Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)24
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Vollversammlung des „Ökumenischen Rates der Kirchen“ in Karlsruhe: Konturlos im „Ungefähren“

Für Menschen, die nicht gerade mit kirchlich-religiöser Sprache vertraut sind, ist bereits der Name ungewöhnlich: Das Wort „ökumenisch“ — nicht zu verwechseln mit „ökologisch“ oder gar „ökonomisch“ — ist griechischen Ursprungs und bedeutet „die eine Weltkirche des Erdkreises“. Im „Ökumenischen Rat der Kirchen“ (ÖRK) haben sich vor 74 Jahren 580 Mio. Christen zusammengeschlossen, die aus 352 protestantischen und orthodoxen Kirchen stammen. Zu ihnen zählen — meist aus Europa — die evangelischen, reformierten und anglikanischen Kirchen, aber auch die — altorientalischen — assyrischen und altkatholischen Kongregationen sowie baptistische, evangelikale, mennonitische, methodistische Kirchen aus Amerika, Afrika, Asien und dem pazifischen Raum.

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

Vom 31. August bis zum 8. September dieses Jahres trafen sich diese Mitgliedskirchen des ÖRK aus allen Regionen der Welt in Karlsruhe zu seiner 11. Vollversammlung. Nur die weltweit 1,3 Milliarden Römisch-Katholischen Christen sind nicht dabei. Ihre vom Vatikan repräsentierte Kirche hat nur einen Beobachterstatus. Das hat einen gravierenden theologischen Grund: nach katholischer Auffassung kann es nur eine einzige wahre, „allgemeine“, nämlich die katholische Kirche geben, die den Weg zum Seelenheil ermöglicht. Zwar erheben meistens auch die vielen anderen christlichen Gruppierungen protestantischer, reformierter, anglikanischer, orthodoxer oder gar charismatischer Herkunft für sich diesen „allein selig machenden“ Anspruch, aber in ihrer Vielstimmigkeit lassen sie sich dennoch auf eine gemeinsame Sichtweise, auf eine „ökumenische“ Zusammenarbeit ein.

Mit der „Einheit“ der Kirchen ergeht es allerdings dem ÖRK wie allen anderen politischen Bewegungen und Parteien: „Einheit“ wird immer wieder beschworen, aber ihre Geschichte ist doch oft eine Geschichte von Spaltung und Streit um die Wahrheit und den richtigen Weg. Selbstkritisch betont daher der ÖRK: „wir sind alle auf einer Pilgerreise, auf der wir … uns gemeinsam auf den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens machen.“

Gegen das imperiale Wirtschaftssystem

Die Vollversammlung ist das höchste Leitungsgremium des ÖRK und tritt in der Regel alle acht Jahre zusammen. Es ist die einzige Gelegenheit, bei der sich die gesamte Gemeinschaft der Mitgliedskirchen an einem Ort zu Gebet und Beratung trifft. Damit ist die ÖRK-Vollversammlung die vielfältigste christliche Versammlung ihrer Größe in der Welt. Aber hinter ihrer religiös-kirchlichen Sprache verbergen sich oft harte Konflikte, an denen die meist national in ihre jeweilige Gesellschaft eingebundenen Gläubigen unmittelbar beteiligt sind. Die Erwartungen an die diesjährige Vollversammlung des ÖRK waren dennoch groß. Hatten sich doch in zurückliegenden Sitzungen verschiede Mitgliedskirchen deutlich positioniert: So brandmarkte die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 2003 in Winnipeg die Unterordnung unter einen absolut gesetzten neoliberalen Markt als „Götzendienst“. Im Jahr 2004 machte es sich die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Accra zu einer „Glaubensverpflichtung“, dass Integrität auf dem Spiel stehe, wenn man sich gegenüber einem zerstörerischen imperialen Wirtschaftssystem ausschweige. Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) erklärte 2013 in Busan (Korea), dass die Herrschaft des Marktes „ein globales, vom Mammon bestimmtes System“ sei, das durch endlose Ausbeutung allein das grenzenlose Wachstum des Reichtums der Reichen und Mächtigen schütze und mittlerweile den gesamten Öko-Haushalt Gottes bedrohe: „Das Reich Gottes steht der Herrschaft des Mammons diametral entgegen“, die herrschende Wirtschaftsordnung sei „abzulehnen“.

„Casa Común“

Religion und Kirche sind ein wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft. Wenn auf dieser Tagung des ÖRK im Weltmaßstab über Krieg und Frieden, über arm und reich, darüber diskutiert wird, dass „diese Wirtschaft tötet“, und wenn über Auswege aus der zerstörerischen und destruktiven Logik des Kapitalismus gemeinsam nachgedacht wird, verdient das all unsere Aufmerksamkeit. Der ÖRK in Karlsruhe aber blieb aber selbst — anders als bei früheren Vollversammlungen — konturlos im „Ungefähren“, wohl um keiner Mitgliedskirche den Anlass zu geben, mit dem ÖRK zu brechen. Viel „Theologisches“ wurde möglichst unkonkret geäußert. Natürlich war alle mediale Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wie sich die Russisch Orthodoxen verhalten würden, wenn sie in Karlsruhe auf ukrainische und westliche Kirchenvertreter träfen: Sie schwiegen sich aus! Beim Plenum zum Nahen Osten war eine palästinensische Jugendvertreterin vorgesehen. Sie durfte aber nicht auftreten, weil sie mit eigenen Worten die Realität in Palästina beschreiben wollte und sich aus Gewissensgründen weigerte, einen vom ÖRK mit allgemeinen Redewendungen formulierten Text vorzulesen. Bereits im Vorfeld war dem ÖRK signalisiert worden, dass Zuschüsse und Visa aus Deutschland in Gefahr seien, wenn auf der Vollversammlung die Themen „Staat Israel als Apartheidsystem“ und „BDS“ (Boykott, Disinvestment und Sanktionen gegenüber dem Staat Israel) aufgeworfen werden würden.

Während der ÖRK tagte, veranstaltete die christliche Gemeinschaft „Casa Común“ ein oppositionelles Kontrastprogramm mit Andachten, Vorträgen und Diskussionen. Ihre Themen waren Ökologie, Feminismus, Friedenspolitik und — Sozialismus. Hier wurde für die Ökumene und alle Religionsgemeinschaften die Überwindung unserer zerstörerischen Weltordnung gefordert: Der globale Kapitalismus stelle „nicht nur für das wirtschaftliche, sondern auch für das spirituelle Leben der Menschen … für die ganze Schöpfung eine Bedrohung“ dar. Diese Bedrohung erfahre nun durch den Krieg in der Ukraine und die aus ihm resultierende globale Aufrüstungsdynamik eine zusätzliche Verschärfung. „Aus der Todeslogik kriegerischer Gewalt und des herrschenden Kapitalismus zu desertieren, ist das Gebot der Stunde. Doch dazu braucht es eine neue internationale Rechtsordnung mit entsprechenden internationalen Institutionen und Organisationen, die auf der Überzeugung einer universellen Geschwisterlichkeit basieren.“

Die Referent:innen der „Casa Común“ kamen vor allem aus Deutschland, der Schweiz und Lateinamerika. Auch säkulare Linke haben sich bewusst hier eingemischt, um einander bei der Suche nach dem richtigen Weg zu stärken. So zum Beispiel die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Nachzulesen ist das alles hier: https://www.itpol.de/; https://casa-comun-2022.de; https://kairoseuropa.de/wp-content/uploads/2022/09/KPS-OeRK-Protest.pdf

Abb. (PDF): Frau Dr. Agnes Abuom von der Anglikanischen Kirche von Kenia ist Vorsitzende des ÖRK-Zentralausschusses. Foto: Albin Hillert / ÖRK