Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)22
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Die Neue Rechte(1) und der „heiße Herbst“

01 AfD: Rassistischer Wahlkampf in Niedersachsen Michael Ohse, Goslar.

Christiane Schneider, Hamburg

Es lohne sich, schrieb der langjährige Funktionär und Stratege der „Identitären Bewegung“ Martin Sellner Ende September in der neurechten Zeitschrift „Sezession“, den „heißen Herbst“ als Feldzug zu betrachten. „Selbst wenn die gegnerische Hauptstadt nicht erreicht wird, ist es möglich, einen Raumgewinn zu erzielen. (…) Jede Kundgebung und Wahl ist eine kleine Schlacht.“ Zwar hält er die Zeit für einen „Deutschen Maidan“, einen Regimewechsel, für „nicht sehr wahrscheinlich (wenn auch nicht völlig ausgeschlossen)“, einen „Ost-Maidan“ aber für denkbar. Durch Konzentration auf bestimmte Regionen könne „eine kritische Masse erreicht werden“. 2

Götz Kubitschek, als Geschäftsführer des neurechten Antaios-Verlags und verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Sezession“ einer der zentralen Figuren der Neuen Rechten, hält einen „Aufstand“ für „unumgänglich“ angesichts von vier „zersetzenden Wellen“: erst die Banken- und Eurorettung, dann die Masseneinwanderung, dann die Coronamaßnahmen und nun die „Zerstörung der Beziehungen Deutschlands zu Russland“, die eine „waidwunde und noch einmal dünner gewordene Schicht treffen werde“ – weil sie Menschen treffe, die „ihrer Arbeit nachgehen, etwas schaffen, aufbauen und hinterlassen, und zwar zum Wohle ihrer Familie und weit darüber hinaus“. Es gehe deshalb nicht um einen Aufstand für Konsumfreiheit und Einlösung eines Wohlstandsversprechen, sondern um Deutschland. Deshalb habe man sich entschieden: „mit unseren Kräften und Beziehungen und als nicht unwichtiger Knotenpunkt des Widerstandsgeflechts dafür zu sorgen, dass die Proteste nachhaltig, unversöhnlich und grundsätzlich werden“.3

Die politische Rechte in ganz Europa ist über die Positionierung zum Angriffskrieg Russlands uneins. Die deutsche Neue Rechte jedoch scheint sich in ihren Sympathien für Putins Russland weitgehend einig. Sie verspricht sich zum einen von einer eurasischen Großraumordnung, die in Putins Umfeld diskutiert und als Kriegsziel propagiert wird, eine Stärkung Deutschlands als unangefochtene Führungsmacht in „Mitteleuropa“. Zum anderen sieht sie in Putin einen Verbündeten gegen Liberalismus, Universalismus und „Globalismus“.4

Ihre Kritik an der „Zerstörung der Beziehungen Deutschlands zu Russland“ schiebt die Verantwortung für die tiefe Krise, die wachsende Teile der Bevölkerung hart trifft, auf die „Altparteien“, auf das „System“, das delegitimiert werden soll.

Neurechte Querfrontpolitik

Als der Linken-Abgeordnete Pellmann für Leipzig Montagsdemonstrationen ankündigte, die erste am 5. September, reagierte die Neue Rechte prompt. Elsässers Fernsehkanal warb mit Wagenknecht-Bild für eine große Querfrontveranstaltung, die extrem rechte Kleinstpartei „Freie Sachsen“ mobilisierte mit der verlogenen Behauptung von einer Veranstaltung mit rechten und linken Redner:innen, und meldete nach erfolgreicher Klage eine rechte Kundgebung auf demselben Platz an wie die Linke. Letztlich scheiterte der Querfrontversuch, nicht zuletzt dank großer Unterstützung durch antifaschistische Gruppen.

Obwohl in Leipzig gut 1 000 Rechten auf der Linken-Kundgebung über 3 000 gegenüberstanden, sieht sich die Rechte bestätigt. Es sei um die Frage gegangen, so Kubitschek, „ob die gemeinsame Gegnerschaft ausreichen würde, um die Grenzen zwischen den politischen Lagern wenigstens zu verwischen“. Das sei gescheitert.

Nun werde sich der Stärkere durchsetzen, und im Osten sieht sich die Rechte als stärkere Kraft. Die ersten großen Demonstrationen im Osten hätten „das Scheitern der Linken“ gezeigt, schreibt Sellner: „Wie viele andere Analysten vermutete ich, dass es der deutschen Linken aufgrund ihres traditionelle Nationalmasochismus nicht gelingen würde, den populistischen Straßenprotest zu prägen.“5

Auch wenn viel Großspurigkeit im Spiel ist, hat die nicht nur in Leipzig verfolgte Strategie der Umarmung erklärtermaßen zum Ziel, das sollten sich auch linke Querfrontstrategen klarmachen, die Linke zu vernichten.

In der neurechten Strategiediskussion lässt man keinen Zweifel, dass die soziale Not vieler Menschen ausschließlich als Vehikel zur Erreichung anderer Ziele – einem „regime change“ (Sellner) – dient. Für die gesellschaftliche Linke hingegen wird es darauf ankommen, ob sie solidarische Lösungen zur Bewältigung der Krise erreichen kann.

1 Die Neue Rechte agiert im Verbund mit der AfD und Nazis verschiedener Couleur, unterscheidet sich aber dadurch von anderen Strömungen der extremen Rechten, dass sie als elitärer „Kopf“ ihren Schwerpunkt auf den Kampf um kulturelle Hegemonie legt. Ihr Ziel ist es, ein kulturelles Klima für die angestrebte gesellschaftliche Veränderung hin zu einer „Volksgemeinschaft“, zu einem autoritären, ja faschistischen Staat zu schaffen. In diesem Sinne versteht sie sich als strategischer Kopf der extremen Rechten. 2 https://sezession.de/66465/heisser-herbst-der-widerstand-hat-uebersommert 3 Auf der Website sezession.de finden sich Mitte August/Anfang September vier ausschweifende Artikel Kubitscheks unter dem Titel „Herbst, Empörung, Grundsätze“ 4 Siehe dazu Politische Berichte 2/22, S. 22f 5 S. FN 2

Abb. (PDF): Die Linke, Heißer Herbst-Demonstration in Leipzig. Foto: Martin Heinlein

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AfD: Rassistischer Wahlkampf in Niedersachsen

Michael Ohse, Goslar. Bei den niedersächsischen Landtagswahlen scheint die AfD mit einem deutlich besseren Wahlergebnis als 2017 (6,2%) wieder in Fraktionsstärke in den Landtag einzuziehen, nachdem sich die Fraktion in der laufenden Legislaturperiode gespalten und den Fraktionsstatus verloren hatte. Sowohl bei der Neuwahl des Landesvorstands als auch bei der Listenaufstellung hatte sich der rechtsextreme Flügel deutlich durchgesetzt. Am 9. Oktober droht ein knapp zweistelliges Wahlergebnis. Neben Plakatthemen wie „Armutsrisiko Stromrechnung?“ und „Wälder statt Windräder“ zeichnet sich die AfD durch ihre Hetze und einen rassistischen Wahlkampf gegen Migrantinnen und Migranten sowie queere Menschen aus. Mit Plakaten wie „Importierte Gewalt?“ und „In der Schule LGBT statt Algebra?“ betreibt sie Ausgrenzung. Kommunal wurden beispielsweise in Goslar ihre Plakate mit Aufklebern „RASSISTISCHER SCHEISSVEREIN“ überklebt.