Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)10
Aktionen-Initiativen

Europäische Aktionen/Initiativen: Thema Asylpolitik

Redaktion: Thorsten Jannoff

01 Spanien: NGOs fordern, den möglichen Einsatz europäischer Gelder bei Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen
02 SOS Racismo Madrid: Kampagne gegen die Ausländerinternierungszentren
03 Italien: Tunesien ist kein sicheres Herkunftsland
04 Kroatien: Anhaltende und gewaltsame Pushbacks
05 Griechenland: Helfen verboten

01

Spanien: NGOs fordern, den möglichen Einsatz europäischer Gelder bei Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen

https://www.cear.es/fondos-europeos-vulneraciones-derechos-frontera-sur/

Spanien. (…) Mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft wenden sich an das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) mit Sitz in Brüssel und fordern die Einleitung einer Untersuchung über die mögliche Verwendung europäischer Gelder durch den spanischen Staat für Aktionen, die an der Südgrenze gegen Menschenrechte verstoßen könnten.

Diese Aktionen stehen im Zusammenhang mit gewalttätigen Aktionen der marokkanischen und spanischen Polizei gegen Menschen, die versuchen, Zugang zu europäischem Territorium zu erhalten, und führen zu einer Verletzung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie zu einem fehlenden Zugang zu internationalen Schutzverfahren und die Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung.

Konkret wird auf die Mittel verwiesen, die Spanien zur Umsetzung der sogenannten Politik zur Bekämpfung irregulärer Einwanderung verwendet – den Fonds für die innere Sicherheit (FSI) und das Finanzhilfeinstrument für Grenzmanagement und Visapolitik (IGFV) – und deren möglichen Zusammenhang damit gewalttätige und unverhältnismäßige Aktionen der Polizeikräfte (…) Wir weisen außerdem auf die unzureichende Verfassung und Zusammensetzung des Überwachungsmechanismus für die Verwendung der Fonds, die mangelnde Transparenz bei deren Verwaltung und Ausführung sowie auf die begrenzte Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen mit Bezug zum Migrationsbereich hin. Wir gehen davon aus, dass OLAF befugt ist, diese Situation zu analysieren und die mögliche Nichteinhaltung der Vorschriften aufgrund der mangelnden Achtung der Charta der Grundrechte der EU, der mangelnden Transparenz und darüber hinaus aufgrund der fehlenden Einhaltung der Vorschriften festzustellen.

Unterzeichnerorganisationen: Amnesty International, Andalucía Acoge, Vereinigung für Menschenrechte Andalusiens, Vereinigung für Menschenrechte Spaniens, Spanische Kommission für Flüchtlingshilfe (CEAR), Iridia-Zentrum zur Verteidigung der Menschenrechte, Stop Mare Mortum und Red Acoge.

02

SOS Racismo Madrid: Kampagne gegen die Ausländerinternierungszentren

https://www.sosracismomadrid.es/apoya-nuestras-campanas/

Spanien. Leider haben die polizeilichen Schikanen der Migrantenbevölkerung und ihre Internierung in den CIEs in den letzten Jahren einen großen Teil unserer Arbeit in den Mittelpunkt gerückt. Zunächst prangern wir von der Plattform „Lasst uns die CIEs schließen“ an, was in diesen Zentren passiert, echten Gefängnissen für Einwanderer in Spanien, in denen Menschen, die keine Straftaten begangen haben, eingesperrt, überfüllt, unter unhygienischen Bedingungen festgehalten und abgewiesen werden Fürsorge, angemessene medizinische Versorgung und ihre Menschenrechte werden verletzt. Derzeit ist die wichtigste Bürgeraktion gegen die CIEs der 15. Juni, der Tag gegen die CIEs, den wir seit drei Jahren am 15. Juni feiern. Es handelt sich um eine Summe dezentraler Aktionen in ganz Spanien, um die unsichtbare Realität des CIE sichtbar zu machen und seine sofortige Schließung auf den Straßen zu fordern. Eine weitere Kampagne der letzten Jahre konzentrierte sich auf die Ablehnung des Einwanderungsgesetzes. Von SOS-Rassismus Madrid sind wir der Ansicht, dass jedes Einwanderungsgesetz im Wesentlichen diskriminierend ist, da es aufgrund ihrer Herkunft und Nationalität Kategorien der Staatsbürgerschaft zwischen Menschen schafft, die derselben Gesellschaft angehören. Aber auch einige der kürzlich eingeführten Modifikationen haben es noch schwieriger gemacht. Unter anderem wurden die Bedingungen für die Familienzusammenführung erschwert, die Sanktionen für Einwanderer und ihre Unterstützer erhöht und die maximale Dauer der Internierung in einem CIE von 40 auf 60 Tage verlängert.

03

Italien: Tunesien ist kein sicheres Herkunftsland

https://mediterranearescue.org/it/news/la-tunisia-non-e-ne-un-paese-di-origine-sicuro-ne-un-luogo-sicuro-di-sbarco-per-le-persone-soccorse-in-mare | Gemeinsame Erklärung der zivilgesellschaftlichen Organisationen für Suche und Rettung auf See und der Solidaritätsnetzwerke für Migranten

Angesichts des derzeitigen autoritären Wandels des tunesischen Staates [1] und der extremen Gewalt und Verfolgung der schwarzen Bevölkerung, von Menschen auf der Flucht, politischen Gegnern und Akteuren der Zivilgesellschaft geben wir, die unterzeichnenden Organisationen, diese Erklärung ab, um Sie daran zu erinnern, dass Tunesien weder ein sicheres Herkunftsland noch ein sicheres Drittland ist und daher nicht als sicherer Ort für auf See gerettete Menschen angesehen werden kann. Wir fordern die Behörden der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten auf, ihre Abkommen mit den tunesischen Behörden zur Migrationskontrolle zu widerrufen und bekunden unsere Solidarität mit den Betroffenen.

In den letzten Monaten hat sich die Repression gegen politische Gegner, die Zivilgesellschaft und Minderheiten in Tunesien verschärft [2]. Mehrere tunesische und internationale Menschenrechtsorganisationen haben ihre Besorgnis über „die Schwächung der Unabhängigkeit der Justiz, die Verhaftungen von Kritikern und politischen Gegnern, die Militärprozesse gegen Zivilisten, die anhaltende Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die Drohungen gegen die Zivilgesellschaft“ [3] zum Ausdruck gebracht.

Diese Entwicklungen fallen in eine Zeit, in der sich die sozioökonomische Lage Tunesiens kontinuierlich verschlechtert: Die Arbeitslosenquote liegt bei 15 Prozent und die Inflationsrate bei 10 Prozent. Dem Land fehlt es an grundlegenden Gütern, und aufgrund der Dürre ist die Wassernutzung eingeschränkt (…) Diese Kombination von Faktoren bringt die schwarzen Migranten und die Stimmen der Opposition in eine gefährliche Lage. Da sie in Tunesien nicht sicher sind, versuchen Migranten aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, ein Land zu verlassen, das für sie immer gefährlicher wird. Menschen, die auf See bei ihrem Versuch, aus dem Land zu fliehen, aufgegriffen werden, sollten daher nicht in Tunesien an Land gehen dürfen (…) Tunesien verfügt über kein nationales Asylsystem, und auf See gerettete Menschen, tunesische wie nicht-tunesische, sind in hohem Maße dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen, Inhaftierung [13] und erzwungener Zurückweisung [14] ausgesetzt. (…) Erreicht wird dies durch verschiedene Abkommen, die auf ein „gemeinsames Migrationsmanagement“, die Überwachung der Grenzen und die Rückführung tunesischer Bürger abzielen. Zwischen 2016 und 2020 wurden Tunesien über den EU-Treuhandfonds für Afrika mehr als 37 Millionen Euro zur Unterstützung des „Migrations- und Grenzmanagements“ zugewiesen [16]. Weitere Millionen Euro sind auf dem Weg. Darüber hinaus unterstützt die EU Tunesien durch „Polizeiausbildung, die Bereitstellung von Ausrüstung für die Datenerfassung und -verwaltung, technische Unterstützung, Ausrüstung und Wartung von Küstenpatrouillenschiffen und anderen Instrumenten zur Verfolgung und Überwachung von Bewegungen“ [17]. Leider ist keine Änderung der europäischen Politik in Sicht. Erst im November 2022 erwähnte die Europäische Kommission in ihrem jüngsten Aktionsplan für das zentrale Mittelmeer ihr Ziel, „Tunesiens Kapazitäten […] zu stärken, um irreguläre Ausreisen zu verhindern [und] ein effektiveres Grenz- und Migrationsmanagement zu unterstützen“ [18]. Auf diese Weise unterstützt die EU auch die tunesische Küstenwache, einen Akteur, dessen Menschenrechtsverletzungen gegen Menschen auf der Flucht gut dokumentiert sind. (…)

[*] Fußnoten im Original.

Abb. (PDF): Foto: Push-Back in die Wüste. https://alarmphone.org/wp-content/uploads/2021/10/signal-2021-10-02-210619.jpeg

04

Kroatien: Anhaltende und gewaltsame Pushbacks

https://www.hrw.org/de/news/2023/05/03/kroatien-anhaltende-gewaltsame-pushbacks

Die kroatische Polizei drängt Geflüchtete, Asylsuchende und Migrant*innen regelmäßig und oft gewaltsam nach Bosnien und Herzegowina zurück, ohne die Asylanträge oder den Schutzbedarf der Betroffenen zu prüfen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Der 94-seitige Bericht … stellt fest, dass die kroatischen Behörden auch unbegleitete Kinder und Familien mit kleinen Kindern zurückdrängen. Diese Praxis wird trotz offizieller Dementis, angeblicher Überwachungsmaßnahmen und wiederholter – jedoch nicht eingehaltener – Zusagen, das Recht auf Asyl und andere Menschenrechtsnormen zu respektieren, fortgesetzt. Die Grenzpolizei stiehlt oder zerstört regelmäßig Telefone, Geld, Ausweispapiere und andere persönliche Gegenstände von Betroffenen und setzt Kinder und Erwachsene oft einer erniedrigenden und entwürdigenden Behandlung aus, manchmal auf eine offen rassistische Art und Weise.

„Die kroatische Regierung hat die Institutionen der Europäischen Union mit Ablenkungsmanövern und leeren Versprechungen hinters Licht geführt“, so Michael Bochenek, Senior Children‘s Rights Counsel bei Human Rights Watch und Autor des Berichts. (…) Zwischen Januar 2020 und Dezember 2022 verzeichnete der Dänische Flüchtlingsrat fast 30 000 Pushbacks. Etwa 13 Prozent der im Jahr 2022 erfassten Pushbacks betrafen Kinder, die allein oder mit ihren Familien unterwegs waren. Die meisten der Betroffenen kamen aus Afghanistan.

05

Griechenland: Helfen verboten

https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/atlas-der-zivilgesellschaft/2023/griechenland/

Als 2015 mehr als 860 000 Menschen auf ihrer Flucht nach Europa in Griechenland ankamen, wurden sie herzlich empfangen (…) Heute ist die Lage in Griechenland eine vollkommen andere: Unabhängig von ihrem völkerrechtlichen Anspruch auf Schutz werden Geflüchtete von vielen Griech:innen und ihrem Staat als „Illegale“ betrachtet und kriminalisiert. Aber auch zivilgesellschaftliche NGOs, die sich für Geflüchtete einsetzen, werden in Griechenland vor immer höhere bürokratische Hürden gestellt, ihre Mitarbeitenden schikaniert oder als „Schleuser“ verhaftet. (…) Die Lage für Asylsuchende und ihre Helfer:innen verschlechtert sich in Griechenland seit Jahren. Das begann 2016 mit dem EU-Türkei-Deal, dessen Ziel es ist, Flüchtlinge abzuhalten, nach Europa weiterzureisen. Er hat den geopolitischen Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei noch verschärft. Und er führt bis heute dazu, dass Geflüchtete tagelang auf dem Mittelmeer oder Grenzfluss Evros zwischen beiden Ländern hin- und hergeschoben werden – ohne Essen, ohne Kleidung, ohne Unterstützung. Und es gipfelt in den sogenannten Pushbacks (…) Die rigorose Flüchtlingspolitik und die isolierten Flüchtlingslager und Mauern um die Camps kommen in der griechischen Bevölkerung gut an: 2022 waren vier von fünf Griech:innen zufrieden mit dem Vorgehen der Regierung. Diese zeigt ihre Politik der Abschottung beispielsweise im Zervou Refugee Camp auf Samos –ein Pilotprojekt, das als Vorbild für vier weitere Closed Controlled Access Camps (CCAC) in Griechenland dient; sie sollen langfristig alle alten Lager ablösen.

Die EU hat den Bau der dystopischen Camps mit 274 Millionen Euro finanziert – schließlich sei Griechenland das „Schutzschild Europas“, so EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. NGOs und Anwält:innen kommen kaum noch in die CCAC. Auch in allen anderen Camps des Landes will die griechische Regierung sie am liebsten nicht mehr sehen. In die Camps kommt nur, wer einen festen Einzeltermin und die Erlaubnis der Behörden dafür hat. Offene Beratungstreffen können die NGOs gar nicht mehr anbieten. Die Abschottung der Camp-Insassen von potentiellen Helfer:innen nahm zu, nachdem die rechtskonservative Regierungspartei Nea Dimokratia im April 2020 mit einem weiteren Gesetz – dem Gesetz 4662/2020 – die Registrierung von griechischen und ausländischen NGOs neu regelte: Seitdem müssen alle Organisationen, die im Bereich Asyl, Migration und soziale Eingliederung arbeiten, eine mehrstufige Registrierung durchlaufen, um aktiv werden zu dürfen. Sie ist aufwendig, undurchsichtig und – mit bis zu 25 000 Euro – teuer. NGOs müssen beispielsweise von Wirtschaftsprüfern kontrollierte Jahresabschlüsse vorlegen, die mindestens zwei Jahre Erfahrung im humanitären Bereich belegen – damit sind jüngere Organisationen automatisch ausgeschlossen. Brot für die Welt-Partner Equal Rights Beyond Borders klagt aktuell vor dem höchsten Verwaltungsgericht in Griechenland gegen das Verfahren; es sei verfassungswidrig. Auch die Vereinten Nationen kritisierten es scharf.

Unter Druck geraten sind auch Journalist:innen, die über Versäumnisse und Fehler der griechischen Flüchtlingspolitik und über die staatlichen Repressionen gegenüber Geflüchteten, Migrant:innen und Unterstützende berichten (…) Medienberichte über Pushbacks werden von der griechischen Regierung oft als Fake News abgetan (…)

Immer mehr NGOs ziehen sich aufgrund der zunehmenden Repression zurück –besonders NGOs, die in der Seenotrettung arbeiten. Ihre Schiffe werden in Häfen festgesetzt, Mitarbeitende von NGOs und Freiwillige kommen mitunter auch in U-Haft. „Leider haben die zunehmende Repression und Kriminalisierung durch die griechischen Behörden den weiteren Einsatz unmöglich gemacht“, so die NGO Mare Liberum.

Organisationen wie Borderline Europe Lesbos stellen ihre Angebote um und bieten beispielsweise Sozialberatung außerhalb der Camps an. Andere NGOs wie etwa Josoor haben ganz aufgegeben (…)