Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)21
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

„Bis das Einwanderungsamt eine Willkommensbehörde wird, ist es noch ein langer Weg“

01 Anfragen an die LADG-Ombudsstelle Stand: 31. 12.2021 Beschwerden 2020 (seit 1.7.2020) 139 Beschwerden 2021 413 LADG bezogene Beschwerden insges: 552
02 Landesdiskriminierungsgesetz (LADG), Berlin, (Auszug)

Interview mit Elif Eralp von Olaf Argens, Schmitten

Das Berliner Abgeordnetenhaus beschloss 2019 ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG). Das Gesetz setzt internationales und europäisches Antidiskriminierungsrecht um, etwa die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen und die Anti-Rassismus-Richtlinie der EU. Der Koalition aus SPD, Linken und Grünen kam hier eine Vorreiterrolle zu, denn Berlin hat als erstes Bundesland ein solches Gesetz verabschiedet. Bremen wird möglicherweise folgen. Das nachfolgende Interview mit Elif Eralp befasst sich mit den Erfahrungen in der Umsetzung des Gesetzes. Elif Eralp ist Mitglied des Fraktionsvorstandes Die Linke und Sprecherin für Migration, Partizipation und Antidiskriminierung. Foto: Elif Eralp bei www.abgeordnetenwatch.de/

Frau Eralp, wie kam es dazu? Wer hat sich für das Gesetz stark gemacht?

Das LADG verfolgt diskriminierendes Verhalten durch Landesbehörden, also etwa durch die Polizei, in Schulen und in Universitäten. Mit dem Gesetz wird eine Lücke geschlossen, da das vorhandene Recht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ausschließlich die Diskriminierung im Erwerbsleben und durch private Akteure behandelt. Bevor das neue Gesetz in den Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen aufgenommen und schließlich beschlossen wurde, gab es in der Berliner Zivilgesellschaft eine öffentliche Debatte darüber. Verbände, die sich mit Antidiskriminierung befassen, haben das Vorhaben maßgeblich befördert. Grüne und Linke hatten das von Anfang an unterstützt. In der SPD gab es zunächst Vorbehalte. Dabei spielt eine Rolle, dass es in Berlin eine breit gefächerte Beratungslandschaft gibt, die auch durch den Senat gefördert wird. Der Senat hat dafür besondere Antidiskriminierungs-Fachstellen eingerichtet.

Welche politischen Einwände und Widerstände gab es bzw. gibt es?

Es gab einen Aufschrei aus der CDU, der AfD und der FDP, indem die Zielrichtung des Gesetzes auf die Polizei beschränkt und vor allem behauptet wurde, die Polizei würde unter einen Generalverdacht gestellt, etwa beim Racial Profiling. Der damalige Innenminister Seehofer (CSU) kündigte an, es werde keine Bundespolizeieinsätze mehr in Berlin geben, wenn das Gesetz beschlossen wird. Für die Kritiker des Gesetzes gab es in der Polizei nur wenige „schwarze Schafe“, aber kein strukturelles Problem. Die Springerpresse hatte eine regelrechte Gegenkampagne begonnen. So wurde etwa wider besseres Wissen behauptet, das LADG sehe eine Beweislastumkehr zu Gunsten der Betroffenen vor. Tatsächlich wurde eine Beweislasterleichterung eingeführt (Vermutungsregelung, s. Kasten, S.22.).

Die Leiterin der Ombudsstelle, Doris Liebscher, benennt in Ihrem Bericht „Das LADG – eine Erfolgsgeschichte“ als Ziele des Gesetzes u.a. auch: Die Antidiskriminierungskultur in der Verwaltung voranbringen und Handlungssicherheit für die Beschäftigten schaffen. Gab es bereits Änderungen in Verwaltungsvorgängen, etwa Schulungen für Beschäftigte?

Die Ombudsstelle ist berechtigt, nach dem Eingehen von Beschwerden Stellungnahmen der verantwortlichen Behörde einzuholen. Fällt die unbefriedigend aus, kann die diskriminierende Vorgehensweise förmlich beanstandet werden. Die Behörde muss dann reagieren. Das Verfahren kann in geeigneten Fällen auch dazu führen, dass die Ombudsstelle Handlungsempfehlungen ausspricht und Schulungen anbietet. Diese Beanstandungen haben zwar keine zwingende rechtliche Wirkung. Sie können jedoch ähnlich wie in einem Mediationsverfahren wirken. Die Tätigkeit der Ombudsstelle kann im Vorfeld einer Klage Verbesserungen bewirken, ohne dass geklagt werden muss. Einige Beispiele:

• Es gab Beschwerden über die Formulierungen in Antragsformularen der Elterngeldstelle, da die Antragsteller:innen dort als Vater und Mutter angesprochen wurden. Die Formulare wurden geändert, indem jetzt darauf Rücksicht genommen wird, dass es auch gleichgeschlechtliche Paare gibt.

• Die Berliner Bäderbetriebe haben ihre Regeln geändert. Eine Frau hatte sich beschwert, weil ihr in einem Schwimmbad verweigert wurde, wie Männer „oben ohne“ zu schwimmen, obwohl die Haus- und Badeordnung der Bäderbetriebe keine geschlechtsspezifische Festlegung trifft.

• Ferner gab es Beschwerden darüber, dass Schulordnungen vorgeben, dass auf den Schulhöfen nur deutsch gesprochen wird. Die Ombudsstelle hat die Schulen zu Stellungnahmen aufgefordert. Der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen. Zum Teil weigern sich einzelne Schulen, Änderungen der Schulordnungen vorzunehmen. Es wurde seitens der Schule zur Rechtfertigung vorgetragen, dass es diskriminierend sei, wenn Sprachen nicht verstanden würden. Einen Rechtsanspruch darauf, die Sprache des oder der anderen zu verstehen, gibt es jedoch nicht.

• In verschiedenen Fällen führten Beschwerden über Racial Profiling durch die Polizei dazu, dass diese sich bei den Betroffenen entschuldigt hat.

• In einem derzeit in Berlin öffentlich diskutierten Fall, hatte sich eine syrische Flüchtlingsfamilie bei der Ombudsstelle darüber beschwert, dass die Polizei die Familie zuhause aufgesucht hatte, weil eine Geldstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein nicht bezahlt worden war und es dann zu Handgreiflichkeiten und rassistischen Äußerungen durch die Polizei kam. Auch dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Stellungnahme der Polizei steht noch aus. Gegen einen der beteiligten Polizisten wird allerdings ein Disziplinarverfahren durchgeführt.

• Ein besonders gutes Beispiel dafür, wie die öffentliche Debatte und Initiativen der Ombudsstelle ineinandergreifen können, ist der derzeit noch in der Entwicklung befindliche sprachliche Leitfaden für die Polizei, in der diese zur Verwendung von diskriminierungsfreier Sprache angehalten wird. Der Leitfaden soll an alle Polizeibeamten:innen verschickt und Teil der Ausbildung und Gegenstand von Schulungen werden.

Bei Schulungen gibt es allerdings das generelle Problem, dass sie immer freiwillig sind. Richter:innen etwa können aufgrund der Unabhängigkeit der Justiz nicht zu einer Teilnahme verpflichtet werden. Häufig werden die Angebote nur von Menschen in Anspruch genommen, die sowieso schon engagiert sind. Im alten Koalitionsvertrag war die verpflichtende Teilnahme für Lehrer:innen vorgesehen. Der Bildungssenat war jedoch dagegen und im neuen Vertrag ist das Vorhaben nicht mehr aufgegriffen worden.

Vor der Verabschiedung des Gesetzes 2021 gab es schon viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen, die sich um Menschen mit Diskriminierungserfahrung gekümmert haben und versucht haben, ihnen Recht zu verschaffen. Wie sind diese Initiativen in die Ombudsstelle, die das Gesetz vorsieht, eingebunden? Welche Möglichkeiten hat die Partei die Linke, die Umsetzung des Gesetzes zu unterstützen?

Hier gibt es eine gute Zusammenarbeit, etwa in der Vorbereitung und Durchführung von Klageverfahren. So hat die Ombudsstelle beispielsweise die Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt, die Transfrauen in einem Prozess begleitet hatte, in dem es um ein diskriminierendes Verfahren bei Namensänderungen an der Hochschule ging. Obwohl der Rufname längst ein anderer war, hatte die Universitätsverwaltung darauf bestanden, dass der weibliche Name erst dann in den Studentenausweis übernommen wird, wenn er behördlich bestätigt wurde. Es gibt außerdem regelmäßig Expert:innenrunden mit Vertreter:innen von NGOs, in denen die eigene Expertise zur Verfügung gestellt wird und sich ausgetauscht wird. Einen Austausch gibt es des Weiteren bei der Bewertung bestimmter Problemfälle und Diskriminierungstatbeständen, bei denen der Ombudsstelle keine konkreten Beschwerden vorliegen, aber sie um Rat ersucht wird, weil Fälle bei Beratungsstellen vorgetragen werden.

Nicht selten ist zum Beispiel zu klären, ob bei einem Vorfall das LADG oder das AGG zur Anwendung kommt, das Diskriminierungen zwischen Privaten behandelt.

Die Ombudsstelle führt außerdem Schulungen durch, nicht nur für NGOs, sondern auch für Behörden, etwa für die Polizei.

Die Bertelsmannstiftung veröffentliche kürzlich eine Studie über Diskriminierungen in Deutschland Die Autor:innen kommen u. a. zu dem Ergebnis, dass es für die Betroffenen oftmals an Beratung fehlt. Trifft dieser Hinweis auch auf Berlin zu? Hat das LADG insoweit zu einer Verbesserung geführt?

Anders als in vielen Teilen im Bundesgebiet gibt es in Berlin eine vergleichsweise umfassende Beratungsstruktur, die auch sehr differenziert aufgestellt ist, etwa für die Schulen, den Arbeitsmarkt und den Wohnungsmarkt. Im letzten Landeshaushalt wurden für die Beratungsstellen 20 Millionen Euro bereitgestellt, das ist mehr als der Antidiskriminierungsstelle des Bundes für Projekte zur Verfügung steht. Die Linke hatte sich in Vorbereitung des aktuellen Haushalts für eine weitere Fachstelle für das Gesundheitswesen eingesetzt. Vermutlich wird das aber vom neuen Senat nicht mehr aufgegriffen. Ein Problem ist allerdings der Personalmangel bei der Ombudsstelle. Während nämlich einerseits die Arbeit der Einrichtung noch zu wenig bekannt ist, nehmen andererseits die Beschwerdefälle immer weiter zu. Der Grund dafür ist nicht unbedingt eine tatsächliche Zunahme. Vielmehr hellt sich das Dunkelfeld weiter auf. Schon jetzt hat die Ombudsstelle mit einer steigenden Anzahl von Rückständen zu kämpfen. Wichtig wäre also nicht nur mehr Personal, sondern auch, dass der Senat eine Öffentlichkeitskampagne durchführt, mit der über die Beratungsmöglichkeiten informiert wird. Diese Kampagne hat die Ombudsstelle zwar bereits in der Schublade. Sie konnten aber wegen Personalmangel noch nicht begonnen werden. Die Linksfraktion konnte zwar für den letzten Haushalt zwei zusätzliche Stellen durchsetzen. Für die Durchführung einer Öffentlichkeitskampagne ist das aber wahrscheinlich noch nicht ausreichend.

Neben dem Rassismus sind Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung bei weitem die häufigsten Beschwerdegründe seit Verabschiedung des Gesetzes.

Gibt es dafür Erklärungen und Beispiele?

Hier spielen vor allem Beschwerden über eine nicht ausreichende Barrierefreiheit eine Rolle, etwa im öffentlichen Nahverkehr oder in den Behörden, z.B. wenn keine Aufzüge vorhanden sind. Chronische Erkrankungen sind relevant, wenn bei Versicherungsleistungen öffentlicher Stellen oder Verfahren für die Aufnahme in ein Angestellten- oder Beamtenverhältnis Vorerkrankungen abgefragt werden, weil es hier Vorgaben gibt. Zu nennen ist des Weiteren die Digitalisierung im Formularwesen bei den Behörden. Viele Formulare und Anträge können nur noch online bearbeitet oder ausgefüllt werden. Auch hier kommt es zu alters- oder behinderungsbedingten Diskriminierungen.

Die vielen Beschwerden über Rassismus betreffen vor allem das Racial Profiling bei anlasslosen Kontrollen durch die Polizei. Hier gibt es nicht nur sehr viele Vorfälle. Die betroffenen Comunities sind hier mittlerweile auch stärker sensibilisiert und empowert (handlungsfähig, stark) als in anderen Bereichen. Jedenfalls vermuten wir das. Genau wissen wir es nicht. Wenn Diskriminierungsfälle wegen Sexismus nicht verfolgt werden, spielt sicherlich die Scham oder ein Ohnmachtsgefühl eine Rolle.

Viele Beschwerden gibt es auch über die Behandlung auf den Sozialämtern, im Landeseinwanderungsamt, aber auch in den Schulen. Für den Wohnungsmarkt, also die landeseigenen Wohnungsgesellschaften, wirkt das LADG nur mittelbar. Hier – wie auch auf dem Arbeitsmarkt – gibt es häufig ein Problem mit dem Nachweis. Die Versagung einer Wohnung kann nur geahndet werden, wenn eine rassistische Motivation des Entscheidungsträgers dafür nachgewiesen werden kann. Da sich die Motivation im Kopf abspielt, ist sie häufig nicht transparent. Eine Wahrscheinlichkeit oder einer Vermutung reicht nicht.

Welche Rolle spielen gerichtliche Auseinandersetzungen?

Meines Wissens gab es bis jetzt nur vier Gerichtsverfahren. Dazu gehört der Prozess um die Regeln auf einem Wasserspielplatz („Plansche-Fall“) und das ebenfalls bereits angesprochene Verfahren, in dem es um eine diskriminierende Vorgehensweise bei Namensänderungen an der Hochschule ging. In diesem Fall hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Verbandsklage eingereicht. In einem weiteren Prozess ging es um die Behandlung eines Aufenthaltsrechtes durch das Landeseinwanderungsamt. Der Beschwerdeführer hatte geklagt, weil es nicht nur unverhältnismäßig lange gedauert hatte, bis die Behörde sich mit dem Antrag befasst hatte und ein Termin vereinbart wurde. Es gab auch rassistische Äußerungen im Zuge der Antragsbearbeitung. Die Klage wurde verloren, weil kein diskriminierendes Verhalten im Sinne des LADG nachgewiesen werden konnte. Schließlich gab es noch einen Prozess, in dem es nach meiner Erinnerung um Racial Profiling ging.

Es wurde bis jetzt nur wenig geklagt, weil Gerichtsverfahren resourcenaufwendig und teuer sind, vor allem aber auch Zeit benötigen. Viele Menschen, die Diskriminierungen erfahren, leben in prekären Lebensumständen und verfügen nicht über die erforderlichen Mittel. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang sicherlich auch, wenn ein umfassender Rechtshilfefonds aufgelegt würde. Verbandsklagen können hier ebenfalls weiterhelfen. Zu einer Verbandsklage kommt es allerdings auch erst dann, wenn ein für dieses Verfahren registrierter Verein mit Betroffenen zusammenarbeiten kann. Häufig sind aber auch Vereine überfordert, eine Verbandsklage anzustrengen, weil sich ihre Arbeit auf die Beratung konzentriert und die Ressourcen fehlen. Der letzte Senat konnte insofern angedachte Unterstützungen leider nicht weiter verfolgen.

Allein die Tatsache, dass diskriminierende Vorgänge gerichtlich geklärt werden können, führt im Übrigen dazu, dass Vieles bereits im Vorfeld außergerichtlich gelöst werden kann und es wirkt auch abschreckend im Vorfeld.

Welche Rollen spielen Entschädigungen?

In den Gerichtsverfahren können Entschädigungen für die Opfer festgelegt werden. Die Entschädigungshöhen sind allerdings derzeit eher zu niedrig angesetzt, um eine abschreckende Wirkung zu haben. Für das LADG gibt es keine Vorlagen. Einen Orientierungspunkt zur Höhe der durch Gerichte künftig festzusetzenden Entschädigungen gibt allein die Rechtsprechung zum AGG, das unter anderem derartige Entschädigungen im zivilrechtlichen Bereich regelt. Dabei werden regelmäßig Entschädigungen innerhalb einer Spanne von 300 bis 1000 Euro festgesetzt. Nur in besonders schwerwiegenden Diskriminierungsfällen gehen die Gerichte über den Betrag von 1000 Euro – und dann auch sehr deutlich – hinaus.

Hätte der alte Senat seine Arbeit fortsetzen können, wäre das LADG weiter verbessert worden. Welche Vorschläge gab es ?

Die Ombudsstelle kann bis jetzt nicht von sich aus initiativ werden. Sie ist darauf angewiesen, dass sich Menschen aktiv beschweren. Es gibt deshalb die Forderung, die Ombudsstelle mit einem eigenen Initiativrecht auszustatten. Ein solches Recht würde auch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen weiter stärken.

In diesem Zusammenhang steht auch die Forderung nach einem Recht, Presseerklärungen zu veröffentlichen, die nicht durch eine bestimmte Beschwerde veranlasst sind. Derzeit sieht das LADG Erklärungen für die Öffentlichkeit nur vor, wenn sie sich auf eingegangene Beschwerden beziehen.

Die Ombudsstelle ist derzeit nicht berechtigt, in den öffentlichen Diskurs mit ihrem Fachwissen einzugreifen, wenn keine Beschwerde vorliegt.

Außerdem sollte die Ombudsstelle – ähnlich wie der Datenschutz- und der Polizeibeauftragte – tatsächlich unabhängig sein, und nicht Teil der Senatsverwaltung.

Des Weiteren wurde diskutiert, die vom Gesetz erfassten Diskriminierungstatbestände noch auszuweiten, und zwar auf den Aufenthaltsstatus, die Staatsbürgerschaft, die Fürsorgeverantwortung (Alleinerziehung, z. B. im beruflichen Kontext) sowie Diskriminierungen aufgrund des Gewichts.

Schließlich sollten alle Behörden im Hinblick auf diskriminierungsanfällige Vorgehensweisen und Verfahren untersucht werden. Ansätze für solche Untersuchungen gibt es bereits.

Auf die genannten Verbesserungen hatte sich der alte Senat bereits weitgehend verständigt und sie im Koalitionsvertrag erwähnt.

Ist das LADG durch den neuen Senat gefährdet?

Es gibt einen Stillstand. Verschiedene Verbesserungen, die der alte Senat geplant hatte, werden nicht weiter verfolgt. Das betrifft auch eine Bundesratsinitiative des alten Senats, die die Umsetzung des europäischen Antidiskriminierungsrechts für Bundesbehörden, etwas bei der Bundespolizei, initiiert hatte. CDU und AfD hatten im Wahlkampf eine Abschaffung des Gesetzes gefordert. Die SPD hatte in den Sondierungsgesprächen mit der CDU den Fortbestand des Gesetzes verlangt, zumal bei einem Nachgeben eine Mehrheit in der SPD für die große Koalition gefährdet gewesen wäre. Im neuen Koalitionsvertrag heißt es jetzt sinngemäß, dass das Gesetz bestehen bleibt und weiterentwickelt wird. Da das Nachgeben des neues Bürgermeisters in dieser Frage in der CDU nicht unumstritten ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es neue Versuche geben wird, das Gesetz abzuschwächen oder gar wieder abzuschaffen.

In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die neue Koalition aktuell versucht hatte, einen Teilbereich der Landesantidiskriminierungsstelle (LADS), nämlich die Bereiche mit den Programmen gegen Rassismus, Antisemitismus und Demokratieentwicklung herauszubrechen und der Justizverwaltung (CDU) zuzuordnen. Die LADS ist die Fachstelle, der das Thema Diskriminierung übergreifend zugeordnet ist. Hier sind insbesondere die Zuwendungs- und Präventionsprogramme angesiedelt, und eben auch die Ombudsstelle. Unter R2G war die LADS bei der Justiz- und Antidiskriminierungsverwaltung (Linke) angesiedelt, sollte aber eigentlich vollständig zur neuen Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA) übergehen. Eine Zerschlagung der LADS und Aufteilung auf zwei Senatsverwaltungen hätte die Antidiskriminierungsarbeit behindert und blockiert. Es gab deshalb Widerstand und Protest aus den Verbänden, von den Grünen und den Linken. Das Vorhaben wurde dann gestoppt. LADS und Ombudsstelle sind weiterhin dem SenASGIVA zugeordnet.

Fazit: Gesetze und Regeln können Diskriminierungen nie völlig beseitigen. Die Schaffung von Rechten und durchsetzbaren Ansprüchen trägt jedoch maßgeblich dazu bei, dass sich die Kultur in Behörden und öffentlichen Einrichtungen ändert. Entscheidend ist, dass sich in den Köpfen der Entscheidungsträger:innen etwas ändert. Bis das Einwanderungsamt zu einer Willkommensbehörde wird und öffentliche Einrichtungen diskriminierungssensibel werden, ist es noch ein langer Weg.

01

Anfragen an die LADG-Ombudsstelle Stand: 31. 12.2021 Beschwerden 2020 (seit 1.7.2020) 139 Beschwerden 2021 413 LADG bezogene Beschwerden insges: 552

Diskriminierungsgründe nach § 2 LADG*

o Rassistische Zuschreibung oder ethnische Herkunft 179

o Behinderung / chronische Krankheit 156

o Geschlecht (Mann*/Frau*) 51

o Sozialer Status 39

o Lebensalter 39

o Sexuelle Identität 27

o Geschlechtliche Identität (cis/trans/inter/queer) 21

o Religion 17

o Sprache 15

o Antisemitische Zuschreibung 9

o Weltanschauung 6

o Kein Merkmal/unklar 35

* Teilweise Mehrfachnennungen im Rahmen eines gemeldeten Sachverhalts (Mehrfachdiskriminierung oder intersektionale Diskriminierung)

Davon öffentliche Stellen nach § 3 LADG*

Polizei 75

Bezirks-Bürgerämter (Bürgerdienste, Standesamt, Einbürgerungsamt) 63

Jugendamt 19

LABO 10

LEA 7

Andere Ämter 22

Senatsverwaltungen (meist SenGPG) 53

BVG/BB 37

Schulen 32

Universitäten/Hochschulen/VHS 31

Wohnungsbaugesellschaften 11

Kliniken 8

* Zusammenstellung der am häufigsten genannten Stellen

02

Landesdiskriminierungsgesetz (LADG), Berlin, (Auszug)

§ 1 Ziel des Gesetzes

(1) Ziel des Gesetzes ist die tatsächliche Herstellung und Durchsetzung von Chancengleichheit, die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt.

(2) Das Land Berlin stellt sich gesellschaftlichen Ausgrenzungen und Stigmatisierungen entgegen, um eine gleichberechtigte Teilhabe in einer weltoffenen, solidarischen und vielfältigen Gesellschaft zu verwirklichen.

§ 2 Diskriminierungsverbot

Kein Mensch darf im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status diskriminiert werden.

§ 3 Geltungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für die Berliner Verwaltung, für landesunmittelbare öffentlichrechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, für den Rechnungshof von Berlin und für die Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit sowie für die Gerichte und die Behörden der Staatsanwaltschaft des Landes Berlin, den Verfassungsgerichtshof und für das Abgeordnetenhaus von Berlin, soweit diese Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (öffentliche Stellen) (…)

(2) Soweit das Land Berlin unmittelbar oder mittelbar Mehrheitsbeteiligungen an juristischen Personen des Privatrechts oder Personengesellschaften hält oder erwirbt, wirkt es darauf hin, dass die Ziele und Grundsätze dieses Gesetzes auch von diesen beachtet werden. (…)

§ 6 Maßregelungsverbot

(1) Benachteiligungen wegen der Inanspruchnahme von Rechten dieses Gesetzes oder wegen der Weigerung, eine gegen dieses Gesetz verstoßende Anweisung auszuführen, sind verboten. Gleiches gilt für die Benachteiligung einer Person, die eine andere Person hierbei unterstützt oder als Zeugin oder Zeuge aussagt. (…)

§ 7 Vermutungsregelung

Werden Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 2 oder § 6 wahrscheinlich machen, obliegt es der öffentlichen Stelle, den Verstoß zu widerlegen. (…)

§ 14 Zuständige Senatsverwaltung

Die Aufgaben nach diesem Gesetz obliegen, soweit durch die Geschäftsverteilung des Senats nichts anderes bestimmt ist, der für Antidiskriminierung zuständigen Senatsverwaltung. Sie wirkt auf die Umsetzung der Ziele des Gesetzes hin, indem sie insbesondere

1. für die von Diskriminierung ausgehenden Gefahren sensibilisiert und Vorschläge für Präventionsmaßnahmen erarbeitet,

2. strukturelle Diskriminierungen identifiziert und zu deren Abbau beiträgt,

3. an sie herangetragene Beschwerden aufnimmt, weitervermittelt und erforderlichenfalls Stellungnahmen einfordert,

4. eine bedarfsgerechte und effiziente Beratungsinfrastruktur fördert,

5. wissenschaftliche Untersuchungen zu Diskriminierungen, ihren Ursachen und ihren Folgen initiiert oder durchführt sowie

6. die öffentlichen Stellen bei der Erreichung der in § 12 formulierten Ziele (Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt, oa) unterstützt (…)

§ 15 Ombudsstelle

(1) Die für Antidiskriminierung zuständige Senatsverwaltung errichtet eine Ombudsstelle, die in dieser Funktion mit den für die jeweiligen Merkmale zuständigen Stellen innerhalb der Verwaltung zusammenarbeitet.

(2) Die Ombudsstelle unterstützt Personen, die sich an sie wenden, durch Information und Beratung bei der Durchsetzung ihrer Rechte nach diesem Gesetz. Im Rahmen ihrer Tätigkeit kann sie darauf hinwirken, die Streitigkeit gütlich beizulegen. Sie ist berechtigt, jederzeit Sachverständige hinzuzuziehen, Gutachten einzuholen, Beschwerden weiter zu vermitteln und Handlungsempfehlungen auszusprechen. (…)

Drucksache 18/1996, 12.06.2019, Abgeordnetenhaus Berlin

Abb. (PDF): Pressefoto Elif Eralp