Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)18a
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

Mehr Sicherheit für Plattformbeschäftigte?

Am 2. Februar stimmte das Europäische Parlament für Änderungen der Plattformarbeiter-Richtlinie, die die Europäische Kommission im Entwurf bereits am 9. Dezember 2021 vorgelegt hatte. Vorausgegangen waren der Abstimmung langwierige und zähe Verhandlungen im Beschäftigungsausschuss des Parlaments. Die Abstimmung im Plenum endete mit 376 Ja- zu 212 Nein-Stimmen. Damit hat der Beschäftigungsausschuss ein Mandat, in die sogenannten Trialog-Verhandlungen mit Rat und Kommission einzutreten.

Von Rolf Gehring, Brüssel

Das EP billigte den Bericht seines Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL), der seine Verhandlungsposition mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit in der Plattformarbeit, der menschlichen Aufsicht über alle durch Algorithmen getroffenen Entscheidungen, die die Arbeitsbedingungen betreffen und einer Anforderung an Plattform-Unternehmen bezüglich der verpflichtenden Übermittlung von Informationen an die nationalen Behörden festlegt. Zentral dabei auch das Recht der Plattformarbeiter auf einen ordnungsgemäßen Arbeitsvertrag. Materielle Standards bezüglich Krankengeldes, bezahlten Urlaub und Lohnsätze gemäß der nationalen Gesetzgebung oder auf Basis von Tarifverträgen müssen eingehalten werden.

Für den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) sind diese Maßnahmen von größter Bedeutung, um „zu verhindern, dass das europäische Sozialmodell durch eine Abwärtsspirale des Wettbewerbs auf der Grundlage der Hinterziehung von Arbeits-, Steuer- und Sozialverpflichtungen untergraben wird“. Eine Explosion der Scheinselbstständigkeit habe dazu geführt, dass Millionen von Menschen länger für weniger arbeiten. Die Mehrheit der Unternehmen, die sich an Regeln halten, würden benachteiligt und immense Steuereinnahmen würden verloren gehen.

Seitens des Rates liegt bisher keine Stellungnahme zum Entwurf der Kommission vor. Parlamentsmitglieder, die eine deutliche Stärkung der Rechte von Plattformbeschäftigten erreichen wollen, vermuten, dass die schwedische Ratspräsidentschaft unterstützt von einer Reihe von Mitgliedsstaaten (die baltischen Staaten und Frankreich) einen deutlich weniger ehrgeizigen Text vorlegen werden als das Parlament, eventuell auch hinter den Kommissionsvorschlag fallen werden. Eventuell werden die Verhandlungsführer des Parlaments versuchen, die Verhandlungen in die spanische Ratspräsidentschaft zu ziehen, hoffend dass die spanische Regierung offener für eine Verbesserung der Bedingungen der Beschäftigten ist.

Allerdings sind in dem Kommissionsvorschlag schon die wesentlichen Elemente für eine verbesserte Stellung der Plattformbeschäftigten aufgenommen worden, die auf eine lange geführte Kritik vor dem Hintergrund von Ausbeutung, miesen Arbeitsbedingungen, Scheinselbständigkeit und Steuervermeidung und -betrug beruhen. In ihrem Vorschlag geht die Kommission davon aus, dass von den geschätzten 28 Millionen Beschäftigten in digitalen Plattformen etwa 5,5 Millionen Scheinselbständige sind und ihnen damit weitgehend Arbeitnehmerrechte entzogen werden. Mit Bezug auf die Charta der Grundrechte werden unter anderem Mindeststandards in den Bereichen Arbeitsschutz, Unterrichtung und Anhörung oder die materiellen Arbeitsbedingungen vorgeschlagen. Bezüglich des Problems der Scheinselbständigkeit hatte die Kommission schon weitgehende Regulierungen vorgeschlagen. Artikel 4 formuliert eine Vermutungswirkung bezüglich eines Beschäftigungsverhältnisses, wenn die Plattform Arbeitsleistungen kontrolliert. Mit Artikel 5 wird eine Beweislastumkehr eingeführt. Der Plattformbetreiber muss nachweisen, dass kein Beschäftigungsverhältnis entsprechend der in der Richtlinie formulierten Kriterien vorliegt. Hier will das Parlament die Kriterien aus dem Text nehmen und die einfache Vertragsbeziehung als konstitutiv für ein Beschäftigungsverhältnis ansehen. Der Plattformbetreiber kann dann auf die Kriterien rekurrieren, wenn er eine tatsächliche Selbständigkeit nachweisen will.

Abb. (PDF): Aktualisierter Leitfaden für mobile Arbeitnehmer. Mitte November 2022 legte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) die fünfte Ausgabe seines Leitfadens für mobile Arbeitnehmer vor. Erstmals 2004 erschienen und regelmäßig aktualisiert, will er grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmern Hilfe bieten. Der Leitfaden enthält Informationen unter anderem zu Themen wie Aufenthaltsrecht, Freizügigkeit, Sozialversicherungssysteme, Arbeitsrecht, Doppelbesteuerungsabkommen. Der Leitfaden liegt in sieben Sprachen vor, es gibt eine ausführliche Fassung (110 Seiten) zum Download: https://www.etuc.org/sites/default/files/publication/file/2022-11/ETUC_MOBILEGUIDE_DE.pdf