Politische Berichte Nr.04/2022 (PDF)12a
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15% der Wahlberechtigten bringen CDU-Oberbürgermeister ins Amt, darunter viele aus der AfD

Thomas Trüper, Mannheim

Mannheim hat am 9.7.23 erstmals seit Kriegsende ein CDU-Mitglied zum Oberbürgermeister gewählt. Damit wird Mannheim künftig – wie schon Stuttgart – „schwarz regiert“. Der bisherige Amtsinhaber Peter Kurz (SPD) war nach 16 Jahren kein drittes Mal angetreten, und so wurde die Wahl spannend. Die CDU stellte den seit 18 Jahren amtierenden Kämmerer Christian Specht (CDU) auf („Kompetenz und Erfahrung“), die SPD ihren Fraktionsvorsitzenden Thorsten Riehle, einen Kulturunternehmer mit neun Jahren Gemeinderatserfahrung. – Bei einer Wahlbeteiligung von 32,22% (2015: 30,1%) errang Specht 45,64% der Stimmen. Er war von der FDP und den Freien Wählern (Mannheimer Liste) öffentlich unterstützt worden. Riehle lag mit 30,24% unter den Erwartungen. Mit 13,80% fast schon abgeschlagen war der Kandidat der Grünen, die seit 2019 die stärkste Fraktion im Gemeinderat stellen. Die gemeinsame Kandidatin der Linken, der Tierschutzpartei und der Klimaliste (letztere nicht im Gemeinderat vertreten), Isabell Belser, erzielte 4,98%.

Da keiner der Bewerber die absolute Mehrheit erreichte, kam es zu einer „Neuwahl“ (Stichwahl), bei der in Baden-Württemberg kein*e Kandidat*in ausgeschlossen ist. Allerdings verzichteten 5 der 8 Kandidierenden der ersten Runde auf eine erneute Kandidatur. Es blieben Specht, Riehle und ein 1%-Kandidat übrig. Es gab Gespräche zwischen den Grünen und SPD, an deren Ende eine wenig überraschende „Vereinbarung“ über künftige Schwerpunkte der Kommunalpolitik in Mannheim im Falle der Wahl Riehles stand. Die Grünen empfahlen daraufhin die Wahl Riehles. Die Linke tat sich schwerer. Sie rief auf, Specht nicht zu wählen, auch nicht den dritten Kandidaten, aber auf jeden Fall wählen zu gehen. Zu einer Wahlempfehlung für Riehle konnte sie sich zusammen mit ihren Wahlbündnispartnern nicht durchringen. Es gab zwar Gespräche mit der SPD auf Basis von fünf Forderungen (z.B. Erhöhung der „Sozialquote“ bei Neubauvorhaben von 30 auf 50%), die aber von der SPD nur mit wohlwollender Unverbindlichkeit quittiert wurden.

Der Wahlkampf vor der ersten Runde war gezeichnet von inhaltsarmen Stichwörtern wie mehr Kita-Plätze, mehr Klimaschutz, Verkehrsentlastung für die City, mehr Wohnungen – Schlagworte, die keiner der Kandidierenden nicht im Munde führte – das Wie und mit welchen Finanzmitteln blieb aber unbesprochen. Specht und Riehle sprachen beide davon, es gehe hier nicht um „Lagerwahlkampf“; Riehle versuchte sehr deutlich „die Mitte“ anzusprechen. So ging es am 9.7. in die Neuwahl. Rein theoretisch hätte der Mitte-Links-Block um Riehle mit zusammen 49,02% Chancen gehabt, die vereinte Rechte von Specht zu schlagen, insbesondere wenn eine Mobilisierung von bisherigen Nichtwählenden gelungen wäre. Man konnte davon ausgehen, dass das rechte Lager bereits auf dem Höhepunkt seiner Mobilisierungsmöglichkeiten angekommen war. Denn die Aussicht, endlich einen rechten Oberbürgermeister bekommen und der grün-rot-roten Mehrheit im Gemeinderat einen erheblichen Dämpfer verpassen zu können, hatte wohl noch den letzten rechten Wähler auf die Beine gebracht. In den Stimmbezirken, in denen Mitte-Links stark ist, war die Wahlbeteiligung schwach bis sehr schwach (im Arbeiterviertel Waldhof West ganze 6,06%), und somit noch Potenzial zu heben.

Tatsächlich errang Riehle in der Stichwahl 48,89%, Specht jedoch 49,89%. Die Wahlbeteiligung betrug nur noch 30,88%. Riehle fehlten 860 Stimmen, um die Wahl für sich zu entscheiden.

Die Presse rätselte schon beim ersten Wahlgang, wie es Specht gelungen war, in den ehemals „roten Hochburgen“ Waldhof und Schönau bis fast 59% zu erreichen. Hierfür sind jedoch zwei Faktoren zu erkennen:

1. Genau diese beiden Stadtteile wiesen bei der Gemeinderatswahl 2019 die Spitzenwerte von 20,58% bzw. 15,31% für die AfD auf. Aus der öffentlichen Wahrnehmung war die AfD bei der jetzigen OB-Wahl vollkommen verschwunden. Denn sie hatte auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Sie brauchte ihren Wähler*innen nicht zu verkünden, dass mit Stimmen für Specht der „grün-rote Siff“ gute Chancen hat, die Mehrheit zum „Diktat“ zu verlieren. Und die CDU brauchte sich zur AfD kein bisschen zu äußern, sie musste nur auf deren Stimmen warten. Solche Überlegungen spielten am 3.6. beim Weißwurstfrühstück mit Friedrich Merz, als dieser zur Wahlkampfunterstützung für Specht kam, mit Sicherheit eine Rolle, ganz im Sinne von Merz‘ jüngsten AfD-Kooperationsaussichten.

2. Während des OB-Wahlkampfes stand ein weißer Elefant im Raum: Das Heizungsgesetz. Es ist auffällig, dass Specht in Stadtteilen gut punkten konnte, die weder Fern- noch Nahwärmeanschlüsse haben (40% der Haushalte), z.T. mit großen Siedlergebieten der 1920er-Jahre, in denen die Eigentümer*innen sicher kaum etwas mehr diskutierten als die möglichen Umrüstungskosten. Da sind die Merz-CDU und die AfD die besten Schutzheiligen …

Im Mai nächsten Jahres stehen in Mannheim die Gemeinderatswahlen an. Beim gegenwärtigen Zustand der Parteien des Mitte-Linksblocks auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ist mit einer erneuten Mehrheit von 28 zu 20 rechten Stimmen nicht so ohne Weiteres zu rechnen.