Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)30
Kalenderblatt

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31. Oktober 1993 Bundesrepublik Deutschland: Asbestverbot !

Asbestverbote und Anerkennung asbestbedingter Berufskrankheiten, BRD: Asbesthaltige Produkte – mehr als 3000 Produkte waren bekannt. Jährlicher Verbrauch von 1957 bis 1982 mit bis zu 200 000 Tonnen pro Jahr

Das Mineral Asbest und seine Eigenschaften sind lange bekannt, und es hat eine lange Tradition der Nutzung. Karl der Große faszinierte seine Gäste, indem er eine verschmutzte Tischdecke im offenen Feuer reinigte. Es galt als magisches Material mit unschlagbaren Eigenschaften: isolierend, feuerbeständig und langlebig: es verrottet nicht. Die industrielle Produktion (von Asbestzement) beginnt mit der Erfindung des Österreichers Ludwig Hatscheck, der Asbest, Bindemittel und Portland-Zement zu haltbaren Platten kombinierte. In der Folge überfluten unzählige Anwendungen und asbesthaltige Produkte die Märkte, dabei ist Deutschland Spitzenreiter mit etwa 3 000 verschiedenen Produkten – bis hin zur Zahnseide. Die weltweite Asbestproduktion erreichte 1976 ihren Höhepunkt, es wurden etwa 5 Millionen Tonnen Asbest produziert.

Abb.: Asbestfasern unter dem Raster-Elektronen-Mikroskop, (Quelle: Bayrisches Landesamt für Umwelt)

Rolf Gehring, Brüssel / Eva Detscher, Karlsruhe

Die Arbeitsmedizin erkennt früh einen Zusammenhang von Asbestexposition und überdurchschnittlichen Erkrankungsraten unter Asbestarbeitern, damals häufig als Tuberkulose, die sehr verbreitet war, diagnostiziert. Der britische Annual Report of the Chief Inspector of Factories and Workshops von 1899, derartige Untersuchungen gab es bis 1930 vor allem in England, vermerkt den „schädigenden Effekt der Fasern“ auf die Lunge.

Wissenschaftliche Erkenntnisse

1965 präsentierte der amerikanische Asbestforscher Irving J. Selikoff Ergebnisse, dass bei länger exponierten Arbeitern Lungenkrebs siebenmal häufiger auftrat als bei der Kontrollgruppe. Auch andere Krebsarten kamen signifikant häufiger vor. „Ein starker Kontakt mit Asbest während eines einzigen Monats im Leben kann Jahrzehnte später Mesotheliom[Rippenfell]krebs verursachen und das Lungenkrebsrisiko verdoppeln. Das ist kein Verdacht, sondern sicheres Wissen.“ (Zitiert nach: Maria Roselli – Die Asbestlüge) Dennoch verdoppelte sich zwischen 1960 und 1970 der Asbestverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland. Bis 1990 wurden 18 Mio. Tonnen Baustoffe mit einem Anteil von rund 6 % hochasbesthaltigen Baumaterials hergestellt. Insbesondere Gewerkschaften und unabhängige Wissenschaftler der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zeigten die tödlichen Gefahren von Asbest bei der Herstellung und beim Umgang auf. Anfang der 70er Jahre erbrachte eine besondere Arbeitsgruppe „Staub“ unter der Verantwortung von Prof. Henschler unter Leitung von Prof. Woitowitz die wissenschaftlichen Beweise, und auch die Medien schenkten dem Thema Asbest deutlich mehr Beachtung.

Industrielobby unter Führung von Eternit

Die stark verflochtene Asbestindustrie mit dem Branchenführer Eternit hat die tödliche Gefahr Asbest jahrzehntelang ignoriert, verschwiegen und verniedlicht. In den 70er Jahren wurde die Asbestos International Association (A.I.A.) mit Förderern, Herstellern und verarbeitender Industrie aus 35 Ländern gegründet. Hauptziel der A.I.A. war es, die weitere Asbestproduktion zu sichern. Der Schutz von betroffenen Arbeitern oder der Bevölkerung war kein Thema.

Gewerkschaften im Konflikt Arbeitsplätze versus Gesundheit

Die extrem langen Latenzzeiten von teilweise über 40 Jahren verdeckten für die betroffenen Beschäftigten und anderen Geschädigten die Kausalität von Exposition gegenüber dem in unsichtbarer Partikelgröße eingeatmeten Stoff und den todbringenden Krankheiten. Bei den Gewerkschaften führte dies in vielen Ländern zu einer Geringschätzung des Problems, häufig wurde der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze als vorrangig und als Widerspruch zum Kampf um die Gesundheit am Arbeitsplatz angesehen.

Öffentliche Kritik und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen

Die IG Metall berichtete dann 1976 intensiver über die Asbestgefahren und die Ergebnisse eines Vortrages von Prof. Selikoff auf der IMB-Konferenz in Oslo über seine Forschungen zu Asbesterkrankungen in den Vereinigten Staaten von 1918 bis 1975. Den Durchbruch zu einer klaren Anti-Asbeststrategie brachte 1981 eine Konferenz der IG Chemie mit allen Betriebsräten der asbestherstellenden und verarbeitenden Betriebe sowie der IG Metall, der ÖTV, der IG Bau-Steine-Erden und anderen. Das Märchen vom „sicheren Umgang“ mit Asbest konnte auch von den Betriebsräten aus den einschlägigen Werken wie Eternit, Fulgorit oder Wannit nicht mehr erzählt werden.

Die IG Chemie forderte Verbesserung des Gesundheitsschutzes durch gesetzliche Maßnahmen, Tarifverträge und deren tägliche Umsetzung vor Ort. Die Kernbotschaft lautete: Krebserzeugende Arbeitsplätze sind auch für Gewerkschaften nicht verteidigungswürdig. Asbest sollte bekämpft und durch ungefährliche Stoffe ersetzt werden. Eine Reihe IG-Chemie-Gewerkschaftler schmissen wütend ihre Mitgliedsbücher hin.

Zum selben Zeitpunkt hat auch der DGB mit dem „17 Punkte-Programm gegen Asbestkrebs“ die Politik aller Gewerkschaften zum völligen Asbestverbot beschlossen. Asbest sollte in die Gruppe I der krebserzeugenden Stoffe aufgenommen und der Grenzwert auf ein Zehntel des damals bestehenden Wertes abgesenkt werden bis hin zum schrittweisen Verbot und zwingendem Ersatz von Asbest.

Parallel bildeten sich in vielen Ländern weltweit Opferverbände, die für eine bessere Anerkennung und Entschädigung kämpfen und sich insbesondere für ein weltweites Verbot von Asbest einsetzen. Unter anderem wird immer wieder versucht, Asbest in die Rotterdam Konvention (Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel) aufzunehmen, was aber bisher nicht geglückt ist, da vor dem Hintergrund einer weiterhin weltweit starken Nutzung von Asbest die nötige Einstimmigkeit nicht zu erzielen ist.

Generelles Verbot – ungelöste Probleme

Die skandinavischen Länder machten den Anfang beim Verbot von Asbest, meist wurde der Ausstieg in mehreren Stufen umgesetzt; Schweden 1975: Asbest bei Bauprodukten, 1986 generelles Verbot. In Deutschland wurde zuerst der Einsatz von Spritzasbest verboten, in welchem die Asbestfasern leicht gebunden sind und daher auch leicht und in hoher Konzentration in die Umgebung abgegeben werden. Das generelle Asbestverbot trat in Deutschland 1993 in Kraft, 2005 ein europaweites Asbestverbot, basierend auf einer europäischen Arbeitsschutzrichtlinie (allerdings mit völlig unzureichenden Arbeitsplatzgrenzwert von 100000 Fasern pro Kubikmeter).

Das Problem blieb: millionenfach verbautes Asbest in Gebäuden und Infrastruktur, Asbest und Asbest-Zwischenprodukte z.B. in Schiffen oder Bremsbelägen, Import von asbesthaltigen Produkten (etwa Thermoskannen aus China) und vieles mehr. Gewerkschaften und Opferverbände kämpfen weiter. Die 2010 gestartete Kampagne der europäischen Föderation der Bau- und Holzarbeiter fokussiert auf nationale Asbestbeseitigungsprogramme, ein systematisches Screening und die Registrierung von Asbestquellen, die bessere Ausbildung der Beschäftigten, eine umfassende Anerkennung aller asbestbedingten Krankheiten und eine erleichterte Anerkennung sowie Unterstützung der Betroffenen.

Initiative des Europäischen Parlaments

Das EP hat, nachdem es schon 2013 einen Bericht zu Asbest verabschiedet hatte, diese Forderungen weitgehend in einen legislativen Initiativbericht aufgenommen, der im Oktober 2021 verabschiedet wurde. Darin wird auch auf eine mögliche Pandemie von Asbesterkrankungen hingewiesen, wenn die europaweite angelegte energetische Sanierung des Gebäudebestandes nicht mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen und einer guten Ausbildung der Beschäftigten einhergeht. Daraufhin hat die Europäische Kommission im Februar 2022 einen Vorschlag für die Revision der Arbeitsschutzrichtlinie und parallel eine Mitteilung vorgelegt, in der verschiedene Forderungen des Parlaments aufgenommen wurden, etwa ein Legislativvorschlag für das Screening und die Registrierung von Asbestquellen, oder die Erweiterung der europäischen Liste der Berufskrankheiten. Aktuell verhandeln Rat, Parlament und Kommission den Vorschlag der Kommission, weitere Initiativen, die die Kommission in der Mitteilung angekündigt oder auch schon begonnen hat, werden die gesetzgebenden Institutionen aber auch die Gewerkschaften und Arbeitgeber als auch die zivilgesellschaftlichen Verbände und die Wissenschaft weiter beschäftigen.

Quellen: Gerd Albracht: Asbest – Eine tödliche Gefahr wurde über Jahrzehnte ignoriert | Jan Cremers / Rolf Gehring: The long and winding road to an asbestos free workplace. CLR Studies 7, Brussels (2013) | Maria Roselli: Die Asbestlüge – Geschichte und Gegenwart einer Industriekatasrophe. Schweiz (2007) | Archiv für Gewerbepathologie und Gewerbehygiene: Pulmonary asbestosis: A socio-medical study | Scholars Portal Journals

Abb. (PDF): In der BRD verboten seit: 1979 Verwendung von Spritzasbest 1981 Herstellung und Verwendung von asbesthaltigen Bodenbelägen 1984 Asbest in Nachtspeicheröfen 1991 Verwenden von Asbestzementprodukten 1993 Herstellen und In-Verkehr-Bringen von Asbestprodukten 1994 Herstellung von Druckrohren 1995 Verwendung von Druckrohren

Abb. (PDF): Aus: Frankfurter Asbestwerke, Bild 31: Reibeputz-Oberflächen-Strukturierung. – Sägen, Schleifen, Polieren usw. wirbeln die Fasern in die Luft und damit in die Atemluft der Arbeiter. Ohne hochwirksamen Atemschutz und auch Spezialkleidung grenzt die Arbeit mit Asbest an vorsätzliche Körperverletzung.