Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)20
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Rechte Provokationen – demokratische Antworten – Redaktionsnotizen.

Zusammengestellt von Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01 Das Recht auf Schutz darf nicht abgeschafft werden! Rosemarie Steffens.
02 Antifaschismus? Im Zweifelsfall kann man auf Grüne nicht zählen. Christiane Schneider, Hamburg.
03 Roger Waters Hetzer und Nazist. Jörg Detjen, Köln.
04 Mahnmal für Zeugen Jehovas „ist überfällig“. Karl-Helmut Lechner.

01

Das Recht auf Schutz darf nicht abgeschafft werden! Rosemarie Steffens. 700 Juristen warnen Bundesregierung, Bundestag und Ministerpräsident*innen der Länder in einem Offenen Brief dringend vor einem Paradigmenwechsel im Asylrecht. Statt Fluchtursachen ernsthaft zu bekämpfen, würden Schutzsuchende zum Problem erklärt. Internierungslager, Schnellverfahren an den Außengrenzen (Fiktion der Nicht-Einreise) ohne garantierte Beratung und Rechtsschutz demontierten das Asylverfahren und erzeugten Rechtlosigkeit. Die Liste sicherer Herkunftsstaaten werde verlängert, Abschiebungen vereinfacht. Die Regierung hatte angekündigt, „Geflüchtete zu schützen“ und bessere Standards für Schutzsuchende in Asylverfahren auf Europaebene zu schaffen. Der Brief fordert die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte, Schutzansprüche und Verfahrensrechte verfassungs- und völkerrechtlichen Rangs von der Bundesregierung „anstatt in einer aufgeladenen Debatte tragende Grundpfeiler des Rechtsstaates über Bord zu werfen“.

(25.05.2023 Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein; https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen)

02

Antifaschismus? Im Zweifelsfall kann man auf Grüne nicht zählen. Christiane Schneider, Hamburg. Auch der zweite Anlauf für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zur Aufklärung des NSU-Mordes an Süleyman Taşköprü im Jahr 2001 ist gescheitert. Das öffentliche Interesse war überraschend groß. Da 25 Stimmen erforderlich waren, hing alles von den Grünen ab. Diese hatten 2021 auf einer Mitgliederversammlung einen entsprechenden Beschluss gefasst und standen durch Appelle der Familie Taşköprü, durch außerparlamentarische Aktionen und den Antrag der Linken, der gut hundert substantiierte Fragen enthielt, unter Druck. Nach einem kurzen, aber heftigen Streit mit dem Koalitionspartner SPD, der mit der Koalitionsfrage drohte, knickten sie ein. In der Bürgerschaftsdebatte dann suchten SPD und Grüne sich darin zu überbieten, die parlamentarische Aufklärung mit sich widersprechenden Begründungen für überflüssig zu erklären: Hamburg habe bereits alles aufgeklärt oder: die Untersuchungsausschüsse in den übrigen Tatortländern und dem Bund hätten ja auch nichts erbracht. Gegen einen PUA stellte Rot-Grün die wissenschaftliche Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Hamburg zur Abstimmung, ein Projekt, das sinnvoll, aber keine Alternative zur politischen Aufarbeitung gerade des totalen Behördenversagens ist. Damit nicht genug. Eine einzige Grünen-Abgeordnete stimmte (ebenso wie zwei fraktionslose Abgeordnete) für den Antrag der Linken. Obwohl sie sich auf ihr Gewissen berief und solche „Abweichungen“ aus Gewissensgründen in allen Parlamenten immer wieder mal vorkommen, beschloss die durch die SPD gedemütigte Grünen-Fraktion auf Antrag des Fraktions- und des Landesvorstands sowie der grünen Senatsmitglieder, die „Abweichlerin“ hart abzustrafen: Sie verlor alle ihre Funktionen. Die Empörungswelle war riesig, aber für den Machterhalt scheint den Grünen kein Preis zu hoch.

03

Roger Waters Hetzer und Nazist. Jörg Detjen, Köln. Seit März tourt Roger Waters mit seiner Band durch Europa. Insbesondere seine Auftritte in Deutschland wurden von Anfang an kritisiert. In den Pausen seiner Stücke platziert er gezielt antisemitische Sprüche und ein schwebendes Schwein früher mit Davidstern, inzwischen mit einem israelischen Konzernlogo, knüpft an Jahrhunderte lange Geschichte von Hetzkampagnen gegen Juden gezielt an. Boykott-Kampagnen wie z. B. gegen Südafrika sind gegen den Staat Israel in Deutschland mit seiner Nazi-Vergangenheit und Judenvernichtung zu Recht umstritten und verpönt. Roger Waters Auftritte sind grenzwertig. In Berlin ist er mit „schwarzem Ledermantel und einer roten Armbinde aufgetreten“ berichtet die taz und die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung. In Frankfurt tritt er in jener Festhalle auf, in der die Deportation der Juden organisiert wurde. Ermittlungen und Verbote werden nicht zielführend sein, weil im Rahmen der Meinungs- und Kunstfreiheit viel möglich ist und die gesetzlichen Bestimmungen gegen rechte Volksverhetzung sehr schlecht sind. Über die Auftritte Roger Waters gab es in der linken, kritischen Szene bundesweit, vor allem bei den Künstlerinnen und Künstlern, sehr kontroverse Diskussion.

Die Kölner Ratsfraktion der Linken hat sich vor Ort an Bündnissen gegen Roger Waters-Konzerte beteiligt, weil uns der Schutz der jüdischen Gemeinschaften vor Ort sehr wichtig ist. Fühlen sie sich bedroht, muss man an ihrer Seite stehen.

Diesen eher pragmatischen Ansatz teilen aber nicht alle und diskutieren das dann eher ideologisch und kommen zu der These, Waters sei kein Antisemit. – Wie auch immer, vielleicht sollten alle nachdenklich werden, wenn man weiß, dass der Rechtsanwalt Höcker aus Köln, der Roger Waters verteidigt, seit vielen Jahren AfD-Mandatsträger verteidigt. Schließt sich hier nicht der Kreis? Die Mobilisierung gegen die Auftritte waren sehr schlecht besucht. An einer Kundgebung vor dem Kölner Dom am Tag vor dem Auftritt beteiligt sich ca. 200 Personen. Mobilisiert hatte ein breites Bündnis. Auf dem Konzert von Waters waren dann 10 000 Menschen. Das muss sorgenvoll stimmen. Alle Konzerte von Waters in Deutschland waren gut besucht. Auch wenn die Kritik hörbar war, wirkte sie nicht auf das Publikum. Der Kampf gegen Antisemitismus muss konkreter und direkter werden, und die Anliegen der jüdischen Gesellschaft respektieren.

04

Mahnmal für Zeugen Jehovas „ist überfällig“. Karl-Helmut Lechner. Die Errichtung eines Mahnmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Zeugen Jehovas sei „überfällig“. Dies betonten vier Wissenschaftler als Sachverständige in einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses des Bundestages am 22.5.23 zu dem von den Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gemeinsam vorgelegten Antrag für ein Mahnmal im Berliner Tiergarten. Die Linksfraktion unterstützt den Antrag. Die Wissenschaftler betonten, dass die Zeugen Jehovas als einzige religiöse Gemeinschaft geschlossen Widerstand gegen Nationalsozialismus geleistet hätten. Die rund 25 000 Zeugen Jehovas im Deutschen Reich hätten den „Hitlergruß“, den Eid auf Adolf Hitler, den Wehrdienst und jegliche Beschäftigung in der Rüstungsindustrie konsequent verweigert. Die Glaubensgemeinschaft sei bereits 1933 verboten worden, und ab 1934 sei es zu einer großen Zahl von Inhaftierungen in Konzentrationslager gekommen. „Im Gegensatz zur Mehrheit der Christen haben sie nicht weggeschaut“ angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen gegenüber den Juden und anderen verfolgten Gruppen. Die Nationalsozialisten hätten die Glaubensgemeinschaft „unter dem Beifall katholischer und protestantischer Kirchenfürsten“ als Helfer des Kommunismus diffamiert. Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Nachkriegsdeutschland wurde lange Zeit verdrängt. In der BRD seien Entschädigungszahlungen für die Verfolgungen aufgrund des verweigerten Wehrdienstes vom Bundesgerichtshof abgelehnt worden. Begründung: Wehrdienstverweigerung sei kein widerständiges Verhalten. In der DDR sei den Zeugen Jehovas der Status als Verfolgte des Faschismus aberkannt und 1950 seien sie erneut verboten worden.