur Eurasischen Wirtschaftsunion gehören Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien. Neben einer Zollunion verfügt sie seit 2019 über einen gemeinsamen Strommarkt und strebt bis 2025 einen gemeinsamen Gas- und Erdölmarkt an.
Damit kommt die Höcke-Flügel-Resolution den russischen Eurasien-Großraum-Vertretern (siehe Artikel Eurasien-Bewegung) entgegen. A. Dugin veröffentlicht regelmäßig auf der Internetseite der „Denkfabrik Katehon“, deren Interesse „den Großräumen, die unsere heutige Welt ausmachen“, gilt. „Sowohl die Gemeinsamkeiten wie auch die Unterschiede dieser Großräume müssen in einer realistischen Betrachtung des Weltgeschehens analysiert und berücksichtigt werden.“ (https://katehon.com/de/wer-sind-wir) Für den Höcke-Flügel wird über die Führungsrolle in diesem angestrebten Großraum noch zu sprechen sein.
Viel Sprengkraft in der Resolution, die zur Grundlage von Richtlinien und Beiträgen zum Europawahlkampf 2024 gemacht werden soll.
(Quelle: https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2022/06/2022-06-02-Antragsbuch_Riesa_anonymisiert.pdf)
dok: NSDAP: Großraum und Großraum-Verwaltung
Werner Best, promovierter Jurist, SS-Brigadeführer, galt innerhalb der NSDAP als führender Großraumtheoretiker. Sein Beitrag „Grundfragen einer deutschen Großraum-Verwaltung“, aus dem unten zitiert wird, war Bestandteil einer Festschrift zum 40. Geburtstag von Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler 1941. Zu diesem Zeitpunkt war Best Leiter der Abteilung Verwaltung des Militärbefehlshabers in Frankreich und galt als heimlicher Innenminister der Besatzungsmacht. Er hielt es für zwingend, die „Begriffe, Grundsätze und Formen, in denen bisher die Ausübung ordnender Macht gedacht und gestaltet wurde“ (S. 33), zu überprüfen und klar festzulegen.
„Großraum. Großraum ist also für die gegenwärtige Lage der gesamte Raum, der von e i n e m Volke über seinen Volksraum hinaus bewußt zu einer neuen Einheit gestaltet und gegenüber anderen vorhandenen oder möglichen Großräumen abgegrenzt und zu ihnen in ein Verhältnis gesetzt wird.“ (S.34)
„Großraum-Ordnung. Die Ordnung ist nie für alle in ihr verbundenen Menschen oder Völker eine freiwillige Dauerbeziehung … Und die Großraum-Ordnung wird gestaltet von dem Volk, das stark genug ist, seinen Volksraum zu einem Großraum zu erweitern, in dem sein Wille die Dauerbeziehungen zwischen den Völkern, die den Großraum erfüllen, gestaltet … Der Begriff einer „Ordnung der Großräume“ tritt – soweit die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen – an die Stelle der „Völker-Ordnung“, die in dem als „Völkerrecht“ bezeichneten zwischenstaatlichen Recht ihren förmlichen Ausdruck fand.“ (S.34/36)
„Großraum-Verwaltung. Das bedeutet, daß in der Großraum-Verwaltung alle bisher erfolgten Verengungen des Begriffes der „Verwaltung“ aufgehoben werden müssen und das die „Verwaltung“ wieder als das umfassende „Walten“ über alle öffentlichen Angelegenheiten der einzelnen Bereiche verstanden werden muß. Sowohl die Aufspaltung in ein „politisches“ Walten und in eine vollziehende „Verwaltung“ fällt weg wie auch die Trennung der öffentlichen „Ge-Walt“ in Rechtsetzung, Rechtsprechung und „Verwaltung“ im engeren Sinne.“ (S.37)
„Führungsvolk. Als Führungsvolk wird das Volk bezeichnet, das durch Erstreckung seiner „Ge-Walt“ über andere Völker die Großraum-Ordnung schafft und das die Großraum-Verwaltung gestaltet und – unter aktiver und passiver Mitwirkung der Großraum-Völker – ausübt.“ (S.38)
„Vorbereitung für den leitenden öffentlichen Dienst. „Staatskunde“ statt Rechtskunde. Zur „Staatskunde“, die in erster Linie Ein-Sicht in die Lebensgesetze geben soll, gehört auch die Kenntnis der Rechtsetzung und der Rechtsanwendung innerhalb der verschiedenen Ordnungen, die man als die „zivile Technik der Befehlsgebung und Befehlsausführung“ (im Vergleich zur militärischen Befehlstechnik) bezeichnen kann.“ (S.60)
Diese „zivile Technik“, bewusst außerhalb des Völkerrechts, Willkür herausfordernde Abschaffung der Gewaltenteilung und völkisch-militärische Herrenmenschenüberzeugung, mündete u.a. in die Verschleppung von 7,5 Millionen Zwangsarbeitern, Verhaftung und teilweise Liquidierung ganzer Wirtschaftseliten, Plünderung der Nationalbanken und Eingliederung sämtlicher Wirtschaftsressourcen in die faschistische Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie. Quelle: Festgabe für Heinrich Himmler, Darmstadt 1941