Politische Berichte Nr.6/2022 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Regierung Sunak: Wird es besser für die Briten?

Eva Detscher, Karlsruhe

„Die kürzeste Amtszeit eines Premierministers im Vereinigten Königreich“ – Liz Truss – am ersten Tag von der Queen ernannt, am zweiten stirbt die Queen – auch das ist einzigartig. Die 45-Tage-Amtszeit könnte als Lehrbeispiel für unglückliches Händchen beim Regieren in die Geschichtsbücher eingehen. Schon mit ihrer Rede im Unterhaus zum Tod der Queen machte sie sich fast zur Unperson. Die Millionen Briten, für die die Königin über mehr als 70 Jahre eine Art Stabilitätsanker dargestellt hat und die aufrichtig trauerten, haben anderes erwartet. Die Chronologie (siehe Kasten), der Rücktritt, das Klammern an der Macht, wie es die Tories vorführen, kostet sie auf Jahre das Vertrauen ihrer Wähler und der britischen Öffentlichkeit.

Der neue „Leader“ der Tories, Rishi Sunak, Truss’ Rivale im Rennen um die Johnson-Nachfolge, hatte stets dafür plädiert, Steuersenkungen erst umzusetzen, wenn die Inflation gesunken sei – um einen Konflikt zwischen Geldpolitik und Steuerpolitik zu verhindern (siehe auch PB 5/22).

Das britische Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vor-Pandemie-Niveau ist im internationalen Vergleich ganz schlecht: USA: plus 4,2; Eurozone: plus 2,3; Italien: plus 1,8; Deutschland: plus 0,2; Vereinigtes Königreich: minus 0,4.

The Guardian schreibt am 19.11.: „Der britische Arbeitsmarkt ist im Vergleich zu vielen internationalen Arbeitsmärkten ‚unglaublich angespannt‘, so Marchel Alexandrovich von Saltmarsh Economics. Aber es gibt noch ein weiteres Problem in Großbritannien: Menschen im erwerbsfähigen Alter fallen aus dem Arbeitsmarkt heraus und werden als nicht erwerbstätig eingestuft. Während die Nichterwerbsquote im Vereinigten Königreich traditionell niedriger ist als in vielen anderen Ländern der Eurozone, ist diese Kennzahl während der Pandemie stark angestiegen. Einige Ökonomen, darunter Alexandrovich, sind der Meinung, dass das Vereinigte Königreich mit dieser Kennzahl sein eigenes Problem entwickelt. ‚Es sieht so aus, als ob es sich um eine Langzeiterkrankung handelt und nicht nur um ein langes Covid. Es gibt ein wachsendes Problem mit Rückständen im Gesundheitswesen, das zusätzlich zu den Auswirkungen des Brexits auf die Migration die mangelnde Flexibilität des britischen Arbeitsmarktes verstärkt‘, sagte er.“

Inflationsrate, Zinsentwicklung, hohe Verschuldung der britischen Haushalte, schleppende Produktivität, Entwicklung der Energiepreise – alles verschärft durch den Brexit. Stromabschaltungen im Winter, sinkende Reallöhne, viele Wohnungen, die renoviert werden müssten, sind in einem gesundheitsgefährdenden Zustand (Schimmel, Feuchtigkeit) – Berichten zufolge reicht vielen Familien das Geld nicht für eine tägliche warme Mahlzeit, die Tafeln erleben einen unglaublichen Ansturm.

Was schlagen Sunak und sein Finanzminister Hunt vor: wohlhabende Britinnen und Briten sowie Unternehmen sollen in die Pflicht genommen werden: Die Höhe des Steuerfreibetrags soll bis 2028 eingefroren werden, die Schwelle für den Spitzensteuersatz gesenkt (von 170 000 auf 140 000 Euro. Weitere Schulden seien keine Option. Hunt will mit rund 55 Milliarden Pfund (63 Milliarden Euro) Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen die leere Kasse auffüllen. Auf die leise Anmahnung des Industrieverbands CBI, dass mehr Arbeitskräfte gebraucht würden, will Sunak nicht mit einer Neugestaltung der Beziehungen zur EU antworten, die Freizügigkeit für EU-Bürger sei mit dem Brexit bewusst beendet worden – und jetzt könne über eigene Modelle für die Einwanderung diskutiert werden. In Umlauf gebracht wurde für die Beziehungen zur EU das Schweizer Modell, darauf wird sich aber die EU nicht einlassen, historisch seien das völlig andere Bedingungen. „Nummer-Eins-Priorität“ für Großbritannien sei es, zuerst die illegale Einwanderung über den Ärmelkanal zu stoppen (2020 ca. 8 000, 2022 bislang 44 000 Migranten, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal in England anlandeten). Die Anerkennungsquote als Asylsuchende schnellt derzeit aus vielen Gründen nach oben, der Versuch einer Abschreckung durch Abschiebung nach Ruanda ist vorerst gescheitert – jetzt soll eine ferne Insel zum Zielort für illegal Eingewanderte werden (Ascension Island im Südatlantik). Das Vereinigte Königreich bietet Flüchtlingen bessere Bedingungen als z.B. Frankreich oder Deutschland: es gibt keine Ausweispflicht, es gibt keine „Asylbewerberheime“, die Unterbringung erfolgt in Hotels, Arbeit auf Baustellen z.B. findet sich oft schnell (zitiert nach FAZ 20. und 22.11.22). Es ist so offensichtlich, dass ohne Zusammenarbeit mit den anderen Ländern Europas und mit der EU hier keine Lösung im Sinne von Menschenwürde und auch von Arbeitsmigration gefunden werden kann, dass es eine ehrenwerte Aufgabe vor allem der EU ist, hier Vorschläge zu machen (welcher Institution dort genau, wäre zu prüfen).

„Ob Rishi Sunak es gelingen wird, das Elend einzuhegen, die Wirtschaft zu stabilisieren, den Beschäftigten und kleinen Selbstständigen eine Perspektive zu geben – „muss bezweifelt werden“, schreibt Florian Weis von der Rosa Luxemburg Stiftung. Wer aber steht dem gegenüber zur Verfügung? Auch für Labour mit Keir Starmer an der Spitze wäre es auf jeden Fall ein langer Weg – „Die Spielräume einer möglichen Labour-Regierung werden sehr begrenzt sein; umso wichtiger ist es, dass Labour klare Prioritäten zu Gunsten des Gesundheitswesens, der sozialen und ökonomischen Absicherung bedrohter Arbeitnehmer:innen und kleinen Firmen, der Armutsbekämpfung sowie einer green industrial revolution setzt.“ (F. Weis)

Quellen: NZZ 14.10.22; Guardian 19.11.22; NZZ 22.11.22; diverse FAZ, BNN 29.11.22; Florian Weis: Der „Urlaub von der Realität“ ist vorbei. Rishi Sunak soll nun die britischen Konservativen retten (https://www.rosalux.de/news/id/47800); https://www.zdf.de/nachrichten/politik/liz-truss-amtszeit-chronologie-100.html

Abb. (PDF): Geschichte eine Amtszeit von 45 Tagen