Politische Berichte Nr.1/2023 (PDF)12a
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Berufsverbote: Kretschmann bedauert, aber keine Entschuldigung und keine Entschädigungen

Alfred Küstler, Stuttgart. Nach jahrelangem Drängen von Betroffenen hat sich der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann jetzt zu einer Geste entschlossen. Am 18. Januar veröffentlichte er einen offenen Brief „persönlich direkt an die Betroffenen und die Öffentlichkeit des Landes“. Kretschmann beginnt damit, dass er die „die Idee einer ‚wehrhaften Demokratie‘, die sich gegen ihre Feinde verteidigt und die Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger schützt“ als „bis heute richtig“ verteidigt. Allerdings habe „der Radikalenerlass viel mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet“. Er bezieht sich dann auf die Veröffentlichung der Universität Heidelberg „Verfassungsfeinde im Land? Baden-Württemberg, ´68 und der Radikalenerlass“, die vom Land angeregt und gefördert wurde. An seiner persönlichen Betroffenheit (Kretschmann musste als angehender Lehrer zu einer Anhörung wegen Teilnahme und Unterstützung von Aktionen an der Uni Hohenheim) erläutert er, warum mehr Gelassenheit gegenüber „revolutionärem Gehabe“ besser gewesen wäre. Kretschmann zieht den Schluss: „Eine ganze Generation wurde unter Verdacht gestellt, das war falsch. Einzelne mögen dann zu Recht sanktioniert worden sein, manche aber eben auch nicht. Sie haben zu Unrecht durch Gesinnungs-Anhörungen, Berufsverbote, langwierige Gerichtsverfahren, Diskriminierungen oder auch Arbeitslosigkeit Leid erlebt. Das bedauere ich als Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg sehr. Für diejenigen, die auf dem Rechtsweg nachteilige Entscheidungen revidieren konnten, waren es belastende und zermürbende Kämpfe. Andere, die diese Kämpfe nicht führen konnten oder wollten, tragen seither die beruflichen und biographischen Folgen des mangelnden Augenmaßes und dazu damit einhergehende Kränkungen.“

Die direkt Betroffenen haben seit dem Amtsantritt von Kretschmann im Jahr 2011 immer wieder eine Entschuldigung verlangt und Anerkennung von Entschädigungsansprüchen; ein Teil von ihnen muss mit sehr kleiner Rente auskommen. Ob von Kretschmann auf ihre Forderungen mehr als das laue Bedauern im offenen Brief erfolgt? Eine geringe Chance besteht noch: Für Februar ist ein Gespräch mit der Betroffenen-Initiative im Staatsministerium geplant. Wir werden berichten.

Quelle: https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/meldung/pid/offener-brief-demokratie-ist-eine-lernende-veranstaltung; Foto: www.berufsverbote.de

Abb.(PDF): Betroffene bei einer Ausstellungseröffnung am 20.3.2019 in Mannheim