Politische Berichte Nr.1/2023 (PDF)30
Kalenderblatt

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15. Juni 1987 Europäische Union. U: Rat beschließt Förderung der „Mobilität von Hochschulstudenten“ (ERASMUS)

Das Akronym ERASMUS steht für EuRopean Community Action Scheme for the Mobility of University Students (Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten), wird aber auch gern mit Erasmus von Rotterdam in Verbindung gebracht mit dem Hinweis auf dessen Einordnung als gebildeten Humanisten der Renaissance. Was von zahlreichen Universitäten bilateral über Nationengrenzen hinweg bereits vielfach praktiziert wurde, bekam mit dem Beschluss des Europäischen Rats 1987 einen institutionellen Rahmen.

01 Abb.(PDF): 2002 – 15 Jahre nach ERASMUS-Start – hat der französische Regisseur Cédric Klapisch mit „L‘Auberge Espagnol“ einen Film mit und über junge Europäer in die Kinos gebracht,
02 Abb.(PDF): Sofia Corradi (geboren im Jahr 1934 in Rom), die von ihren Freunden als Initiatorin des Erasmus-Programms gefeiert wird,

Von Eva Detscher, Karlsruhe

Mit Entstehung der Zünfte war es für Gesellen in Handwerksberufen obligatorisch, auf Wanderschaft zu gehen. Baumeister haben bereits seit dem frühen Mittelalter andere Stile und Verfahren durch jahrelange Reisen quer durch die zugängliche Welt studiert; bei Studenten, Forschern, Ingenieuren, Künstlern ist ein Aufenthalt in der Ferne seit allen Zeiten – nicht flächendeckend, aber doch – üblich. Nach 1945 haben zahlreiche Einzelinitiativen und -projekte den Wunsch nach Leben und Lernen im Ausland in ganz besonderem Ausmaß für ganz unterschiedliche Milieus und Berufe ermöglicht, befördert und verstetigt. Städtepartnerschaften, Schüleraustausche, Ferienaufenthalte – und aufgrund des großen Engagements der Hochschulen und auf der Basis von Stiftungen nahmen Studienjahre an ausländischen Universitäten entsprechend der Angebote und Möglichkeiten ständig zu. Sofia Corradi, die von ihren Freunden als Initiatorin des Erasmus-Programms gefeiert wird, hat auf der Basis eigener Erfahrung geholfen, dass es gesellschaftlichen Rückhalt für diesen, zuerst noch, akademischen Austausch gibt (siehe unten).

Die Lernfähigkeit der Europäischen Gemeinschaften von einer reinen Wirtschaftsunion zu der EU von heute ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Staatenbund: Bildungspolitische Fragen galten anfangs als exklusiv nationale Angelegenheit der Mitgliedsstaaten. Impulse aus diesen Staaten konnten Anfang der 1970er Jahre allerdings nicht mehr ignoriert werden: die Bildungsminister einigten sich mit dem Rat der Europäischen Gemeinschaften auf eine Resolution Gemeinsam aktiv in der Bildung. Noch hatten die schon längst praktizierten Austauschprogramme (meist auf privater, kommunaler oder Vereins-Initiative beruhend) keine europaweite Struktur. Erst ab 1976 (bis dann 1987) wurden sogenannte spezielle Joint Programmes (gemeinsame Programme) von der Europäischen Kommission gefördert. In dieser direkten Zusammenarbeit von Universitäten über Nationalgrenzen hinweg und die Veränderungen der Sichtweise auf den jeweils anderen war dann auch das Neue in die EWG gekommen: mehr als nur Wirtschaft. Identifikation des Einzelnen mit Europa über Kultur und Bildung und Symbole wie eine Europaflagge und die Europahymne (Beethovens „Ode an die Freude“) rückten ins Blickfeld der europäischen Einigung.

Der Europäische Gerichtshof machte 1985 überhaupt erst den Weg frei für Erasmus, indem die Argumentation entwickelt wurde: Universitätsbildung und -austausch können als (Aus-)Bildung gewertet werden, dienten damit der wirtschaftlichen Entwicklung Europas und fallen folglich durchaus in die Zuständigkeit der Kommission, welche aus den damals zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften gebildet wurde.

Am 1. Juli 1987 startete Erasmus als „kleines Programm“ mit einem Budget von umgerechnet 85 Mio. Euro für die Zeit bis 1992. Gerade einmal 398 Studierende nahmen im akademischen Jahr 1987/1988 daran teil. Parallel dazu existierten andere Programme, die auf dem Bildungssektor Austausch ermöglichten. Diese wurden in das Programm „Erasmus Plus“ 2014 integriert (siehe Faksimiles). In der 2021 angelaufenen neuen Programmgeneration – der mittlerweile siebten – beläuft sich der Gesamtetat auf rund 28,4 Mrd. Euro. Und aus den wenigen Hunderten sind viele Millionen geworden: Bis 2021 haben über zwölf Millionen Menschen aller Altersgruppen und aus verschiedenen Bildungsbereichen von Erasmus und den diversen Vorläuferprogrammen profitiert. In der neuen Programmphase (2021–2027) sollen es allein rund zehn Millionen sein.

Abb.(PDF): Faksimile: (87/827/EWG): BESCHLUSS DES RATES vom 15. Juni 1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten (ERASMUS)

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Abb.(PDF): 2002 – 15 Jahre nach ERASMUS-Start – hat der französische Regisseur Cédric Klapisch mit „L‘Auberge Espagnol“ einen Film mit und über junge Europäer in die Kinos gebracht, der die Erfolgsgeschichte von ERASMUS noch einmal beflügelt hat – und dies über mehrere Generationen von Studenten. „… eine vergnüglich-entspannte Komödie mit unwiderstehlich mediterranem Charme“. Der 25-jährige Wirtschaftsstudent Xavier aus Paris geht Dank des ERASMUS-Programms nach Barcelona, um im letzten Studienjahr Spanisch zu lernen. Er landet in einer buntgemischten gesamteuropäisch Zweck-Wohngemeinschaft: die Mitbewohner kommen aus Italien, England, Dänemark, Belgien, Deutschland und Andalusien. Der eigentliche Zweck der Reise – das Spanischlernen – tritt angesichts der Herausforderungen dieser Adoleszenten-Versammlung in den Hintergrund – er stellt bei der Heimreise fest, dass sich seine Sicht auf die Welt, seine Prioritäten und die Lebenspläne verändert haben. (Quelle: https://tobis.de/titel/lauberge-espagnole-barcelona-fuer-ein-jahr)

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Abb.(PDF): Sofia Corradi (geboren im Jahr 1934 in Rom), die von ihren Freunden als Initiatorin des Erasmus-Programms gefeiert wird, hat auf der Basis eigener Erfahrung geholfen, dass es gesellschaftlichen Rückhalt für diesen, zuerst noch akademischen, Austausch gibt. Nach einem Studium der Vergleichenden Rechtswissensc

haften in den USA begann sie, sich für die bis dahin nicht übliche Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen einzusetzen. 1976 gab es den ersten Durchbruch, indem in Italien die in Frankreich erbrachten Studienleistungen und Diplome der Studierenden anerkannt wurden. Sie unterstützte die Einrichtung von Austauschprogrammen an europäischen Universitäten, was u.a. 2016 mit der Verleihung des Europapreises Karl V. gewürdigt wurde. Ihre und anderer Arbeit wurde durch den Ratsbeschluss zu ERASMUS gekrönt. (Nachzulesen in ihrem Buch von 2015: „Erasmus ed Erasmus plus – La mobilità internazionale degli studenti universitari“, auch in Englisch).

Abb.: https://www.sofiacorradi.eu/images/sofiacorradi.jpg