Politische Berichte Nr.1/2023 (PDF)10
Aktionen-Initiativen

Aktionen/Initiativen: NSU-Verbrechen aufklären!

Redaktion: Thorsten Jannoff

01 Drei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau: Wir trauern und erinnern.
02 Hanau-Untersuchungsausschuss: Besserer Opferschutz und eine bessere Betreuung von Angehörigen sind überfällig
03 Lübcke-Untersuchungsausschuss: Wir haben viele Fragen an Ministerpräsident Rhein!
04„Auf gutem Kurs“ sind wir erst, wenn wir sehen können, wo es lang geht! Zweiter Offener Brief zum PUA „Neukölln“, 4. Januar 2023
05 NSU-Watch: Über uns: „Aufklären und Einmischen“!
06 Hamburg: Protest beim Neujahrsempfang der Grünen

Thorsten Jannoff. Am 19. Februar 2023 jähren sich zum dritten Mal die rassistischen Morde von Hanau. Die Angehörigen der Opfer kritisieren fehlenden Aufklärungswillen der Staatsorgane sowie respektloses Verhalten der Behörden ihnen gegenüber. Der Untersuchungsausschuss dazu soll noch bis zum Sommer 2023 tagen. Ein weiterer Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags befasst sich mit dem Mord an Walter Lübcke. In beiden Ausschüssen engagiert sich die linke Fraktion im Hessischen Landtag für eine lückenlose Aufklärung. Auch in Berlin hat das Abgeordnetenhaus im Mai 2022 einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie im Bezirk Neukölln eingesetzt. NSU-Watch kritisiert u.a. eine Missachtung der Betroffenen durch den Ausschuss. In Hamburg ist dagegen immer noch kein Untersuchungsausschuss zur parlamentarischen Aufklärung des NSU-Komplexes eingesetzt worden. Dagegen regt sich Widerstand.

01

Drei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau: Wir trauern und erinnern.

Abb.(PDF): Plakat, Es sind 1065 Tage vergangen. 1065 Tage – das sind 2 Jahre und 11 Monate. Tage, die wir zählen, seitdem wir Ferhat, Hamza, Said Nesar, Vili Viorel, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat und Gökhan verloren haben durch einen rassistischen Mörder.

Jahre, Monate und Tage vergehen, aber der Schmerz wächst weiter.

19feb-hanau.org Der 19. Februar 2020 – an jenem Tag wurden unsere Liebsten auf brutale Weise aus unserem Leben gerissen. Die Wunden, die dieser Tag in uns hinterlassen hat, verheilen nicht. Jahre, Monate und Tage werden vergehen – der Schmerz bleibt.

Seit dem 19. Februar 2020 wissen wir auch, dass unsere Liebsten nicht nur ein Teil unseres Lebens waren. Im ganzen Land zeigten sich die Menschen mit ihnen verbunden. Sie gaben etwas ab von ihrer Zeit, ihrem Leben, ihren Ideen und ihrer Kraft, um die Trauer und die Wut gemeinsam zu tragen und die Erinnerung lebendig zu halten.

Wir haben versprochen, dass wir keine Ruhe geben werden. Seit drei Jahren tragen wir eure Namen überall hin.

Wir erzählen eure Geschichten, klagen über das was passiert ist, das was nicht gesagt wird und das was nicht verhindert wurde.

In diesen drei Jahren haben wir mit allen politisch Verantwortlichen gesprochen. Wir waren in Frankfurt, in Wiesbaden, in Berlin. Wir sind auf offene Türen und Ohren gestoßen. Aber nicht auf offene Herzen.

Uns wurde Gerechtigkeit versprochen. Und doch müssen wir auch zum dritten Jahrestag weiterhin nach Konsequenzen fragen, die es immer noch nicht gibt. Der Untersuchungsausschuss, der unsere Fragen beantworten sollte, wird seinem Auftrag nicht gerecht. Wir fragen uns, wie lange wollen hessische Sicherheitsbehörden noch vertuschen, wie lange noch schweigen, wie lange noch ignorieren?

Heute, fast drei Jahre später, wissen wir: die Grenze der Gerechtigkeit heißt Konsequenzen.

Ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt es bis heute nicht, wir kämpfen weiterhin darum, dass es ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt.

Wir haben selbst recherchiert und aufgeklärt und unsere gemeinsame Ausstellung mit Forensis wird ab dem 1. Februar bis zum 18. März im Hanauer Rathaus sein.

Am Jahrestag am 19.2.2023 werden wir in Hanau, Offenbach und Dietzenbach auf den Friedhöfen im Stillen gedenken. Am Marktplatz wird es das offizielle Gedenken geben. Wir werden zusammen mit dem Hanauer Jugendbündnis ab 16 Uhr demonstrieren. Ab 21:30 Uhr versammeln wir uns mit euch an den Tatorten am Heumarkt und in Kesselstadt, um nicht alleine zu bleiben.

Wir fordern euch für den 19. Februar wieder dazu auf, an unserer Seite zu stehen. Organisiert auf den Straßen und Plätzen eurer Städte und Dörfer Kundgebungen, Demonstrationen, Gedenkaktionen. Erinnern heißt verändern.

https://19feb-hanau.org/2023/01/24/3-jahre-nach-dem-rassistischen-anschlag-in-hanau-wir-trauern-und-erinnern/

02

Hanau-Untersuchungsausschuss: Besserer Opferschutz und eine bessere Betreuung von Angehörigen sind überfällig

linksfraktion-hessen.de In der heutigen Sitzung (13.1.23) wurden zwei Polizisten zum Thema des Umgangs mit den Angehörigen der Opfer in dem Betreuungszentrum der Polizei in der Tatnacht vernommen. Dazu erklärt Saadet Sönmez, Obfrau für die Fraktion Die Linke im Untersuchungsausschuss Hanau sowie Abgeordnete für den Wahlkreis Main-Kinzig:

„Das polizeiliche Betreuungszentrum für Angehörige in der Polizeistation Hanau II diente eher der Verwahrung als der tatsächlichen Betreuung von Angehörigen. Das psychologische Unterstützungsangebot war völlig unzureichend. Die berechtigten Informationsbedürfnisse der Angehörigen wurden nicht gestillt. Dies hat dazu geführt, dass viele Angehörige in einer Hilflosigkeit belassen wurden und sich ‚allein gelassen‘ fühlten, wie eine Angehörigen eines der Ermordeten schilderte.“ Es sei sehr ernüchternd, dass trotz langjähriger Erfahrungen mit rechtem Terror der Opferschutz einen offensichtlichen geringen Stellenwert habe, so Sönmez. „Einer der Polizisten im Zeugenstand berichtete, dass es inzwischen strukturelle Änderungen in den Planungen der Polizei für den Opferschutz gebe, um diese offensichtlichen Leerstellen zu füllen. Ob diese verbesserten Planungen für den Opferschutz ausreichen, werden wir genau prüfen.“

https://www.linksfraktion-hessen.de/index.php?id=748&no_cache=1&tx_news_pi1[news]=115518&tx_news_pi1[controller]=News&tx_news_pi1[action]=detail

03

Lübcke-Untersuchungsausschuss: Wir haben viele Fragen an Ministerpräsident Rhein!

Zur Sitzung des UNA 20/1 am kommenden Freitag (20.1.23), in dem der Ministerpräsident und ehemaliger Innenminister Boris Rhein (CDU) als Zeuge vernommen wird, erklärt Torsten Felstehausen, Parlamentarischer Geschäftsführer und Obmann im Lübcke-Untersuchungsausschuss der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag:

„Wir haben viele Fragen an den ehemaligen Innenminister Boris Rhein (CDU), in dessen Amtszeit die Selbstenttarnung des NSU fällt. Wie konnte es passieren, dass die Zustände im Landesamt für Verfassungsschutz nach den Erkenntnissen aus dem NSU-Komplex nicht verbessert wurden?

Welche Mängel die von Rhein beauftragten, sogenannten geheimen ‚NSU-Akten‘ bereits 2013 benannten, ist seit dem Aktenleak durch Jan Böhmermann und FragDenStaat öffentlich. Dazu gehörten eine mangelhafte Aktenführung und dass Hinweisen oft nicht nachgegangen wurde – beides Probleme, die uns auch im Lübcke-Untersuchungsausschuss begegneten. Wieso diese Defizite nicht behoben wurden, wird der Innenminister a.D. Rhein erklären müssen.“

Ebenso brisant sei die Tatsache, dass unter Rhein das Löschmoratorium für Akten aus dem Bereich Rechtsextremismus umgesetzt und die Konsequenzen nicht mitgedacht worden seien, so Felstehausen.

„Die unüberlegte Umsetzung des Löschmoratoriums führte zum Bearbeitungsstau, durch den die Qualität der Arbeit im Landesamt massiv litt. Das zeigt sich besonders schmerzhaft in der internen Löschung der Akte Ernst, da eine vorherige Prüfung von dessen Gefährlichkeit versäumt wurde.“

Ein ausführlicher Bericht zu der 37. Sitzung des Lübcke-Untersuchungsausschusses am 20. Januar findet sich unter:

https://www.linksfraktion-hessen.de/index.php?id=748&no_cache=1&tx_news_pi1[news]=115542&tx_news_pi1[controller]=News&tx_news_pi1[action]=detail

04

„Auf gutem Kurs“ sind wir erst, wenn wir sehen können, wo es lang geht!

Zweiter Offener Brief zum PUA „Neukölln“, 4. Januar 2023

https://www.nsu-watch.info Nun wurden von Juni bis Dezember 2022 neun Sitzungen im langerwarteten parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Neukölln“ abgehalten. Betroffene wurden als Zeuginnen und Zeugen angehört und die Einschätzung von externen Sachverständigen, wie den Opferberatungsstellen, hinzugezogen. Die Phase dieser Anhörungen ist mit der 9. Sitzung (am 9.12.2022) abgeschlossen worden. Der Ausschussvorsitzende Florian Dörstelmann (SPD) bilanziert, der Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln sei bis jetzt „erfolgreich“ verlaufen, der Ausschuss habe „einen hervorragenden Überblick darüber bekommen, wie welche Akteure zugange sind, wie die Vernetzung erfolgt und was einzelnen Akteuren mutmaßlich zugeordnet werden kann“, und schlussfolgert: „Das heißt, wir erkennen die Muster der Anschlagsserie immer besser.“ (lt. „Tagesspiegel“). In der 10. Sitzung am 6. Januar soll es weitergehen mit der Beweiserhebung durch die Zeug:innen Uta Leichsenring und Dr. Herbert Diemer, die vom damaligen Innensenator Geisel als Sonderermittler im „Neukölln-Komplex“ eingesetzt wurden. In einer gemeinsamen Runde mit den zuständigen Senatsverwaltungen soll außerdem besprochen werden, wie künftig Akten für den Ausschuss zur Verfügung gestellt werden können. Denn zuvor hatten die Sprecher:innen der Fraktionen beklagt, dass kaum Unterlagen vorlägen und dem Senat eine „Blockade“ vorgeworfen.

„Auf gutem Kurs“ sind wir erst, wenn wir sehen können, wo es lang geht! Die Anhörung der Zeuginnen und Zeugen und der externen Expert:innen war sehr aufschlussreich und ein großer Erfolg der Betroffenen von rassistischer und rechter Gewalt sowie der mit ihnen solidarischen Menschen aus Gesellschaft und Politik. In einem Ersten Offenen Brief haben wir unsere Anliegen, Vorstellungen und auch Kritiken dargelegt. Nach der 9. Sitzung kommen wir zu einer etwas anderen Schlussfolgerung:

Der Untersuchungsausschuss legt eine Missachtung der Betroffenen zutage, die inakzeptabel ist. Es gibt in der Sache engagierte Abgeordnete und es gibt Abgeordnete, die öffentlich verkünden, sie hätten den Bericht der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) vor deren Anhörung gar nicht gelesen, wie es der Fall beim maßgeblichen CDU-Vertreter im Ausschuss war.

Wir haben den Eindruck, dass Abgeordnete und Fraktionen immer noch nicht verstanden haben, was der Untersuchungsausschuss leisten soll und muss. Der Ausschuss wird bloß mehr oder weniger durchgezogen.

Aktenanforderungen endlich durchsetzen! Bisher verweigern Innen- und Justizverwaltung die Herausgabe der relevanten Akten aus den Sicherheitsbehörden an den Ausschuss. Die Justizverwaltung verweist dabei auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main, wonach die Herausgabe von Akten an den vom Hessischen Landtag hierzu eingesetzten Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübke bis zum Abschluss des Strafverfahrens die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens gefährde. Derartige Scheinprobleme sind im Zusammenhang mit den vom Bundestag und einzelnen Landtagen eingesetzten NSU-Untersuchungsausschüssen nie konstruiert worden!

Ergeben sich aus den Behördenakten tatsächlich noch Wunder, die in das jetzt noch beim Amtsgericht laufende Verfahren gegen Sebastian Thom eingeführt werden können?

Und was ist mit den eingestellten Ermittlungsverfahren?

Der Ausschuss muss hier endlich aktiv werden und notfalls auch rechtliche Schritte ohne Rücksichtnahme auf die parteipolitische Zuordnung der betreffenden Ressorts ergreifen.

https://www.nsu-watch.info/2023/01/auf-gutem-kurs-sind-wir-erst-wenn-wir-sehen-koennen-wo-es-lang-geht-2-offener-brief-zum-neukoelln-ua/

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NSU-Watch: Über uns: „Aufklären und Einmischen“!

Die rassistische Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) markiert eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Geschichte. Die Taten des NSU, sein Netzwerk und die Rolle der Behörden sind auch nach dem Ende des Münchener NSU-Strafprozesses längst nicht aufgeklärt. NSU-Watch wird von einem Bündnis aus rund einem Dutzend antifaschistischer und antirassistischer Gruppen und Einzelpersonen aus dem ganzen Bundesgebiet getragen, die seit über einem Jahrzehnt zum Themenkomplex arbeiten. Von 2013 bis 2018 war der Kern der Arbeit von NSU-Watch die Beobachtung des Prozesses in München. Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt sind auch nach der Zäsur, die der NSU-Komplex war, virulent. Das rassistische Attentat am Münchener Olympia-Einkaufszentrum 2016, der Mord an Walter Lübcke 2019, der antisemitische, rassistische und misogyne Anschlag in Halle 2019 und das rassistische Attentat in Hanau 2020 belegen dies auf besonders traurige Weise.

Deshalb macht NSU-Watch weiter! Wir schauen dem Staat bei seinen Aufklärungsversuchen weiter auf die Finger, wir dokumentieren, recherchieren und intervenieren weiter. Wichtige Instrumente dafür sind unsere Social-Media-Kanäle und der seit 2018 regelmäßig erscheinende Podcast „Aufklären & Einmischen“.

https://www.nsu-watch.info/nsu-watch/

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Hamburg: Protest beim Neujahrsempfang der Grünen

Christiane Schneider, Hamburg. Die Grünen hatten zum Neujahrsempfang geladen – und das Hamburger Bündnis gegen Rechts kam, wenn auch nicht ins Rathaus, sondern zu einer kleinen Kundgebung davor. Mit Flyern und einem Transparent wurden die Grünen an ihren über ein Jahr alten Beschluss zu einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu rechten Netzwerken in Hamburg erinnert. Geschehen ist nämlich bisher nichts. Die Linksfraktion bereitet zurzeit einen Antrag vor, um das Anliegen der Opfer nach parlamentarischer Aufklärung des NSU-Komplexes in Hamburg endlich voranzubringen.

Abb.(PDF): Kundgebungsfoto