Politische Berichte Nr.6/2022 (PDF)23
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Schwedendemokraten – keine Minister, aber entscheidenden Einfluss auf die Regierungspolitik

Michael Juretzek, Bremen

„Paradigmenwechsel in der schwedischen Politik. Niemals zuvor hat eine fremdenfeindliche, nationalistische Partei Schlüssel zur Regierungskanzlei erhalten“, kommentierte die Vorsitzende der Zentrumspartei Annie Lööf die Wahl von Ulf Kristersson am 17. November zum Ministerpräsidenten. Er bildete nach den Wahlen im September eine Koalition aus Moderater Sammlungspartei (19,1 %), Christdemokraten (5,3%) und Liberalen (4,6%). Diese 29%-Koalition ist für ihre Handlungsfähigkeit abhängig von der Unterstützung durch die nationalistischen Schwedendemokraten.

Die 1988 gegründete Partei ging aus der Bewegung „Schweden soll schwedisch bleiben“ hervor, kam mit 5,7% erstmals 2010 in den Reichstag und wurde dieses Jahr nach den Sozialdemokraten (30,9%) mit 20,5% zur zweitstärksten Kraft im Parlament.

Was bis jetzt aus Kristerssons Regierungserklärung bekannt ist, lässt erahnen, wie groß der Einfluss der Schwedendemokraten auf die Regierungspolitik ist. Er begründet die abnehmende Fähigkeit der Gesellschaft, mit Krisen umzugehen, mit der seit Jahrzehnten starken Zuwanderung. Die schwedische Gesellschaft sei belastet durch Ghettobildung, Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit, schlechte Bildungsergebnisse, Kriminalität und Unsicherheit als Folge gescheiterter Integrationspolitik.

Im Wahlprogramm der Schwedendemokraten heißt es dazu ganz am Anfang: „Die Unsicherheit. die zu einem strukturellen sozialen Problem geworden ist, ist die schwerwiegendste Folge der grenzenlosen Migrationspolitik, die von einer langen Reihe von Regierungen verfolgt wurde.“ Und weiter: „Die Folgen für Schweden – in Bereichen wie dem Arbeitsmarkt und den Schulen, der Kriminalitätsentwicklung, dem Zusammenhalt und der öffentlichen Wirtschaft – sind kaum zu übertreiben.“ Um dann zu fordern: „Schweden muss die jahrzehntelange unverantwortliche Masseneinwanderung umkehren und sich auf freiwillige Rückkehr konzentrieren. Die Einwanderung von Asylbewerbern aus Ländern außerhalb unserer Nachbarschaft muss gestoppt werden.“

Und Kristersson liefert. Er kündigte an, statt bisher 6400 Flüchtlinge jährlich nur noch 900 über die EU-Quotenregelung aufzunehmen, Familienzusammenführung zu erschweren und nur noch Menschen zeitweilig internationalen Schutz zu gewähren, die „vor Konflikten und Krisen in der Nachbarschaft Schwedens fliehen“. Der Forderung der Schwedendemokraten nach Entzug der Staatsangehörigkeit für straffällig gewordene eingebürgerte Einwanderer kommt er mit dem Versprechen entgegen, vergebene Aufenthaltstitel wieder einzuziehen und den Erwerb der Staatsangehörigkeit zu erschweren.

Die Arbeitslosenquote liegt aktuell mit 7,2% unter der vom Jahr 2010 mit 8,8% und deutlich unter der Mitte der 90er Jahre mit über 10%. Die Erwerbstätigenquote bewegt sich seit 20 Jahren konstant um die 60%-Marke. Das BIP pro Einwohner hat sich seit 2000 auf 60 000 Dollar verdoppelt (inflationsbereinigt + 53%). Nicht unbeträchtliche Teile der Jugendlichen müssen sich seit 2009 mit einer Arbeitslosigkeit von über 20%, aktuell 25%, von dieser Entwicklung abgekoppelt fühlen. Über 35% der Gymnasiasten besuchen eine von der Gemeinde finanzierte Privatschule. Ein Wahlkampfthema war die von Linken und Grünen geforderte Abschaffung der gesetzlich erlaubten Gewinnausschüttung an Aktionäre von Privatschulen. Konservative und Schwedendemokraten lehnen das ab. Die Methode, soziale Verwerfungen und staatliches Fehlverhalten „kulturfremden“ Einwanderern in die Schuhe zu schieben, ist typisch für völkische Politik. Es ist festzustellen, dass sie in der schwedischen Regierungspolitik angekommen ist.

Auch in der Energiepolitik ist die Handschrift der Schwedendemokraten zu erkennen. Im Wahlprogramm fordern sie eine Abkehr von der „ideologisch“ geprägten Energiepolitik durch die Bevorzugung von Windkraft. Kristersson kündigte an, die Subventionen für Offshore-Windanlagen zu streichen, zugunsten neuer Kernkraftwerke. 1980 hatten sich die Schweden mit einer Volksabstimmung für den Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen.

Inwieweit die Regierung den Bestrebungen der Schwedendemokraten nach Verstaatlichung der zum großen Teil gewerkschaftlich organisierten Arbeitslosenversicherung inklusive Leistungskürzungen nach 100 Tagen entgegenkommt, ist noch nicht bekannt. Auch die Abschaffung der gewerkschaftlichen Kontrolle bei der Ernennung der betrieblichen Sicherheitsbeauftragten und Senkung der Krankengeldkosten für kleine Unternehmen steht auf der Tagesordnung.

Bei der „Schaffung optimaler Bedingungen für die schwedische Industrie“ verfolgen die Schwedendemokraten ein aggressiv gewerkschaftsfeindliches Programm, in der Gesellschaftspolitik ein nationalistisch spaltendes menschenfeindliches. Ihre Möglichkeiten zur Umsetzung waren noch nie so groß.

Ob die drei Koalitionspartner diese Zumutungen, ohne innere Zerrissenheit zu provozieren, durchhalten, ist fraglich. Entgegen der versprochenen Sicherheit werden die angekündigten und zu befürchtenden Maßnahmen zu heftigeren sozialen Verwerfungen und innen- und außenpolitischen Auseinandersetzungen führen.

Aus der Renew-Europe-Fraktion im Europaparlament werden Stimmen nach einem Ausschluss der schwedischen liberalen Abgeordneten laut. Der Chef von Macrons Partei „Renaissance“ sagte:

„Unsere Gruppe (Renew Europe) wurde gegründet auf der Basis des Kampfes gegen Populisten und die extreme Rechte. Ich kann nicht hart mit meinen politischen Gegnern und weich gegenüber meinen Fraktionskollegen sein, wenn sie dasselbe tun.“

Quellen: Regierungserklärung: https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/aus-aller-welt/schweden-regierungserklaerung-kristersson/; Wahlplattform: www.sd.se/dokument; Statistik: https://www.destatis.de/DE/Themen/LaenderRegionen/Internationales/Laenderprofile/schweden.pdf?__blob=publicationFil.

Abb. (PDF): Oben: Frühere Werbung der Schwedendemokraten „Schweden bleibt schwedisch!“.https://en.wikipedia.org/wiki/Bevara_Sverige_Svenskt

Unten: Heutige Werbung: „Sicherheit (Geborgenheit) & Tradition“. Wikipedia. Schwedendemokraten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sverigedemokraterna