Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)16
Kommunale Initiativen

Kommunale Initiativen – In Sachen „Flüchtlingsgipfel“

dok: Ulli Jäckel, Hamburg

01 Nicht Migration ist das Problem, sondern die mangelnde Infrastruktur.
02 Internationale Vorbereitungsklassen: der richtige Weg?
03 Flüchtlingsgipfel löst kein einziges Problem
04 Abschiebung ist keine Lösung
05 Gastgeberpauschale ein voller Erfolg
06 Städtetag fordert langfristige Flüchtlingsfinanzierung

01

Nicht Migration ist das Problem, sondern die mangelnde Infrastruktur.

www.die-linke-luebeck.de „Die Bundesländer fordern zu Recht eine stärkere finanzielle Beteilung des Bundes an den Kosten der Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten. Doch anstatt darauf einzugehen und langfristige Finanzierungskonzepte zu entwickeln, setzt die Bundesregierung auf Entrechtung und Abschottung. Vorschläge wie Ankerzentren, die Einstufung weiterer Herkunftsstaaten als ,sicher‘ und die Ausweitung von Abschiebungshaft gehen direkt auf Seehofer zurück und sind das Gegenteil des versprochenen Paradigmenwechsels in der Migrationspolitik“, erklärt die fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Clara Bünger, im Vorfeld des am Mittwoch stattfindenden Flüchtlingsgipfels im Bundeskanzleramt. Bünger weiter:

„Es kann nicht sein, dass Politiker:innen alle paar Jahre davon überrascht werden, dass mehr Geflüchtete kommen. Flucht ist eine Realität, die nicht aufhören wird – darauf müssen sich Bund, Länder und Kommunen einstellen und dauerhaft ausreichende Kapazitäten vorhalten. Die Kosten muss überwiegend der Bund tragen. Nicht Geflüchtete sind das Problem, sondern mangelnde Infrastruktur.“

02

Internationale Vorbereitungsklassen: der richtige Weg?

www.linksfraktion-hamburg.de Thimo Witting ist Schulleiter der Stadtteilschule Bergedorf, und als solcher steht er für einen besonderen Weg bei der Integration von geflüchteten Schüler:innen. An seiner Schule gibt es – anders als sonst – keine Internationalen Vorbereitungsklassen! Bei einer Diskussion im Rathaus wollte unsere schulpolitische Sprecherin Sabine Boeddinghaus wissen, warum das so ist.

Gekommen waren mehrheitlich Zuhörer:innen, die in bildungspolitischen Gremien wie der GEW, der Gemeinschaft der Elternräte an den Stadtteilschulen, der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule GGG oder der Lehrer:innen- und Schüler:innenkammer engagiert sind. Dieser Zuspruch war erfreulich und unseres Erachtens auch ein Zuspruch zur Qualität der Bildungspolitik der Linken in Hamburg.

Thimo Witting berichtete, wie sich die STS Bergedorf seit 2015 gegen das Konzept einer segregierten Beschulung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in sogenannten Internationalen Vorbereitungsklassen (IV-Klassen, IVK) entschied. Schon damals seien negative Auswirkungen auf die Bildungswege bekannt gewesen, die jüngst durch Zahlen aus Hamburg wieder bestätigt wurden. Darüber hinaus kam die Schulgemeinschaft überein, dass eine Absonderung dem Grundverständnis der STS Bergedorf widerspräche. Dieses lautet: „alle sind willkommen“!

Soweit bekannt, ist die STS Bergedorf die einzige Schule, die die Mittel, die sie von der Schulbehörde für die Geflüchtetenbeschulung zugewiesen bekommt, für die Stelle einer Kulturmittler:in einsetzt. Hinzu kämen 90 Minuten täglich zusätzlicher Deutschunterricht sowie Mentor:innen (Ehrenamtliche, Ehemalige und ältere Schüler:innen), die die Schüler:innen begleiten. Natürlich sei der Schulalltag nicht ohne Konflikte, doch wesentlich, so Witting, sei die Haltung der Schulgemeinschaft und die Überzeugung, dass Integration im Klassenverbund der richtige Weg sei. Dafür könnten Mittel aufgewendet und umgewidmet werden. Es stünde auch anderen Schulen frei, sich von dem Modell segregierter Beschulung zu lösen und eigenständige, integrative Wege zu gehen. Denn, so der Kern von Wittings Ausführungen, es sei schon längst nicht mehr so, dass eine Fluchterfahrung ein Aussonderungsmerkmal sei. Die Schüler:innenschaft sei mittlerweile sowieso in vieler Hinsicht heterogen – besonders, was die Herkunft und Sprache angehe. Allein die Hälfte aller Schüler:innen in Hamburg hätten einen sog. Migrationshintergrund.

03

Flüchtlingsgipfel löst kein einziges Problem

www.dielinke-jerichowerland.de Die Ergebnisse des sogenannten Flüchtlingsgipfels der Bundesregierung kommentiert Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt:

„Die Ergebnisse des sogenannten Flüchtlingsgipfels lösen kein einziges Problem und schon gar nicht dauerhaft. Was dringend nötig gewesen wäre: Eine dauerhafte und verlässliche Finanzierung der Kosten für Unterbringung und Integration durch den Bund, ein Plan zur Überwindung des vielfachen Stillstands und des Chaos bei den Ausländerbehörden sowie Perspektiven für die Menschen, die im Land sind. Der allergrößte Teil der Geflüchteten ist schutzberechtigt und auch diejenigen, die keinen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, können nicht einfach abgeschoben werden.

Was dringend nötig gewesen wäre, wären mehr Ministerpräsident:innen, die, wie Bodo Ramelow, Humanität und Realismus miteinander verbinden und Menschen, die seit Jahren mit unklarem Aufenthaltsstatus leben, die Chance zu einem Spurwechsel geben wollen. Was dringend nötig gewesen wäre, wäre eine Bundesregierung, die ihr Versprechen für einen Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik zu sorgen, auch hält.

Erlebt haben wir das Gegenteil. Die Abschreckungsrhetorik und Vorstöße, die die Bundesregierung bereit ist, mitzutragen wie Grenzverfahren, Ausweitung der Abschiebehaft und pauschale Einstufung von weiteren Ländern als sogenannte sichere Herkunftsländer, könnten auch direkt aus dem Hause Seehofer kommen.

Die Kommunen brauchen mehr finanzielle Unterstützung, dauerhaft und planungssicher. Mit den Vereinbarungen, die jetzt getroffen wurden, wird es so weitergehen wie bisher. Alle Erfahrung in Sachen Migration zeigt, Restriktionen und Abschreckungen sorgen dafür, dass es Menschen schlechter geht. Sie sorgen nicht dafür, dass Menschen nicht fliehen. Wer dafür sorgen will, dass weniger Menschen fliehen müssen, muss Fluchtursachen bekämpfen und wer weniger „irreguläre Migration“ und bessere Planbarkeit will, muss sichere Fluchtwege schaffen.

Der sogenannte Flüchtlingsgipfel hilft weder Kommunen noch Betroffenen. Indem Geflüchtete zum Problem gemacht werden, kann er sogar rassistische Mobilisierung befeuern. Die weitere Entrechtung von Asylsuchenden ist keine Lösung für irgendetwas.“

04

Abschiebung ist keine Lösung

www.dielinke-lausitz.de (…) Die Bundesregierung stellt den Ländern 2023 eine Milliarde Euro mehr für die Versorgung von Flüchtlingen zur Verfügung. Darauf haben sich Bund und Länder beim Flüchtlingsgipfel am 10. Mai geeinigt. Bisher waren 2,75 Milliarden Euro geplant. Die Länder wollten ein Modell durchsetzen, wonach sich die Finanzzuschüsse an der Zahl der Flüchtlinge orientieren. Damit konnten sie sich nicht durchsetzen. Im November soll neu entschieden werden, ob weitere Gelder nötig sind. Bis dahin soll eine Arbeitsgruppe Vorschläge unterbreiten.

Der durch den Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow geführte Freistaat Thüringen gab nach dem Flüchtlingsgipfel eine Protokollerklärung ab. Darin wird noch einmal gefordert, die Kommunen und Länder nicht finanziell allein zu lassen. Mit pauschalen Summen allein sei es nicht getan, sondern es müssten „Pro-Kopf-Finanzierungen zu Grunde gelegt werden, einschließlich der Kosten der Unterkunft. Dies ist die Voraussetzung für den notwendigen Ausbau der erforderlichen kommunalen und Landes-Infrastruktur.“ Die Fraktion der Linken im Landtag Brandenburg stellte daraufhin auf der Landtagssitzung am 11. Mai einen Entschließungsantrag, damit sich die Brandenburger Landesregierung dieser Auffassung anschließt und weiterhin eine auskömmliche Pro-Kopf-Finanzierung von der Bundesregierung fordert. Zugleich forderte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Sebastian Walter, eine andere Politik für Brandenburg. „Ja, es fehlen Kita-Plätze, Lehrer:innen, bezahlbarer Wohnraum, Geld für die Kommunen.“ Dies sei jedoch nicht die Folge davon, weil Flüchtlinge nach Brandenburg kommen, sondern weil die Landesregierung seit Jahren wegschaut, Vorschläge ablehnt, mit denen die Probleme gelöst werden könnten. Ein Beispiel seien die Investitionen in Schulen, so Walter: 70 Millionen stellte das Land zur Verfügung, Anträge lagen in Höhe von 670 Millionen vor. Oder: In der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge wurden im letzten Jahr 1500 Plätze abgeschafft, um sie in diesem Jahr mit 15 Millionen Euro wieder einzurichten. „Erst nicht handeln, oder mit Ihrer Unfähigkeit dem Land Schaden zufügen … Daran sind doch nicht die Geflüchteten Schuld. Sondern Sie! Sie sind eine Überlastung für dieses Land!“, warf Walter der Landesregierung vor.

Die Koalitionsfraktionen von SPD, CDU und Grünen lehnten den Antrag der Linken ab. Sebastian Walter warf ihnen vor, sich auf die Argumentation der AfD einzulassen, wonach man eine hohe Zahl der Menschen praktisch abschieben könne, um das Problem zu lösen. „Das ist eine Lüge“, erklärte Walter.

https://www.dielinke-lausitz.de/politik/bundland/detail-bl/news/abschiebung-ist-keine-loesung/

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Gastgeberpauschale ein voller Erfolg

www.linke-fraktion-dresden.de Als im Frühjahr 2022 nach Kriegsbeginn in der Ukraine innerhalb kürzester Zeit viele hundert Menschen aus der Ukraine nach Dresden flohen, zeigten viele Dresdnerinnen und Dresdner spontan ein enormes Maß an Hilfsbereitschaft, indem sie Menschen bei sich zu Hause aufnahmen und für Wochen, Monate bei sich im Haushalt unterbrachten. Diese Hilfsbereitschaft ist nach wie vor nicht abgerissen. Von den etwa 9 000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die seit dem russischen Überfall nach Dresden flohen, lebten und leben etwa drei Viertel in privaten Haushalten und nicht in kommunalen Unterbringungseinrichtungen. Um den Gastgeberinnen und Gastgebern für diese tolle Unterstützung zu danken und Wertschätzung auszudrücken, hat Sozialbürgermeisterin Dr. Kris Kaufmann (Die Linke) die Idee einer Gastgeberpauschale entwickelt. Pro Person erhalten die Gastgeberinnen und Gastgeber 5 Euro pro Tag. Dazu sagt Pia Barkow, Mitglied im Ausschuss für Soziales und Wohnen: „Das Instrument war genau das Richtige. Die Zahlen für die Anträge im Jahr 2022 zeigen, dass die Pauschale sehr gut angenommen wurde.“

www.staedtetag.de Die Gastgeberpauschale ist eine pauschale, steuer- und sozialversicherungsfreie Aufwandsentschädigung für private Gastgeberinnen und Gastgeber, die in Dresden registrierten hilfebedürftige Geflüchtete als Gäste in einer Dresdner Wohnung aufnehmen. Hilfebedürftig bedeutet, dass die Geflüchteten Leistungen nach AsylbLG, SGB II oder SGB XII erhalten. Die Pauschale beträgt 5 Euro pro untergebrachte Person und Tag.

06

Städtetag fordert langfristige Flüchtlingsfinanzierung

www.staedtetag.de Die Städte fordern Planungssicherheit und eine nachhaltige Finanzierung für die Aufnahme von geflüchteten Menschen. Außerdem müssen neue Gesetze praxistauglich und digital umsetzbar sein. Das ist nötig für die Zukunftsfähigkeit des Landes und ein starker Hebel gegen den Fachkräftemangel.

Der Vizepräsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Burkhard Jung, sagte zum Auftakt der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Köln:

„Die Städte wollen geflüchteten Menschen Schutz und Zuflucht geben. Ihre Aufnahme und Integration ist eine der akut größten Herausforderungen für uns als Gesellschaft. Die Städte können das, wir vor Ort finden jeden Tag pragmatische Lösungen, damit Aufnahme und Integration gelingen. Aber wir stehen inzwischen mit dem Rücken zur Wand (…) Nötig ist ein Maßnahmenbündel mit Qualifizierung, neuen Arbeitsmodellen und Zuwanderung“, forderte Jung.

Dazu gehören unter anderem:

• Verwaltungsprozesse digitalisieren und entbürokratisieren: medienbruchfreie Verfahren von Anfang an planen und einheitliche Standards, das spart Personal.

• Gezielte Arbeitskräfteeinwanderung verstärken: Wir müssen das Ankommen erleichtern und Qualifikationen schnell anerkennen.

• Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete in den Kommunen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus: Wir sollten denjenigen eine Chance geben, die schon hier sind. Sie sollten leichter eine Arbeitserlaubnis erlangen können, und ihre Qualifikationen müssen einfacher anerkannt werden.

• Mehr Ausbildungs- und Studienkapazitäten: Ausbilden über Bedarf hinaus beugt späterem Mangel vor, dafür sind gemeinsame Konzepte mit Bund und Ländern nötig. Junge Menschen sollten mit dualer Ausbildung erreicht werden.

• Moderne und flexible Arbeitsbedingungen: Umbauten von Verwaltungsgebäuden werden auf moderne Arbeitskonzepte ausgerichtet, inklusive mobiler Arbeit.

• Einfachere und flexiblere Regelungen bei Renten und Pensionseintritt: Nötig ist dafür im öffentlichen Dienst ein modernisiertes und flexibleres Dienstrecht.

• Quereinstiege erleichtern und unterstützen: Menschen mit Berufskarrieren außerhalb des öffentlichen Dienstes sollten gezielt angesprochen werden und brauchen geeignete Qualifizierungsangebote und leichte Einstiegsmöglichkeiten.

Praxistaugliche und digital umsetzbare Gesetze

Eine Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit sowie ein starker Hebel gegen Fachkräftemangel seien außerdem gut umsetzbare Gesetze. Es sei richtig, dass der Bund mit dem Digitalcheck Gesetzesvorhaben auf ihre digitale Praxistauglichkeit überprüfen will. „Der Digitalcheck muss jetzt ernsthaft angewendet werden und darf nicht nur pro forma abgehakt werden.

Wir brauchen durchgängig digitalisierte Verfahren und praxistaugliche Gesetze. Dabei muss der Bund das Wissen der Kommunen rechtzeitig bei der Gesetzgebung mit einbinden.

Für zentrale Verwaltungsverfahren, wie das Beantragen von Pässen, für Führerscheine oder Führungszeugnisse sollte der Bund auch zentrale IT-Lösungen bereitstellen. Wenn diese von allen Städten genutzt werden können, muss sich nicht jede Stadt um individuelle Lösungen kümmern (…)

https://www.staedtetag.de/presse/pressemeldungen/2023/hauptversammlung-staedte-fordern-langfristige-fluechtlingsfinanzierung

Abb. (PDF): logo Städtetag