Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)12a
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Berufsverbote: Gemeinderat Heidelberg für Rehabilitierung und Entschädigung

Martin Hornung, für Kommunalinfo Mannheim

Am 23. März hat der Gemeinderat in Heidelberg nach viertelstündiger Diskussion mit etwa Zweidrittelmehrheit einen Beschluss zur Unterstützung der von Berufsverbot Betroffenen gefasst. Darin fordert er die „Landesregierung und den Landtag auf, den Forderungen nach Rehabilitierung und Entschädigung nachzukommen“. Eingebracht hatten dies im Juli 2022 die Fraktion Die Linke, Bunte Linke, Grün-Alternative Liste, „Heidelberg in Bewegung“ und die Grünen (mit 16 von 48 Sitzen die größte Fraktion). Im „Ausschuss für Soziales“ wurde der Antrag am 14.2. vorab beraten und mehrheitlich Zustimmung empfohlen. Auch die SPD stimmte am 23.3. geschlossen für den Antrag, dazu der Vertreter der PARTEI … Am 2.2. fand in Heidelberg eine von Bunte Linke, Die Linke, DGB und IG Metall Heidelberg veranstaltete Lesung zu der wissenschaftlichen Studie statt, an der über 70 teilnahmen und bei der Betroffene selbst berichteten. Beim Termin mit Kretschmann im Staatsministerium wurde der Altersarmut-Rentenbescheid eines Mannheimer Betroffenen mit 680 Euro im Monat übergeben sowie Rechenbeispielen. Im Vergleich zur „Standardrente“ (45 Versicherungsjahre bei Durchschnittsverdienst) bedeutet dies bis zum durchschnittlichen Lebenserwartungsalter einen Verlust von 139 000 Euro. Entschädigungen würden das Land Hochrechnungen zufolge einmalig einen unteren siebenstelligen Betrag kosten, weniger als 0,1 Promille eines Haushalts.

Der Regierungschef blieb am 8.2. dennoch bei seinem kategorischen Nein zu den Forderungen. Er könne nicht „pauschal entschädigen“, dadurch würden „neue Ungerechtigkeiten“ entstehen. „Vordemokratisches Gnadenrecht“ lehne er ab. Die Betroffenen müssten ihr Anliegen „in jedem Einzelfall gerichtlich durchsetzen“. Wie das nach 50 Jahren noch gehen soll, sagte er nicht.

Die im Forschungsbericht dargelegte Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erklärte der Ministerpräsident kurzerhand für nicht verbindlich. Das sei schon 1987 so gehandhabt worden. Und: Er habe heute ein „ungutes Gefühl, wenn ein Kind von einem AfD-Mitglied unterrichtet würde“. Darauf eskalierte das Gespräch. Nach lautstarken Wortmeldungen („wir lassen uns nicht mit Nazis in einen Topf werfen“) und empörten Zwischenrufen („Schande“) konnte der auf eine Stunde angesetzte Termin erst nach 90 Minuten zu Ende gebracht werden. Kretschmann habe „zerknirscht“ gewirkt, kommentierte dpa unmittelbar darauf.

In der Begründung des Heidelberger Beschlusses heißt es: „Der sogenannte ̦̦̦Radikalenerlass‘ hat der Demokratie und dem gesellschaftlichen Klima in der Bundesrepublik schweren Schaden zugefügt. Menschen wurden in ihrer Existenz bedroht. Auch für über 100 Betroffene, die in Heidelberg studiert, gelebt und gearbeitet haben, hatte der Erlass schwerwiegende Folgen.“ Die Berufsverbote-Praxis, wird aus der Studie zitiert, war „von Anfang an als rechtswidrig einzustufen, weil sie mit der Konvention Nr. 111 der ILO nicht übereinstimmt“.

In der Gemeinderatssitzung wies die Vertreterin der Bunten Linken darauf hin, dass die Bedeutung des Beschlussantrags durch das neuerliche Nein des Ministerpräsidenten nochmals gestiegen sei. Gegen die Entschließung stimmten CDU und AfD. Die AfD hetzte gegen die Betroffenen und die Studie: „Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein. Es ist eine ungeheuerliche Unterstellung gegenüber dem Land Baden-Württemberg zu behaupten, hier sei staatliches Unrecht geschehen.“ FDP, „Heidelberger“ und Freie Wähler enthielten sich bei der Abstimmung. Der Beschluss endet: „Viele der damals Betroffenen spüren die Auswirkungen durch Kürzungen bei ihren Ruhegehältern oder sogar Altersarmut bis heute. Ihre materiellen Nachteile müssen ausgeglichen werden“ (vollständiger Wortlaut des Beschlusses nachzulesen unter Berufsverbote.de).

Inzwischen gibt es in weiteren baden-württembergischen Städten ähnliche Überlegungen und Aktivitäten in Gemeinderatsgremien, um Druck auf Regierung und Landtag auszuüben. Entscheidend wird sein, ob sich Grünen-Stadträte trauen, selbst zu entscheiden, auch gegen die Meinung Kretschmanns. Landtagsabgeordnete berichten inzwischen, die Fraktion wolle das Thema auch nochmals in den Hauptausschuss einbringen.

Abb. (PDF): Aufkleber „Sei kein Duckmäuser“