Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)22a
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Handlungskonzept für kommunale Erinnerungskultur

Ein Aushandlungsprozess für eine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und ihren Nachwirkungen. Kreis Pinneberg. „Zur Anerkennung und Unterstützung der Arbeit der Gedenkstätten und Institutionen, die für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus stehen“ beschloss der Kreistag auf Initiative seines Präsidiums ein Handlungskonzept erstellen zu lassen. Erarbeitet von externen Historikern der Universität Göttingen, vorgestellt auf einer Konferenz, wurde es im Februar dem Kreistag übergeben und nun im Kulturausschuss beschlossen.

Rudi Arendt, Uetersen

Alle Fraktionen außer der Abgeordnete Schallhorn der KreisWählerGemeinschaft Pinneberg und seine AfD/KWGP-Fraktion stimmten „dem Stufenmodell des Erinnerungskonzeptes inhaltlich zu“. Schallhorn und seine Fraktion sind dagegen, weil sie sich als Fraktion die KZ Gedenkstätte Springhirsch bei Kaltenkirchen anschauen wollten, ihre dortige Anfrage aber ohne Begründung abgelehnt wurde. Eine Diskussion über das Konzept blieb aus. Allerdings reichte die umfangreiche Begründung und die Formulierung von Handlungsempfehlungen nicht aus, um den Ausschuss für eine Einstellung einer/s Referent_in/en für Erinnerungskultur mit einem ausreichenden Sachbudget zu bewegen.

Als „Ergebnis des Beteiligungsprozesses und den an anderen Orten gemachten Erfahrungen wie Lübeck“ brauche es aber nach Ansicht der Autoren eine „solche Schnittstellenfunktion zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft mit den Erinnerungsakteur_innen“, als „Dreh- und Angelpunkt einer qualifizierten Erinnerungskultur im Kreis Pinneberg“.

Wie nun die in drei Stufen unterteilten Vorschläge bis und ab 2030 umgesetzt werden sollen, ist fraglich. In der ersten Stufe sollte die Verstetigung einer Erinnerungskonferenz, die Unterstützung zur Selbstorganisation der Erinnerungsinitiativen und Trägervereine in einer Kreis-Arbeitsgemeinschaft, die Förderung projektbezogener Aktivitäten, beispielsweise des Henri-Goldstein-Hauses (Gedenkstätte eines jüdischen Zwangsarbeiters), verbesserte Vermittlungsangebote mit der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen, Erarbeitung didaktischer Lernhilfen, die Durchführung einer Schulfachkonferenz erfolgen. Danach ist eine inhaltliche Erweiterung angedacht. „Auch um den Kreis zum Subjekt der Erinnerungskultur und zum Objekt der historischen Betrachtung zu machen, wird eine Überblicksdarstellung zur Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus im Kreis Pinneberg erarbeitet und in Kooperation mit den Museen präsentiert. Dabei dürfte insbesondere auch die Geschichte der NS-Zwangsarbeit auf dem Land und in den Kommunen zur Sprache kommen.“ Die eingestandene „Inaktivität auf dem Feld der Erinnerungskultur“ und die jetzige Zustimmung zum Handeln kann im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten im Kreiskulturausschuss auch als Hilferuf verstanden werden. Die Konfliktlinien zwischen Geschichtsrevisionisten wie der AfD/KWGP und dem Bedürfnis einer offiziellen Geschichtsschreibung im Kreis treten offen zu Tage. Die letzte regionalhistorische Forschung im Auftrag des Kreises (rechts, zwo, drei… Nationalsozialismus im Kreis Pinneberg) liegt 30 Jahre zurück. Als Zukunftsvision in der dritten Stufe soll sogar eine kritische Überprüfung nach dem Grad der Professionalisierung, der Themenvielfalt und der Lage der ehrenamtlichen engagierten Kräfte fragen. Gewünscht wird auch, Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung oder andere Minderheiten als Akteure der lokalen Erinnerungskultur zu gewinnen. Ohne Personal- und Sachmittel nicht zu schaffen. Es liegt jetzt an den Akteur_innen im Kreis, sich zu vernetzen und konkrete Projektvorschläge zu machen.

Abb. (PDF): Informationstafel in der Elmshorner Innenstadt. Im Handlungskonzept „als herausragendes und zukunftsfähiges Beispiel ortsbezogener Erinnerungsarbeit“ gewürdigt: Das Internetprojekt Spurensuche, ein Netzwerk verschiedener örtlicher Stolperstein-Arbeitsgruppen. https://www.spurensuche-kreis-pinneberg.de/

„Objektivierte Geschichte wird nur dann geschichtliche Aktion, aktive Geschichte, wenn sie von Akteuren aufgenommen wird, deren eigene Geschichte sie dafür empfänglich macht, und die aufgrund früherer Investitionen (aber auch in für die Zukunft aussichtsreicher erfolgreicher Investition, der Verf.) bereit sind, sich für Ihr Funktionieren zu interessieren. (Pierre Bourdieu)