Politische Berichte Nr.6/2022 (PDF)08
EU-Politik

Asbest: Kommission legt Richtlinienentwurf und Mitteilung vor

Rolf Gehring, Brüssel

Nach dem europäischen Asbestverbot von 2005 wurde es still um das Thema Asbest. Lange Zeit übersahen fast alle Akteure, dass in Millionen von öffentlichen und privaten Gebäuden und in Teilen der Infrastruktur noch Asbest vorhanden ist. Auch von gewerkschaftlicher Seite wurde die Problematik wenig beachtet. Dann, im Jahr 2009, begann eine Debatte in der Europäischen Föderation der Bau- und Holzarbeiter (EFBH). Diese führte zur EFBH-Kampagne „Europa 2023 – Asbestfrei“. Im Mittelpunkt der Kampagne stand und steht die Erstellung nationaler Aktionspläne im Rahmen einer europäischen Initiative zur Beseitigung allen Asbestes, gestützt durch Gesetzesinitiativen in den Zuständigkeitsbereichen der EU.

Brennglas Renovierungswelle

Die Klimaziele der EU und die damit verbundene „Renovierungswelle“ wirken nun wie ein Brennglas auf die Asbestproblematik. Eine Vielzahl von Berufsgruppen (neben den spezialisierten Asbestsanierungsfirmen) wird Arbeiten an Dächern, Heizungsanlagen, Fenstern, Bädern usw. durchführen. Sie alle werden potenziell mit asbestkontaminierten Materialien in Kontakt kommen. Damit besteht die Gefahr, dass die derzeit sehr hohe Zahl der jährlichen Asbestopfer noch einmal sprunghaft ansteigt. Die Europäische Kommission geht von etwa 70 000 Todesfällen durch berufsbedingte Asbestexposition in Europa aus, also 70% aller etwa 100 000 Menschen, die in Europa pro Jahr an arbeitsbedingten Krebserkrankungen versterben.

In diesem Zusammenhang kommen die Vorschläge der Kommission zum Thema Asbest, die am 28. September 2022 vorgelegt wurden, zwar spät, aber sie können die absehbare Katastrophe eindämmen, die eintritt, wenn Sicherheit und Ausbildung der Beschäftigten nicht verbessert werden. Die Kommission hat neben dem Entwurf einer neuen Asbestrichtlinie (2022/489) auch eine Mitteilung (2022/488) vorgelegt, in der weitere asbestbezogene Maßnahmen und Initiativen in anderen Politikbereichen vorgeschlagen werden.

Hintergrund für die Initiative der Kommission ist nicht zuletzt der legislative Initiativbericht des EP vom Oktober 2021. Er basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz und legt dar, welche Initiativen notwendig sind, um den Schutz vor Asbestexposition zu erhöhen und den aktuellen Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse in diesem Bereich umzusetzen. Damit deckt sich der Parlamentsbericht weitgehend mit den Forderungen, die die EFBH mit ihrer Asbestkampagne verfolgt (siehe auch PB 3/2021, Seite 17/18).

Unzureichende Vorschläge der Kommission

Die Kommission schlägt eine Absenkung des Arbeitsplatzgrenzwertes von 100 000 Fasern pro Kubikmeter auf 10 000 Fasern vor. Parlament, die Gewerkschaften und z.B. die International Commission on Occupational Health hatten einen Grenzwert von 1 000 Fasern pro Kubikmeter gefordert. Der Grenzwert wird eine zentrale Rolle in den Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission spielen.

Bei der Richtlinie über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz hat die Europäische Kommission viele der Änderungsvorschläge des Parlaments nicht übernommen. Vor allem die Schulung aller Berufsgruppen, die bei ihrer Arbeit mit Asbest in Kontakt kommen können, ist äußerst wichtig. In der derzeitigen Richtlinie wird lediglich darauf hingewiesen, dass eine Schulung stattfinden muss. Das Parlament hat einen Anhang zu dieser Richtlinie vorgeschlagen, in dem Mindeststandards für a) gewerbliche Asbestarbeiter und b) alle Berufsgruppen, die unbeabsichtigt mit Asbest in Berührung kommen können, beschrieben werden. Wie schon in der Vergangenheit für andere Berufsgruppen (Bus- und LKW-Fahrer oder Seeleute) wäre diese Festlegung von Mindeststandards bei der Sicherheitsunterweisung möglich gewesen, ohne in die Rechtshoheit der Mitgliedstaaten im Bereich der Bildung einzugreifen. Nicht aufgenommen wurde auch der Vorschlag die Einkapselung von Asbestmaterialien zu verbieten.

Vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse in den Bereichen Prävention, technische Sicherheit, Asbestscreening oder Messfragen legte das Parlament eine Reihe konkreter Änderungsvorschläge vor, von denen jedoch keiner übernommen wurde. Die Kommission bezeichnet die Richtlinie als zweckmäßig, kündigt aber in ihrer Mitteilung an, dass sie zu einer Reihe der vom Parlament vorgeschlagenen Änderungen Leitlinien ausarbeiten wird, womit sie die zugrunde liegenden Probleme anerkennt.

Nötig: ein holistischer Ansatz

Auch die Vorschläge des EP für andere Politikbereiche sind von Bedeutung. Es schlägt einen europäischen Rahmen für nationale Asbestsanierungsprogramme vor. Für den europäischen Plan zur Krebsbekämpfung wird eine stärkere Betonung der Asbestprävention gefordert, sowie ein Asbestscreening in der Richtlinie zur Energieeffizienz in Gebäuden (2010/31/EU) vorgeschlagen. Außerdem wird eine Gesetzesinitiative für ein allgemeines Asbestscreening und ein digitales Asbestregister gefordert.

Für die Opfer von Asbestexposition wird vom EP vorgeschlagen, die europäische Liste der Berufskrankheiten an den aktuellen Stand der Forschung anzupassen, d.h. weitere asbestverursachte Krankheiten aufzunehmen. Das Parlament hat dafür einen guten Zeitpunkt gewählt, da die Europäische Kommission diese Liste in gewissem Maße geöffnet hat, um die COVID-19-Krankheiten aufzunehmen. Die Kommission will den Beratenden Ausschuss für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz in Luxemburg dazu konsultieren. Weitere Vorschläge des Parlaments betreffen die Unterstützung von Asbestopfern und das Anerkennungsverfahren. Die Kommission sieht hier keinen Handlungsspielraum, da dies in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.

Angekündigt hat die Kommission dagegen einen Legislativvorschlag für das Screening von Gebäuden und ein digitales Asbestregister. Die Kommission denkt allerdings nicht an einen Rechtsrahmen für nationale Asbestsanierungspläne, sondern fordert die Mitgliedstaaten auf, alle EU-Programme zu nutzen, die für diesen Zweck zur Verfügung stehen. Andere Elemente werden als einigermaßen geregelt beschrieben, wie etwa die Vorschläge zum europäischen Plan zur Krebsbekämpfung.

Zusammenfassend kann man sagen: Das Asbestproblem hat wieder deutlich an Bedeutung gewonnen. Der Parlamentsbericht hat die thematische Betrachtung deutlich ausgeweitet. Mit den Vorschlägen der Kommission wurde eine Reihe von Punkten aufgegriffen. Die Qualität der angekündigten Maßnahmen ist auszuhandeln. Der vorgeschlagene Grenzwert ist aus Arbeitsschutzsicht zu hoch, ein europäischer Rahmen für die Beseitigung aller Asbestreste und eine gründlichere Überarbeitung der Arbeitsschutzrichtlinie wären nötig. Die allgemeine Anerkennung der Bedeutung des Asbestproblems lässt jedoch hoffen, dass die Akteure in den weiteren Diskussionen und Verhandlungen offen und pragmatisch nach Lösungen für die strittigen Fragen suchen werden. Die Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission werden aller Voraussicht nach im Frühjahr nächsten Jahres beginnen und spannend werden.