Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)08
EU-Politik

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EU und Ukraine

01 Einige Daten zur Entwicklung der Beziehungen EU–Ukraine

Christoph Cornides, Mannheim

Aus der nebenstehenden Übersicht wird ersichtlich, dass die EU nach 1991 (vertragliche Auflösung der Sowjetunion) als einheitlicher Staatenverbund gegenüber der Ukraine handelt. Zugleich definierte sie mit den vier „Kopenhagener Kriterien“ Erwartungen an die gesellschaftliche, politische und institutionelle Entwicklung der Ukraine für den Prozess eines EU-Beitritts.

Weiter wird deutlich, dass in der Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion strukturell eine Vielzahl von institutionalisierten, vertraglich vereinbarten Verbindungen zwischen EU (als Einheit) und der Ukraine geschaffen wurden: Delegation der Europäischen Kommission in Kiew; „Östliche Partnerschaft“; Assoziationsabkommen; der EU-Beitritt als Verfassungsziel der Ukraine 2019; Ukraine als offizieller Beitrittskandidat zur EU und Eröffnung des Beitrittsprozesses 2022. Schließlich der EU-Gipfel im März 2023 und die Entscheidungen zur Waffen- und Munitionslieferung – eine Aktion, die über die bisherigen Handlungsgrundsätze der EU weit hinaus geht.

Die Entwicklung der Beziehungen und deren Abfolge und Wechselwirkungen zeigen den engen Zusammenhang zwischen mindestens drei verschiedenen Konflikten: dem zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation, den innergesellschaftlichen der Ukraine zwischen West- (EU/Nato) und Ostorientierung (Russland) und den zwischen den EU- und Nato-Staaten und Russland. Keiner dieser drei Konflikte erklärt sich einfach aus einem anderen der genannten.

Nicht nur die finanziellen Hilfen seit Beginn des Krieges (von Seiten der EU rund 50 Milliarden Euro) an die Ukraine und die faktische Finanzierung der ukrainischen „Haushaltslücke“ von rund 39 Milliarden Dollar (IWF) zu wesentlichen Teilen aus der EU, dürften der Grund sein, dass die Bevölkerung der Ukraine in ihrer Mehrheit die Entwicklung ihres Landes offensichtlich in einer kapitalistisch-marktwirtschaftlichen, EU-orientierten Richtung zu einer repräsentativen Demokratie sieht. Dass allein eine solche gesellschaftliche Entwicklung zu Einfluss- und Machtverlust der Russischen Föderation gegenüber dem Status Quo vor 1991 führt ist evident. Ist aber weder eine Rechtfertigung für Angriffskriege noch dafür, der Ukraine das „Recht auf freie Bündniswahl“ (u.a. in der Nato-Russland-Grundakte vom Mai 1997 vereinbart) abzusprechen.

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Einige Daten zur Entwicklung der Beziehungen EU–Ukraine

Juni 1993: Kopenhagener Kriterien der EU-Aufnahme. Im Hinblick auf die zu erwartenden EU-Beitritte osteuropäischer Staaten werden im Juni 1993 vom Europäischen Rat („EU-Gipfel“ der Regierungen der EU-Länder) Kriterien der EU-Aufnahme verabschiedet, die sich vor allem an die Staaten Mittel- und Osteuropas richten: 1. Institutionelle Stabilität, Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung; 2. funktionsfähige Marktwirtschaft, die dem Wettbewerbsdruck im europäischen Binnenmarkt standhalten kann. 3. Verpflichtungen der Übernahme des sog. „Acquis communautaire“ (Rechtsbestand der EU); 4. Aufnahmefähigkeit der EU selbst muss gegeben sein.

September 1993 wird die „Delegation der Europäischen Kommission“ in Kiew eingerichtet. Diese wird im Dezember zur „Delegation der Europäischen Union in der Ukraine“. Sie ist zuständig für „Förderung der Zusammenarbeit“, für die „Überwachung der Umsetzung“ der Kooperationsabkommen, für die „Begründung der EU-Politik in der ukrainischen Öffentlichkeit“ und für die Umsetzung der Hilfsprogramme der EU.

Seit 1998: Partnerschafts- und Kooperationsabkommen. 14. Juni 1994: Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine wird unterzeichnet. Es tritt im März 1998 in Kraft.

Seit 2004: Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP). Mit der 2004 eingeführten Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), will die EU die Beziehungen zu ihren Nachbarländern aus ihrer Sicht gestalten und für „Sicherheit und Stabilität in der Region“ sorgen. Außerdem unterstützt die EU die Partnerstaaten bei ihren Reformen hin zu demokratischen, rechtsstaatlichen Strukturen und bietet dabei auch finanzielle Hilfen. Unter der „Östlichen Partnerschaft“ bestehen Partnerschaften mit: Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau, Ukraine.

April 2008: Nato-Gipfel in Bukarest. Zusage an Ukraine und Georgien auf Nato-Aufnahme in ferner Zukunft. Auf Einwand Deutschlands und Frankreichs kein Aktionsplan zur Aufnahme.

Seit 2009: Östliche Partnerschaft. Seit der „Orangenen Revolution“ von 2004 ist die wirtschaftliche Integration und politische Zusammenarbeit der Ukraine mit der EU ein Zentralpunkt ukrainischer Außenpolitik. Die EU sieht in der Ukraine einen „priority partner“ im Rahmen ihrer Europäischen Nachbarschaftspolitik. 2009 wird die „Östliche Partnerschaft“ der EU, gegründet. Die Ukraine ist Partnerland. (s.o. 2004)

Seit 2014: Assoziierungsabkommen und Besetzung und Annexion der Krim durch Russland. Ende November 2013 stoppt Präsident Janukowitsch – offensichtlich auf Druck Russlands – das mit der EU ausgehandelte Assoziierungsabkommen kurz vor Unterzeichnung. Unter anderem das führte in den folgenden Monaten zu den Protesten auf dem Maidan-Platz in Kiew (sog. Euromaidan). Im Februar 2014 flieht Präsident Janukowitsch. Im Februar 2014 besetzen bewaffnete russische Kräfte das ukrainische Staatsgebiet der Krim. Nach einem international nicht anerkannten Referendum annektiert Russland die Krim. Im Mai 2014 vorgezogene Wahlen in der Ukraine, neuer Präsident: Petro Poroschenko.

Im Sommer 2014 schließt die EU – trotz zunehmender Spannungen mit Russland – ein Assoziierungsabkommen mit der neuen ukrainischen Regierung ab, das zum 1. Januar 2016 in Kraft tritt.

5. September 2014, Protokoll von Minsk (Minsk I), ein Waffenstillstand, der nie eingehalten wird. Die bewaffneten Konflikte werden nach Annexion der Krim auch in den separatistischen Volksrepubliken im Donbass fortgesetzt.

12. Februar 2015, Minsk II, sog. „Minsker Friedensabkommen“. Auch das wird von beiden Seiten verletzt und gebrochen.

Seit 2019: EU-Beitritt als Ziel in der ukrainischen Verfassung verankert, Selenskyj Präsident. Anfang des Jahres 2019 verankerte das ukrainische Parlament mit einer Mehrheit von 334 der 450 Abgeordneten in der Verfassung des Landes eine „strategische Orientierung der Ukraine zum vollständigen Beitritt zur EU und der Nato“. Präsidentschaftswahl in der Ukraine am 31. März 2019 und am 21. April 2019: Im zweiten Wahlgang, in der Stichwahl gegen Poroschenko, gewinnt Wolodymyr Selenskyj mit 73,22 %. Die Wahlbeteiligung liegt bei 61,37 %.

Ab 2022: Russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine – Ukraine drängt verstärkt auf EU-Beitritt. Am 24. Februar 2022 beginnt der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine. Die ukrainische Regierung drängt auf raschen EU-Beitritt. Selenskyj reicht wenige Tage vor Beginn der russischen Invasion einen Beitrittsantrag ein. Wenige Tage später reichen Georgien und Moldau ebenfalls Beitrittsanträge ein.

EU-Gipfel Juni 2022: Die EU stellt der Ukraine die volle Mitgliedschaft in Aussicht und verleiht der Ukraine offiziell den Status eines EU-Beitrittskandidaten, ebenso wie der Republik Moldau. Angesichts der zu erfüllenden „Kopenhagener Kriterien“ (s.o.) rechnen EU-Vertreter nicht mit einer kurzfristigen Aufnahme.

9.2.2023: EU-Sondergipfel in Brüssel mit Online-Ansprache von Präsident Selenskyj.

25.2.2023: Zehntes EU-Sanktionspaket gegen Russlands Invasion der Ukraine.

20.3.2023: Der Europäische Rat („EU-Gipfel“) verständigt sich auf den Vorschlag zur Bereitstellung an die Ukraine von Artilleriemunition, die aus vorhandenen Beständen stammt oder gemeinsam beschafft wird.

23.3.2023: EU-Führungsspitzen bekräftigen Verurteilung des Angriffskriegs Russlands und ihre Unterstützung der Ukraine in Bezug auf Munitionsbedarf.

Zusammengestellt nach: Europäische Kommission, deutsche Vertretung https://germany.representation.ec.europa.eu/, Infoportal östliches Europa, LPB, Baden-Württemberg und weitere Quellenangaben dort: https://osteuropa.lpb-bw.de/ukraine-eu-beitritt#:~

Abb. (PDF): Karte: Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union, Infografik: „Gemeinsam stärker“, die östliche Partnerschaft www.consilium.europa.eu/de/infographics