Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)20
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Rechte Provokationen – demokratische Antworten – Redaktionsnotizen. Zusammengestellt von Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01 Kleine Anfrage der Fraktion die Linke im Bundestag nach finanziellen Verbindungen zwischen deutschen Rechtsextremisten und Russland.
02 Fretterode-Prozess: im Urteil gegen Neonazis wird die Pressefreiheit verletzt.
03 Große Demonstration am 25.9. für die Öffnung von Nordstream 2 in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern.
04 Lektüre-Hinweis „Und eisig weht der kalte Wind“.
05 „Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation“ – Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

01

Kleine Anfrage der Fraktion die Linke im Bundestag nach finanziellen Verbindungen zwischen deutschen Rechtsextremisten und Russland. Vorbemerkung der Antragstellenden: „In den vergangenen Jahren wurden vielfältige Beziehungen Russlands zur europäischen extremen Rechten bekannt. Zuletzt konnten Journalisten und Journalistinnen unter anderem finanzielle Unterstützung für das rechtsextremistische Magazin „Compact“ aufdecken. Zudem soll der aktuell in Frankfurt wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat angeklagte Bundeswehrsoldat Franco A. versucht haben, Kontakt zu der Leiterin der Zweigstelle des russischen Think-Tanks „Instituts für Demokratie und Zusammenhalt“ in Paris, Natalija N., herzustellen. Das Institut veranstaltet seit 2012 regelmäßig Konferenzen in Kooperation mit dem „Compact“-Magazin. Eine weitere Verbindung zwischen Russland und der extremen Rechten besteht über die Reichsbürgervereinigung „Deutsch-Russisches-Friedenswerk e.V.“ mit Sitz in Kiel. Geleitet wird die Vereinigung unter anderem von T. T., den Vater von M. T., der stellvertretender Vorsitzender der Jungen Alternative in Sachsen-Anhalt ist und zum Umfeld von Franco A. gehört.“ Die Fragen nach der Gefahr einer staatlichen russischen Einflussnahme z.B. durch die Finanzierung rechtsextremer Parteien beantwortet die Bundesregierung in der Regel mit der Bemerkung: „Eine Beantwortung muss aus Gründen des Staatswohls unterbleiben. Durch die Beantwortung der Fragen würden spezifische Informationen zur Tätigkeit, insbesondere zur Methodik sowie zum konkreten Erkenntnisstand und Aufklärungsbedarf der Nachrichtendienste, offengelegt, wodurch die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste nachhaltig beeinträchtigt würde.“ Die Fakten, z.B. über vier Veranstaltungen der „Compact-Magazin GmbH“ zwischen 2012 und 2015 gemeinsam mit dem russischen staatsnahen „Institut für Demokratie und Zusammenarbeit“ in Berlin werden bestätigt, zumindest wird auch bestätigt, dass Erkenntnisse zu einzelnen Verbindungen zwischen Mitgliedern der „Alternative für Deutschland“ (AfD, Verdachtsfall) und russischen Staatsbürgern, die sich auf der EU-Sanktionsliste befinden, vorliegen.

Gerd Wiegel: https://dserver.bundestag.de/btd/20/029/2002995.pdf)

02

Fretterode-Prozess: im Urteil gegen Neonazis wird die Pressefreiheit verletzt. Etwa viereinhalb Jahre nach dem brutalen Übergriff durch zwei bewaffnete Neonazis auf zwei Journalisten in Fretterode, Thüringen, wurde vor dem Landgericht Mühlhausen am 15.9.22 ein Angeklagter wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung, und der andere lediglich zu 200 Arbeitsstunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Trotz der enormen Brutalität des gezielten Angriffs, bei dem die Journalisten zunächst von den Neonazis mit dem Auto gejagt und dann mit Messer und schwerem Schraubenschlüssel erheblich verletzt und dabei ihr Tod in Kauf genommen wurde, bleiben die Täter mit milden Strafen auf freiem Fuß. Das offensichtliche rechte Tatmotiv im Sinne von Pressefreiheit wurde nicht anerkannt. Die Deutsche Journalistenunion äußerte sich „empört und fassungslos“. Der Rechtsstaat dürfe so nicht mit Journalist*innen umgehen. Der Deutsche Journalistenverband sprach von einem „haarsträubenden Gerichtsurteil“ und einem „fatalen Signal in Richtung der rechten Szene“. Aufgrund einer Anzeige von Neonazi Thorsten Heise, dessen Sohn einer der Angeklagten im Fretterode-Prozess ist, gab es zwei Tage vor der Urteilsverkündung eine Hausdurchsuchung bei einem Journalisten. Von den Verbänden wurde das problematische Verständnis von Pressfreiheit der Justiz in Thüringen scharf kritisiert. Die Vorsitzende Richterin habe eine Täter-Opfer-Umkehr vorgenommen, wenn sie von gegenüberstehenden ideologischen Lagern gesprochen und damit den Status als Journalisten aberkannt habe. Gegen das Urteil legen Nebenklage und die Staatsanwaltschaft Revision ein.

03

Große Demonstration am 25.9. für die Öffnung von Nordstream 2 in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern. „Tausende Menschen unterliegen damit weiter der Illusion, dass damit die Probleme der Energiekrise gelöst wären. Einer der Organisatoren der Veranstaltung gehört zur Rechtsaußenpartei die Basis, einer der Redner war der AfD-Rechtsaußen Kalbitz. Das alles scheint die Mehrheit der Kundgebungsteilnehmer:innen nicht zu stören. Von der Mehrheit auch hingenommen wurde offenbar der Angriff auf drei junge ukrainische Frauen, die gegen die Aggression Russlands demonstriert haben und auf die Folgen des Krieges aufmerksam machen wollten. Dass dies alles stattfinden konnte, ist unfassbar!

Eine solche Demo, auf der sich mehr für ein Ende der Sanktionen als für ein Ende des Krieges eingesetzt wird und auf der solche Vorfälle stattfinden und solche Reden gehalten werden können, ist eine Schande für Mecklenburg-Vorpommern.“ Die Linke, LV Mecklenburg-Vorpommern

04

Lektüre-Hinweis „Und eisig weht der kalte Wind“. Ricardo Lenzi Laubinger, Vorsitzender der Sinti-Union Hessen, erzählt von der Lebens- und Leidensgeschichte seiner Familienangehörigen. Viele von ihnen wurden im Nationalsozialismus verfolgt und in Konzentrationslagern ermordet. Er schildert auch, wie sich die Diskriminierung von Sintizze und Romnja fortsetzt. Die Überlebenden kämpften Jahrzehnte um die Anerkennung als „rassisch“ Verfolgte. Die Täter des Genozids lebten unbehelligt weiter. Erst die Bürgerrechtsbewegung der Sinti brachte den Stein ins Rollen. Emotional und direkt erzählt der Autor von ihrer Herkunft, Tragödie und Leid, vom schwierigen Neuanfang und vom langen Kampf um Anerkennung und Bürgerrechte. Klak-Verlag, 2017, 12,60 €.

Abb. (PDF): Cover

05

„Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation“ – Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

Broschüre, 608 Seiten. Download: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/perspektivwechsel-nachholende-gerechtigkeit-partizipation--1944614

Der Bericht wurde im Juni 2021 vorgelegt. Die Bundesregierung kommt nach eigenen Angaben der Forderung der EU-Kommission nach, eigene Pläne für die EU-Roma-Strategie 2030 zu übermitteln. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatte über einen langen Zeitraum hinweg gefordert, auf Bundesebene analog zum Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus eine Kommission zum Problem des Antiziganismus einzusetzen. Der 608 Seiten lange Bericht kommt zu dem Schluss, dass Diskriminierungserfahrungen für Sinti und Roma in Deutschland weiter Alltag sind, beispielsweise in Schulen, beim Kontakt mit Behörden oder Polizei oder in der Nachbarschaft. Zudem wirkten sich der nationalsozialistische Völkermord und die sogenannte zweite Verfolgung nach 1945 in der Bundesrepublik bis heute auf die Lebensbedingungen der Minderheiten aus. Die Experten verlangten von der Politik erhebliche Anstrengungen gegen die Diskriminierung.