Politische Berichte Nr.04/2022 (PDF)08a
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

Einigung zur Asbestrichtlinie!

Rolf Gehring, Brüssel

Rat, Parlament und Kommission haben sich kurz vor Ende der schwedischen Ratspräsidentschaft auf die Revision der Arbeitsschutzrichtlinie Asbest geeinigt. Das Europaparlament hatte im Oktober 2022 einen legislativen Initiativbericht vorgelegt, der verschiedenste Aspekte der Asbestproblematik abdeckte, neben dem eigentlichen Arbeitsschutzbereich auch die Qualifizierung von Beschäftigten, bessere Unterstützung für Asbestopfer, die Anerkennung asbestbedingter Berufskrankheiten, einen europäischen Rahmen für nationale Asbestbeseitigungspläne, das Screening von Asbest und weitere Punkte (siehe auch PB 3/2021 und 6/2022). Die Kommission reagierte mit einem Richtlinienvorschlag, der lediglich eine Absenkung des Grenzwerts und Änderungen bei den Messverfahren vorsah. Das Parlament hat dann in seiner Reaktion fast alle seine alten Forderungen wieder vorgelegt. Nach drei Verhandlungsrunden war in den meisten Punkten wenig Annäherung erreicht, die Debatte um den Grenzwert war für alle Seiten zentral, aber beileibe nicht der einzige Punkt mit großen Divergenzen. Dann kam doch etwas überraschend die Einigung am 27. Juni. Aus der Parlamentsdelegation wird berichtet (verkürzte Zusammenfassung, noch keine schriftliche Fassung):

Definition von Asbest und Geltungsbereich: Alle Tätigkeiten, bei denen Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeit exponiert sind oder sein können. Erweiterung der Liste um Erionit. Bei passiver Exposition (etwa am Bürotisch in einem Asbest kontaminierten Gebäude) muss der Arbeitgeber eine umfassende Risikobewertung durchführen.

Methodik der Fasermessung und Arbeitsplatzgrenzwert: Absehbar wird nur noch Elektronenmikroskopie als Nachweisverfahren angewandt mit bis 2028 zu validierendem zweigleisigem System: entweder 10 000 Fasern pro Kubikmeter einschließlich dünner Fasern (französisches Messsystem) oder 2 000 Fasern pro Kubikmeter ohne dünne Fasern (Messsystem, dass in anderen Ländern genutzt wird – Orientierung an der Faserdefinition der WHO).

Entfernung und Entsorgung von asbesthaltigen Materialien hat Vorrang vor anderen Formen des Umgangs mit Asbest. aber kein generelles Verbot der Einkapselung.

Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer: Vor Beginn der Arbeiten müssen eventuelle Asbestbelastung durch den Arbeitgeber geklärt werden. Dekontamination von Räumlichkeiten und Beispiele für weitere Maßnahmen (z. B. Staubminimierung, Sedimentation). Bei sogenannter sporadischer und geringer Exposition, Streichung von Ausnahmen bezüglich der medizinischen Überwachung und deren Registrierung. Regelmäßige Probenahmen unter realistischen Bedingungen. Arbeitsunterbrechung bei Überschreitung des Grenzwertes und bei begründetem Verdacht auf Exposition.

Medizinische Überwachung / asbestbedingte Krankheiten: Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, ein Register aller ärztlich diagnostizierten asbestbedingten Berufskrankheiten zu führen, die Liste der einschlägigen Krankheiten soll erweitert werden.

Feuerwehrleute: In Leitlinien soll die Kommission die Bedingungen für den Zugang von Einsatzkräften zu Informationen über das Vorhandensein von Asbest klären und festlegen, wie potenzielle Asbestexpositionen von Feuerwehrleuten zu berücksichtigen sind.

Informationspflichten gegenüber Behörden: Erweiterte Liste von Elementen, die in der Meldung benötigt werden (z. B. Liste der Arbeitnehmer, die wahrscheinlich am Standort eingesetzt werden, Ausrüstung, medizinische Besuche …)

Schulung der Beschäftigten: die Mindestanforderungen an die Ausbildung sollen erweitert und detailliert beschrieben werden.

Asbestsanierungsunternehmen: Diese Unternehmen müssen vor Arbeitsaufnahme eine Genehmigung der zuständigen Behörden einholen und den Nachweis über sichere Arbeitsverfahren erbringen.

Schlussbestimmungen: Bei Wiederaufbaumaßnahmen in Drittländern (z. B. in der Ukraine) müssen Arbeitgeber die Risiken einer Asbestexposition der Arbeitnehmer berücksichtigen. Weiter: Notwendigkeit von Investitionen in Forschung und Entwicklung (Abfalltechniken usw.).

Die Ergebnisse lesen sich in weiten Teilen wie die 2010 (!) von Seiten des Gewerkschaftsverbands der Holz- und Bauarbeiter (EFBH) in ihrer Asbestkampagne aufgelisteten Forderungen. Ihre Umsetzung wird äußerst komplex. Sollte sie weitgehend gelingen, wäre eine effektive Minimierung der hohen Asbesterkrankungen (heute sind 70 000 bis 80 000 der insgesamt etwa 100 000 arbeitsbedingten Krebstoten in Europa Asbestopfer) möglich. Arbeitgeber und Präventionseinrichtungen sehen den 2 000er-Grenzwert als kaum umsetzbar an. Allerdings gilt dieser Grenzwert in den Niederlanden schon seit längerem und wird dort wohl auch (weitgehend) eingehalten.

Abb. (PDF): Asbest: Thema des Arbeitsschutzmagazins des europäischen Gewerkschaftsinstituts. Cover.