Politische Berichte Nr.6/2022 (PDF)22
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Dok: Bundes Roma Verband fordert dringend Verbesserungen zur Situation geflüchteter Roma aus der Ukraine in Deutschland

Rosemarie Steffens. „Bereits seit Beginn des Krieges haben wir Diskriminierung und Rassismus gegen flüchtende Roma verzeichnet. Diese ereignen sich in der Ukraine selber, an den Grenzen und in den Ländern, in die Roma fliehen. Auf unseren Recherchereisen haben wir uns die Situation in Polen und Tschechien Aufgrund der katastrophalen Lage für geflüchtete Roma dort, haben wir viele von ihnen dabei unterstützt, in Deutschland Zuflucht zu finden. Jedoch ist auch hier die Lage verbesserungsbedürftig“. (Bundes Roma Verband e.V.) – Nach nunmehr fast acht Monaten Erfahrung mit geflüchteten Roma in Deutschland, Recherchen in verschiedenen deutschen Städten und Gesprächen mit anderen Roma-Organisationen sowie ehren- wie hauptamtlichen Unterstützer:innen, richtet der Bundes Roma Verband folgende Empfehlungen an Politik und Verwaltung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene:

Vereinfachtes Aufnahme-Verfahren für Roma aus der Ukraine. Ukrainische Roma sind Nachkommen von Überlebenden und Opfern der Verfolgung und Vernichtung während des Nationalsozialismus, dem Porajmos. Manche sind selbst noch Überlebende. Analog zur jüdischen Zuwanderung aus der Ukraine, muss es auch für die Roma ein vereinfachtes Verfahren zur Aufnahme in Deutschland geben …

Großzügige Unterbringungsmöglichkeiten, wo Menschen gemeinsam untergebracht werden können. Überwiegend Frauen und Kinder sind auf der Flucht, mit Jugendlichen und manchmal pflegebedürftigen Angehörigen. Ein Großteil wird in (privaten) Wohnungen untergebracht. Das ist sehr zu begrüßen. Roma haben jedoch große Probleme, eine Wohnung zu finden, da sie häufig in größeren Gruppen fliehen und sich nicht aufteilen wollen, um sich zu schützen. Zudem wollen viele Vermieter:innen sie nicht als Mieter:innen. Sie müssen daher übermäßig lang in großen Unterkünften verbringen, die zudem häufig infrastrukturell schlecht angebunden sind. Damit sind Schule, Arbeit, medizinische Versorgung und Anbindung an Roma-NGOs schwer zu erreichen … Laut Bund stehen aktuell etwa 6400 Immobilien in staatlicher Hand leer, die für die Unterbringung von Geflüchteten in Frage kommen …

Roma berichten von massiven Diskriminierungen und Beleidigungen, neben den Kriegstraumata, die sie erlitten entlang der Fluchtrouten Richtung Westen. Auch in den Unterkünften in Deutschland kommt es regelmäßig zu Problemen mit weißen Ukrainer:innen, die nicht mit Roma untergebracht werden wollen. In manchen Städten kam es gar zu Protesten durch weiße Ukrainer:innen. Gleichzeitig werden immer wieder Roma durch Unterkunfts-Leitungen, Verwaltungen und Medien als das Problem dargestellt …

Dolmetscher:innen aus der Community sind nötig. Viele Romnja (weibliche Form, Red.) sprechen Romanes, Ukrainisch und/oder Russisch, jedoch nicht die Sprachen der Länder, in die sie fliehen. Manche Roma aus der westlichen Ukraine sprechen weder Ukrainisch noch Russisch, sondern Ungarisch. Unter Roma gibt es aufgrund der vorherrschenden strukturellen und institutionellen Diskriminierung eine erhebliche Zahl an Personen, die nicht lesen und schreiben kann … Sie sind auf Dolmetscher:innen angewiesen. In der Regel sind die Sprachmittler:innen jedoch weiße Russ:innen oder Ukrainer:innen, also Angehörige der Mehrheitsbevölkerung. Wenn Mehrheitsangehörige für Minderheitenangehörige aus derselben Bevölkerung dolmetschen, führt das immer wieder zu Problemen, wie wir aus der langjährigen Erfahrung … (und teilweise aus eigener Erfahrung) wissen … Verstellende, falsche oder verweigerte Übersetzungen sind gängig und führen für die Betroffenen zu nicht selten gravierenden Problemen …

Unterstützung von Antragstellungen … sei es beim Antrag auf Aufenthalt und Leistungen oder bei der Schulanmeldung der Kinder.

Kinder müssen beschult werden. Unabhängig vom Unterbringungsort haben Kinder ein Recht auf Bildung. Kinder und Jugendliche müssen ins reguläre Schulsystem inkludiert werden. Auch bei Familien, die über lange Zeiträume in Aufnahmelagern bleiben, müssen die Kinder und Jugendlichen Zugang zu regulären Schulen haben. Das ist aktuell meist nicht möglich, da die Lager weit abgelegen und schlechte Anbindung an die Schulen haben.

Gleichbehandlung dokumentierter und undokumentierter Geflüchteter. Zur strukturellen Diskriminierung gehört, dass ca. 20% von den ca. 400 000 Roma in der Ukraine keine Pässe haben … Andere haben ihre Dokumente im Zuge der Flucht verloren. Für all diese Menschen ist es deutlich schwieriger, die Grenzen zu passieren und sich vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen.

Ukrainer:innen ohne Dokumente, also in der Regel Roma, werden ins Asylverfahren geschickt. In der Folge erhalten sie keinen Aufenthalt nach § 24 und die damit verbundenen Privilegien wie die anderen Ukrainer:innen. Dies ist dringend zu ändern, damit diese ohnehin besonders vulnerable Gruppe denselben Schutz und die selben Privilegien – Arbeitserlaubnis, Sprach- und Integrationskurse, Anbindung ans Jobcenter, Leben in Privatwohnungen etc. – erhält wie die anderen Ukrainer:innen.

Es braucht strukturelle Förderung der Roma-NGOs. Roma-Selbstorganisationen übernehmen ehrenamtlich einen großen Teil der Unterstützung geflüchteter Roma aus der Ukraine. Es gibt bundesweit nur sehr wenige Stellen, die beratend tätig sind. Gleichzeitig sind die regulären Migrationsberatungsstellen sowohl personell als auch thematisch überfordert und treten an uns mit entsprechenden Bedarfen heran. Um langfristig eine Inklusion in die Gesellschaft zu fördern und die Fehler im Umgang mit den geflüchteten Roma aus Jugoslawien zu vermeiden, benötigen die Roma-Selbstorganisationen strukturelle Förderung für: Mediator:innen aus der Roma-Community, die engmaschig die ankommenden Roma unterstützen, begleiten, sie aufklären, wie das deutsche System funktioniert und zwischen Angehörigen der Community und Behörden sowie Schulen vermitteln und den Zugang zur Roma-Community in Deutschland bieten. Diese müssen bei den Roma-Selbstorganisationen angesiedelt sein. Sozial- und Migrationsberatung, die bei allen bürokratischen Angelegenheiten unterstützen, Anträge ausfüllen, bei der Kommunikation mit Behörden und Schulen sowie der Wahrnehmung von Rechten unterstützen, sowie auch bei der Einschulung, bei der Suche nach Wohnung, Arbeit und medizinischer Hilfe. Fortbildungen zur Sensibilisierungen von Dolmetscher:innen, Mitarbeiter:innen von Verwaltungen, Unterkünften und Beratungsstellen. Begegnungs- und Schutzräume für Romnja, die vielfach durch Krieg und langjährige Diskriminierungserfahrungen traumatisiert sind.

www.bundesromaverband.de/bewegungsfreiheit-und-schutz-fuer-roma-aus-der-ukraine/

Abb. (PDF): Foto: www.roma-center.de/gefluchtete-roma-aus-der-ukraine-in-polen-ein-reisebericht-des-roma-centers/