Politische Berichte Nr.4/2022 (PDF)23
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Die russische Eurasien-Bewegung – ein offenes Angebot an die europäische Rechte

A. Dugin in „Russischer Kodex“1 „… Jeder souveräne Nationalstaat kann tun und lassen, was er will, solange er dazu in der Lage ist – auch wenn es anderen Nationalstaaten nicht gefällt. In extrem kritischen Fällen entscheidet der Krieg über alles. – Das ist es, was nationale Souveränität in der realistischen Theorie in den Ländern des Nahen Ostens darstellt. Dieser Theorie steht der Liberalismus in den internationalen Beziehungen (IR) gegenüber, der darauf besteht: auf die Begrenzung der Souveränität, auf ihrer Relativität, auf die allmähliche Übertragung der Macht von den Nationalstaaten auf die Weltregierung. In dieser Theorie ist die Souveränität kein Wert, geschweige denn ein übergeordneter Wert. Sie ist lediglich ein Übergangszustand auf dem Weg zur Integration der ganzen Menschheit.“

Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

Präsident Putin greift die eurasische Ideologie auf und erklärt in seiner Rede zu seiner neuen Amtseinführung 2012, Russland müsse „zum Schwerkraftzentrum Eurasiens“ werden.2

Legitimiert werden so ein russisches imperiales Selbstverständnis und russische Expansions-bemühungen, wie sie sich im russisch-georgischen Krieg 2008, der Krim-Annexion 2014, der Einverleibung der Ostukraine und dem Ukraine-Krieg zeigen.

Der programmatische Kern der Eurasierbewegung besteht darin, dass die russischen Menschen und die Menschen der Völker der „Russländischen Welt“ weder Europäer noch Asiaten seien. Eine übergreifende Kategorie ist die eines eigenen gemeinsamen eurasischen Raums, der unterschiedliche eurasische Ethnien verbinde, je nach Bedarf geopolitisch, geokulturell oder geohistorisch erklärt.

Das Milieu, in dem die Eurasier-Bewegung sich entwickelte, war das von russischen Emigranten der Zwischenkriegszeit, von geflohene monarchistische Offiziere der weißen Armee, Vertretern der intellektuellen und kulturellen Elite des Zarenreichs, wohlhabenden Finanziers der Zeitung Eurasia (1928), die sich dieser Bewegung in europäischen Hauptstädten anschlossen. Die nach der Machtergreifung der Bolschewiki 1917 drohende territorialen Aufsplitterung des einstigen Zarenreichs war für die Eurasier eine Schmach. Politisch richtungsweisend war der Sammelband Ischod k Vostoku (Exodus nach Osten), den der Geograph P. Sawizkij, der Musikologe P. Suwtschinskij, der Slawist N. Trubezkojy und der Theologe G. Florowskij, herausgaben. „Da wir mit den verwandten und uns umgebenden Kultur- und Lebenselementen verschmolzen sind, schämen wir uns nicht, uns als Eurasier zu bezeichnen.“3

Diese gemeinsame geografische Struktur des einen eurasischen Raumes führe zu einer multinationalen „Gemeinsamkeit des historischen Schicksals“, einer Einheit der Verschiedenheit der verschiedenen eurasischen Völker, so N. Trubezkoj, die nach einer überwölbenden Form von Staatlichkeit suche. Der gemeinsame Kampf gegen die feindlichen Eindringlinge Europas – ob deutscher Ritterorden im Mittelalter oder dann Napoleon in die weite Offenheit des eurasischen Raums werde zur gemeinsamen historischen Prägung.

Die „geografische Welt“ Russland-Eurasien müsse eine abgeschlossene, autarke Wirtschaftseinheit aus unterschiedlichen Wirtschaftsregionen bilden, um ihren Standortnachteil als Landmasse mit hohen Transportkosten in einem ozeanisch geprägten Weltmarkt auszugleichen – die Eurasische Wirtschaftsunion 2015 wurde hier schon vorgedacht. Den USA als westlicher Seemacht sei Eurasien genauso überlegen sei wie als Zivilisation.

Nach dem Zusammenbruch der SU erschien ein Neo-Eurasien-Konzept – 1917 als Antwort auf den Zusammenbruch des Zarenreichs entwickelt – als neues Sinnstiftungsangebot.

Die neo-eurasische Ideologie bot sich als Alternative an zum kollabierenden sowjetischen Wirtschafts- und Herrschaftssystem Russlands. Das eurasische Konzept legitimierte den Fortbestand des einzigen Reichs auf der Fläche des alten sowjetischen Vielvölkerstaats.

Besonders zwei Strömungen sind in Russland einflussreich:

1. Lew Gumiljow mit einer rassistischen Führerideologie und Verwendung anti-westlicher, fremdenfeindlicher und antisemitischer Texte. Eines seiner Bücher „Ot Rusi k Rossii“ (Von der Rus zu Russland) wurde vom russischen Bildungsministerium als ein Text für den Oberstufenlehrplan empfohlen.

2. Alexander Dugin als Vertreter einer russischen Neuen Rechten mit Anleihen bei Heidegger und Carl Schmitt und Auslandskontakten. Benoist, Evola, Gueno sowie Ideologien der französischen „Nouvelle Droite“ und der italienischen Neuen Rechten werden integriert.

Dugin entstammt der russischen Neuen Rechten aus dem esoterischen Untergrund der SU der Breschnew-Zeit, er hatte Zugang zu den nach dem 2. Weltkrieg nach Moskau verbrachten Archiven des NS-Ahnenerbe-Instituts und zur gesamten europäischen rechtsextremen Literatur. Die gesellschaftliche Öffnung unter der Perestroika ermöglichte es ihm, aus dem esoterischen Untergrund herauszutreten und öffentlich für seine Ideen zu werben. Politische Bekanntheit erlangte er als Chefideologe der später verbotenen nationalbolschewistischen Partei. Er lehrte an der Strategischen Militärakademie des Generalstabs der Russischen Föderation, kandidierte 2003 erfolglos für die Duma für seine 2002 gegründete Partei Eurasia und erklärte seit 2000 regelmäßig seine Loyalität zu Putin. Er ist heute Berater des Duma-Vorsitzenden Naryschkin und gilt in Russland als „Kultfigur“. Publikationen Dugins sind z. B. „Evrazijskoje vtorzhenie“ (Eurasische Invasion) und Pravoje soprotivlenije (Rechter Widerstand).

Politisch pragmatisch schränkt Dugin eine eurasische geopolitische Ausdehnuung über den gesamten eurasischen Kontinent zu Gunsten Deutschlands ein, das er zu einer deutsch-russischen Doppelherrschaft über den eurasischen Kontinent befähigt sieht: „Wenn die Deutschen sich über ihr eigenes Dasein bewusst werden und sich aus dem transatlantischen Albtraum verabschieden, rückt „Eurasien“ bedeutend näher. Denn ohne die Deutschen kann das westlich-liberale Projekt EU nicht existieren.“ … 4

Insgesamt setzt der Kreml nicht nur auf internationale Netzwerke des rechten Rands, sondern auch auf weitere destruktive Kräfte im „Westen“. Die offizielle russische Militärdoktrin (2014, Gerassimov-Doktrin) will das Protest- und Spaltungspotenzial, das diese deutsche Neue Rechte mit der Unterstützung der russischen Neuen Rechten in die deutsche Gesellschaft hineinträgt, fördern.

Quellen: 1 A. Dugin in „Russischer Kodex“ https://katehon.com; 2 Der Tagesspiegel, 8.5.12; 3 Ischod k Vostoku Einleitung, Hrsg. v. O.S. Schirokov, Moskva 1997 – Neuausgabe des 1921 in Sofia ersch. Originals, S. 7.; 4 Interview mit A. Dugin in ZUERST! 3/2013; Grundlage des Artikels: Himmelreich, Jörg: Deutsch-russische Wahlverwandtschaften: Die „Neue Rechte“ Hrsg.: Bpb – Bundeszentrale für Politische Bildung. Bildquelle: „Eurasia“ Von Keepscases – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8627150

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