Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)07
EU-Politik

Spanien. Gelingt Neustrukturierung des links-grünen politischen Lagers?

Claus Seitz, San Sebastian

Am Sonntag, den 2. April, wird das Projekt Sumar in Madrid eine Großveranstaltung durchführen, auf der 35 Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse, ein als „Neuer Sozialvertrag für das 21. Jahrhundert“ betiteltes Arbeitsdokument, vorstellen werden. Erwartet wird, dass auf der Veranstaltung Yolanda Diaz, Arbeitsministerin und seit dem Rücktritt von Pablo Iglesias zweite Vizepräsidentin der Regierung, ihre Bereitschaft zur Kandidatur für die Parlamentswahlen ankündigen wird.

Eingeladen wurden alle Parteien des links-grünen Spektrums links der PSOE. Zugesagt haben: Die traditionelle Izquierda Unida (IU), die katalanischen Comuns, beide heute Bestandteil des Wahlbündnisses Unidos Podemos. Regionale Gruppierungen, die sich im „Pakt von Turia“ zusammengeschlossen haben (Más Madrid, die in Region und Stadt Valencia mitregierende Compromis, Més per Mallorca, Verdes Equo, Proyecto Drago Canarias), sowie weitere grüne und regionale Parteien wie Alianza Verde, Anova in Galicien, Batzarre in Navarra und Chunta Aragónista.

Mit dem Projekt Sumar, mit Yolanda Diaz an der Spitze, wird ein Politikstil verbunden, der nicht auf den von Podemos gepflegten populistischen Angriff setzt, sondern sich weniger ideologisch auf eine „nützliche Politik“ für eine „deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen“ konzentriert.

Für Catalunya en Comú ist Sumar „ein starkes, plurales Projekt auf nationaler Ebene für die nächsten zehn Jahre“. Sie betonen die hohe Übereinstimmung zwischen ihrer Führung, insbesondere von Ada Colau, der Bürgermeisterin von Barcelona, mit Yolanda Diaz.

IU unterstützt das Projekt, „weil es nicht-politisierte Bereiche, die bisher am Rande der Parteien stehen, einbinden will“, und beteiligt sich am Prozess der Reorganisation und Erweiterung des politischen Spektrums. „Während des Prozesses sei es gelungen, Tausende von Personen einzubeziehen, die nicht mit politischen Parteien verbunden seien. Yolanda Diaz repräsentiere am besten die das Land verändernde Linke.“

Wer (Stand: 31.3.) nicht kommen wird, ist die Parteiführung von Podemos. Einige regionale Gliederungen von Podemos werden allerdings Vertreter entsenden (Galicien, Navarra, Baskenland).

Podemos, der mit Abstand größte Player im Spektrum, beäugt das Geschehen kritisch. Man befürchtet, dass eine Einheitsplattform unter der Führung von Diaz ihr politische Bedeutung entziehen könnte. Zwar hat Podemos die Unterstützung für das Projekt Sumar erklärt, aber mit der Forderung verknüpft, dass Sumar vor dem 2. April ein bilaterales Abkommen mit Podemos schließt, das beinhaltet, dass für die Listenbildung Vorwahlen durchgeführt werden, an denen sich jeder Bürger, der möchte, beteiligen kann.

Alle anderen Parteien von der Regelung auszuschließen, wäre mit dem Anspruch einer breiten Wahlplattform nicht vereinbar. Sumar hat angeboten, nach den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai mit der Klärung der Fragen rund um eine gemeinsame Kandidatur zu beginnen.

Sumar und die anderen Organisationen sind sich einig, dass die Listenbildungen für die Parlamentswahlen über offene Vorwahlen stattfinden sollen. Viele damit verbundene Fragen bedürfen aber der Ausgestaltung durch detaillierte Regelungen.

Die eigentliche Frage ist, ob und wie der Hegemonieanspruch von Podemos gelöst werden kann.

Unidos Podemos musste seit 2015 große Wählerverluste (minus 40 % bei den Parlamentswahlen) und die Abspaltung bedeutender Strömungen hinnehmen. In verschiedenen Regionen verließen wichtige Sektoren die Partei oder wurde die Vertretung im Parlament verloren (so in Galicien und Kastilien-La Mancha).

Man fand keinen Weg, positiv mit den vielfältigen Parteiströmungen und kritischen Stimmen umzugehen und sie in der Partei zu integrieren, ein Problem, das durch die zentralistische Verfassung der Partei, die den regionalen Parteigliederungen keine Autonomie gewährt, noch verschärft wird.

Die Arbeit in der Regierungskoalition mit den Sozialisten wurde durch den populistischen Politikstil von Podemos stark strapaziert. Die Einsicht, dass dies auf Dauer so nicht funktionieren kann, dürfte maßgeblich zum Rücktritt von Pablo Iglesias von seinen Regierungs- und Parteiämtern beigetragen haben.

Seither agiert Iglesias aus dem Schatten heraus. Ohne formal in politischer Verantwortung zu stehen, gibt er faktisch die Parteilinie über Erklärungen in Presse und Fernsehen vor.

Eine wirkliche, kritische Aufarbeitung all dieser Entwicklungen durch die Partei hat bis heute nicht stattgefunden.

Podemos wird sich entscheiden müssen, auf eine Verteidigung und Konsolidierung ihrer verbliebenen Reste zu setzen oder sich in einen neuen Anlauf zur Bildung eines breiten Bündnisses zu integrieren, das versucht, die vielen Wähler wieder zu mobilisieren, die sich enttäuscht abgewandt haben. Im ersteren Fall wäre der Gang in die Opposition unvermeidlich.

Eine Umfrage von El País und Cadena Ser ergab für das linke Spektrum im Falle konkurrierender Kandidaturen 32 Parlamentssitze (2019 – 38 Sitze), bei einer Einheitskandidatur dagegen 57 Abgeordnete.

Wer am 2. April nach Madrid kommen wird, sind Mélanie Vogel von der Grünen Europäischen Partei (GEP) und Walter Baier von der Europäischen Linken (EL). Sumar versteht sich als „neues politisches europäisches Subjekt, das Grüne und Progressive unterschiedlichster Traditionen eint“. Catalunya en Comun, u.a., sind Mitglieder der GEP, Izquierda Unida der EL. Podemos arbeitet in der Fraktion der Linken im Europäischen Parlament (GUE/NGL) mit.

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Ziele von Sumar

Zur Neustrukturierung des progressiven Lagers startete Yolanda Diaz im Juli 2022 das Projekt „Sumar“, definiert als ein Prozess des Zuhörens mit der Zivilgesellschaft im Zentrum.

Einige der formulierten Ziele des Projekts:

Ein neues fortschrittliches Jahrzehnt in Spanien eröffnen. Den Neoliberalismus, der versagt hat, kulturell und politisch besiegen. Die Grenzen von Podemos und die Streitereien überwinden. Akteure der Zivilgesellschaft summieren, nicht Parteienkürzel. Sich mit sozialen Bewegungen, Einheiten der Zivilgesellschaft und Bürgern verbinden. Leute mit sehr unterschiedlichen Denkansätzen gewinnen, Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft fördern und stärken, um die Qualität der Demokratie zu verbessern.

Erste Absichten:

• Flexible Arbeitszeiten, Zeitkonten, städtische Zeiten angepasst an die Erfordernisse des Lebens. Pakt zur Zeitrationalisierung und Verbesserung der Lebensqualität.

• Gute Arbeit, Verkürzung des Acht-Stunden-Arbeitstags. Mit unbezahlten Überstunden Schluss machen.

• Unternehmensreform, Demokratie in den Firmen einführen.

• Reform der medizinischen Grundversorgung. Aufnahme zahnärztlicher Behandlung in die öffentlichen Gesundheitsversorgung, Verbesserung der Entgelte im Gesundheitswesen.

• Eingrenzung der Mietpreise

• Stärkung von Mechanismen direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung.