Politische Berichte Nr.6/2022 (PDF)18b
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

Plattformarbeit

Zusammenstellung: Rolf Gehring, Brüssel

01 Malta: Mindestlohn auch für Plattformarbeiter:
02 Demonstration von belgischen Organisationen der Plattformarbeiter vor dem EU-Parlament.
03 Großbritannien: Neuer Tarifvertrag für Auslieferungsfahrer bei Logistikunternehmen:
04 Tarifvertrag für die Beschäftigten von Deliveroo in den Niederlanden
05 EU: Neue Leitlinien zu Tarifverträgen von Solo-Selbständigen

01

Malta: Mindestlohn auch für Plattformarbeiter: Die maltesische Regierung hat angekündigt, mit dem Haushalt für 2023 eine Reform des Mindestlohnes vorzulegen. Mit ihr soll der Mindestlohn auch für Soloselbständige anwendbar sein, die als Fahrer oder Auslieferer auf digitalen Plattformen arbeiten. Als solche werden sie dann 4,57 Euro Stundenlohn oder 792 Euro Monatsentgelt erhalten. Diese Entscheidung erfolgt nach einem Streik der Beschäftigten bei Bolt Delivery im Juli dieses Jahres. Die Beschäftigten hatten sich gegen eine fast 50%ige Kürzung ihrer Zuschläge zu Stoßzeiten gewehrt.

Quelle: ETUI Nachrichtendienst Collective bargaining – Ausgabe 10/2022

02

Demonstration von belgischen Organisationen der Plattformarbeiter vor dem EU-Parlament. In Belgien haben sich eine Reihe von Organisationen prekärer Selbständigkeit gebildet, u.a. der Taxifahrer und der Essenlieferanten. Sie werden auch von der christlichen Gewerkschaft ACV organisiert. Am 25. Oktober hat nun anlässlich der sogenannten Uber-Anhörung durch das EP, in der die aggressiven Geschäftspraktiken des multinationalen Unternehmens behandelt wurden, eine gemeinsame Demonstration stattgefunden. Das Flugblatt zur Demonstration fokussierte auf die Konstruktion eines „dritten Beschäftigungsstatus“, der die Unterordnung des Arbeitnehmers mit der Verwundbarkeit des Selbstständigen (ohne Rechte des Arbeitnehmers) kombiniert, faktisch einen rechtlosen Arbeitnehmer schafft. Wenn diese Situation, die multinationale Konzerne seit Jahren trotz Gesetzen, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen ausnutzen, anhalten würde, würde sie unweigerlich alle Wirtschaftszweige und alle Unternehmen kontaminieren. Allerdings: Plattformen und insbesondere Uber würden nun tatsächlich mit dem Rücken zur Wand stehen:

• Ein neues belgisches Gesetz zur Plattformwirtschaft (abgestimmt am 29. September) sieht eine Beschäftigungsvermutung für diese Arbeitnehmer vor.

• Eine in Ausarbeitung befindliche europäische Richtlinie geht in die gleiche Richtung.

• Vor allem das Unternehmen Uber wurde für sein aggressives Lobbying durch die „Uber Files“ kritisiert.

Quelle in Niederländisch: Actie platformwerkers en platformen bedreigde werknemers Brussel (hetacv.be)

03

Großbritannien: Neuer Tarifvertrag für Auslieferungsfahrer bei Logistikunternehmen: Die britische Gewerkschaft Unite, die Beschäftigte diverser Branchen organisiert, gab am 1. November bekannt, dass sie eine Tarifvereinbarung von 12,5% Lohnerhöhung für etwa 1000 Bierlieferanten des Logistikunternehmens GXO abgeschlossen habe. Der Abschluss wurde von den Beschäftigten mit überwältigender Mehrheit angenommen. Damit wurden auch Streiks ausgesetzt, die im Falle einer Nichteinigung und für die Zeit der Fußballweltmeisterschaft geplant waren.

Quellen: ETUI N achrichtendienst Collective bargaining – Ausgabe 10/2022

04

Tarifvertrag für die Beschäftigten von Deliveroo in den Niederlanden

Der niederländische Gewerkschaftsdachverband FNV kämpft seit Jahren gegen Praktiken von Unternehmen wie Deliveroo, Uber und Temper. Gewerkschaftssekretärin Dijkman: „Sie sagen, dass ihre Mitarbeiter selbstständig sind, aber in der Praxis stellt sich heraus, dass das nicht stimmt. Die Mitarbeiter werden in der Tat kontrolliert und haben sehr wenig Mitspracherecht über Tarife und Konditionen. Infolgedessen müssen sie ihre eigenen Versicherungspolicen, freien Tage und Rentenbeiträge regeln und bezahlen.“ Das Urteil wird jetzt auch die Forderung der Gewerkschaft stützen, ein bestehendes Gesetz gegen Scheinselbständigkeit besser umzusetzen. Diesbezüglich wird der Regierung bisherige Tatenlosigkeit vorgeworfen.

Quelle in Niederländisch (eigene Übersetzung): FNV Newsbericht

05

EU: Neue Leitlinien zu Tarifverträgen von Solo-Selbständigen

Die Europäische Kommission hat Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts bezüglich der Möglichkeit von Tarifverträgen über Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen verabschiedet. Die Leitlinien stellen klar, wann bestimmte Selbständige sich zusammenschließen können, um gemeinsam über die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu verhandeln, ohne gegen die EU-Wettbewerbsregeln zu verstoßen

„Das Wettbewerbsrecht gilt nicht für Solo-Selbständige, die sich in einer mit Arbeitnehmern vergleichbaren Situation befinden. Dazu gehören Solo-Selbständige, die: (i) Dienstleistungen ausschließlich oder überwiegend für ein Unternehmen erbringen; (ii) Seite an Seite mit Arbeitnehmern arbeiten; und (iii) Dienstleistungen für oder über eine digitale Arbeitsplattform bereitzustellen. Die Kommission wird die EU-Wettbewerbsregeln nicht gegen Tarifverträge von Solo-Selbständigen durchsetzen, die sich in einer schwachen Verhandlungsposition befinden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Solo-Selbstständige aufgrund von Verhandlungen mit wirtschaftlich stärkeren Unternehmen mit einem Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht konfrontiert sind oder wenn sie Tarifverhandlungen nach nationalem oder EU-Recht führen.“

Quelle: Guidelines on collective agreements by solo self-employed (europa.eu)

Abb. (PDF): Foto: DGB, www.dgb.de/ 25.01.2022, Suchwort: Plattformökonomie. DGB-Positionspapier

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