Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)09
EU-Politik

Europaparlament fordert Stärkung der Europäischen Betriebsräte

Von Rolf Gehring, Brüssel

Seit 1994 die Europäische Betriebsratsrichtlinie verabschiedet wurde, wird auch über ihre Unzulänglichkeiten debattiert. Kritikpunkte aus gewerkschaftlicher Sicht sind unter anderem die Schwellenwerte zur Einrichtung von Europäischen Betriebsräten (EBR), die Durchsetzungsmöglichkeiten der verankerten Rechte, die Verhandlungsprozeduren, die abgedeckten materiellen Gegenstände und Sanktionsmechanismen. Eine erste Revision 2009 konkretisierte das Unterrichtungs- und Anhörungsrecht und etablierte das Recht auf Weiterbildung.

Jetzt hat das Europaparlament (EP) eine Legislativentschließung für eine erneute Revision abgestimmt. Sie ist auch vor dem Hintergrund der Kampagne des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) zu mehr Demokratie am Arbeitslatz zu sehen. Bereits im letzten Jahre hatte das EP einen Bericht „Demokratie am Arbeitsplatz“ verabschiedet, in dem gefordert wird, die in den verschiedenen Richtlinien zur Arbeitnehmerbeteiligung (also nicht nur der EBR-Richtlinie) etablierten Beteiligungsrechte (Information und Anhörung), um Elemente der Mitbestimmung zu ergänzen.

Das Parlament hält in den Erwägungsgründen des jetzt verabschiedeten Berichts fest, dass Mitglieder Europäischer Betriebsräte trotz ihres Rechts, eine Stellungnahme abzugeben, wenig Einfluss auf Entscheidungsprozesse in ihren Unternehmen hätten, insbesondere bei Umstrukturierungen. Finanzielle Sanktionen lägen zwischen 23 Euro und 187515 Euro und seien daher in vielen Fällen nicht wirksam, für große Unternehmen nicht abschreckend. Europäische Betriebsräte würden nur in vier Mitgliedstaaten (Österreich, Frankreich, Rumänien und Schweden) uneingeschränkte Rechtspersönlichkeit besitzen, die es ihren Vertretern ermöglicht, ein Gerichtsverfahren als Europäische Betriebsräte einzuleiten. Zwar habe die revidierte Richtlinie zu Verbesserungen im Hinblick auf die Einrichtung und die Funktionsweise Europäischer Betriebsräte geführt, nach wie vor hätten sie aber große Schwierigkeiten, ihre Rechte durchzusetzen, insbesondere was die rechtzeitige Unterrichtung und die vorherige und wirksame Anhörung in Bezug auf Angelegenheiten mit länderübergreifendem Charakter betrifft.

Vor diesem Hintergrund fordert das Parlament die Kommission auf, bis zum 31. Januar 2024 eine Überarbeitung der Richtlinie 2009/38/EG vorzulegen, um deren Ziele, Begriffsbestimmungen und Verfahren zu präzisieren, das Recht der Arbeitnehmervertreter auf Unterrichtung und Anhörung, insbesondere während Umstrukturierungsprozessen, zu stärken. Die subsidiären Vorschriften der Richtlinie, die unter anderem die materiellen Gegenstände festlegen, mit denen sich ein EBR befassen kann, sollen gestärkt werden. Das Recht der Europäischen Betriebsräte auf ein jährliches Treffen mit der zentralen Leitung sei unzureichend. Stattdessen sollen Sitzungen halbjährlich durchgeführt werden, um die praktische Funktionsweise, Wirkung und Verwaltung der Europäischen Betriebsräte zu verbessern. Hervorgehoben wird auch, dass die Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung für das Funktionieren einer sozialen Marktwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind, ein direkter Vorschlag, bestimmte materielle Gegenstände der Mitbestimmung zu unterwerfen, wird jedoch nicht gemacht.

Mit Bezug auf mögliche Sanktionen wird gefordert, dass die Beantragung einer einstweiligen Verfügung bei nationalen Gerichten oder anderen zuständigen Behörden, um die Umsetzung von Entscheidungen der Unternehmensleitung vorübergehend auszusetzen, aufgenommen wird. Vorgeschlagen wird auch die Möglichkeit des Ausschlusses von Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Europäische Betriebsräte bräuchten Zugang zu Gerichten oder zuständigen nationalen Arbeitsbehörden. Um die Praxis einer überbordenden Nutzung der Vertraulichkeitsvorschriften einzudämmen, schlägt das Parlament vor, diese nur zuzulassen, wenn die Arbeitsweise der betroffenen Unternehmen nach objektiven Kriterien erheblich beeinträchtiget werden könnte.

Die Entschließung wurde mit 385 Stimmen angenommen. 118 Parlamentarier votierten dagegen, 99 enthielten sich. Viele Gegenstimmen kamen von der rechtsextremistischen Fraktion, aber auch von der Linken, der die Forderungen nicht weit genug gingen. Zwar kann das EP keine legislativen Maßnahmen erzwingen, die Kommission hat aber bereits reagiert und angekündigt, noch vor Ende dieses Jahres einen Entwurf für eine überarbeitete EBR-Richtlinie vorzulegen und damit das Gesetzgebungsverfahren zu beginnen.

Quellen: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0028_DE.pdf; EWC-News 1/2023