Politische Berichte Nr.04/2022 (PDF)20
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Rechte Provokationen – demokratische Antworten – Redaktionsnotizen. Zusammengestellt von Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01 Standpunkte zur Wahl des AfD-Landrats im Kreis Sonneberg.
02 Extrem rechte Angriffe an Schulen nehmen zu.
03 Übereifrige Ermittlungen wegen „Höcke ist ein Nazi“-Plakat.

01

Standpunkte zur Wahl des AfD-Landrats im Kreis Sonneberg.

Bodo Ramelow (Die Linke) Ministerpräsident von Thüringen, kritisiert die Berichterstattung nach der Wahl des AfD-Politikers zum Landrat. Parallel zum Erstarken der AfD nähmen die negativen Pauschalurteile über Thüringer und Ostdeutsche zu. Aus skandalisierender Berichterstattung und verkürzten Analysen entstehe die Wahrnehmung, dass die 52 Prozent der Wähler Sesselmanns alle Nazis seien. Das blende aus, welche sozialen und politischen Friktionen im Osten Deutschlands vorliegen und was die AfD aktuell in ganz Deutschland hochtreibe und führe zu einer Verzerrung der Realitäten in Ostdeutschland. Wissenschaftliche Studien wie der Thüringen-Monitor (hätten) „bei der großen Mehrheit der Menschen (84 %) ein zuverlässiges Demokratieverständnis“: die Demokratie sei die „beste aller Staatsideen“ gemessen. West- und Ostdeutsche müssten über Probleme wie bessere Schulbildung, mehr Kindergärten und bessere medizinische Versorgung im ländlichen Raum reden. Als Ministerpräsident erlebe er, „dass auf unsere Kompetenzen schlicht verzichtet wird …“. (EPD, 19.7.23; ARD-Interview, 20.7.23)

Georg Maier (SPD), Innenminister Thüringen. Der Ausgang der Landratswahl zeige, dass weder Wahlaufrufe gegen die AfD noch deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz Menschen davon abhielten, diese Partei zu wählen. Konkrete Sachpolitik sei das Mittel, um die AfD zu bekämpfen. Er appellierte an die rot-rot-grüne Koalition und die CDU in Thüringen, „einen Modus zu finden, um die politische Selbstlähmung des Landtages zu überwinden“. Bei allen Plänen zur Krisenbewältigung soll eine soziale Abfederung mitgedacht werden – ob Heizungsgesetz oder Aus für Verbrennermotoren. „Wir haben da wirklich eine Überforderung vieler Menschen gehabt.“ (belltower news)

Der Eifelkreis Bitburg-Prüm steht zu seiner – über 30jährigen – Partnerschaft mit dem thüringischen Kreis Sonneberg. Den neu gewählten AfD-Landrat will man derzeit nicht treffen. Der Eifelkreis begründet das damit, das Sesselmann mit Menschen in seiner Partei verbündet sei, die offen rechtsextremes Gedankengut vertreten. Das lehne man ab. Den Beschluss, an der Partnerschaft festzuhalten, haben der Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm Andreas Kruppert (CDU), die Beigeordneten des Kreises und die Fraktionsvorsitzenden im Kreistag gemeinsam gefällt. (SWR aktuell 14.7.23)

Eine Analyse zum Thema „Die AfD im Umfragehoch“ hat Gerd Wiegel (Die Linke) in der Zeitschrift Luxemburg verfasst, in der er auch die auf den Seiten 22/23 vorgestellte Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts einordnet. (https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/afd-im-umfragehoch/)

Ein AfD-Antrag, der tief blicken lässt. Christiane Schneider. Am 22. Juni hat der Bundestag einen Gesetzentwurf der AfD diskutiert, der darauf zielt, das unabhängige Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) abzuwickeln. Die AfD erregt sich über verschiedene Analysen des Instituts, die nachweisen, dass und wie die AfD ihr Ziel verfolgt, die in Artikel 1 Abs. 1 GG – „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ – verbrieften Garantien als zentrale Bestimmung der demokratischen Verfasstheit zu beseitigen. Zuletzt hatte das DIMR die Analyse „Warum die AfD verboten werden könnte“ vorgelegt, die dezidiert die in der Gesamtpartei fest verankerte national-völkische Ausrichtung herausarbeitet. In der Bundestagsdebatte waren sich alle anderen Fraktionen in der Kritik des AfD-Ansinnens überraschend einig. Auch die CDU/CSU, die das DIMR nicht selten kritisiert, warf dem Antrag vor, die Aufgabe des Schutzes von Menschenwürde und Menschenrechte schleichend zu diskriminieren. Der Gesetzentwurf wurde in den Menschenrechtsausschuss überwiesen.

02

Extrem rechte Angriffe an Schulen nehmen zu. Rosemarie Steffens. Die Lehrkräfte Max Teske und Laura Nickel aus Burg im Spreewald, Brandenburg, waren, weil sie extrem rechte Vorfälle an ihrer Schule öffentlich machten, den Anfeindungen von Nazis ausgesetzt. Beide kündigten an, die Schule zu wechseln. Teske kritisierte an Schulamt und Bildungsministerium, dass sie sich nicht vor die Angegriffenen gestellt und dafür gesorgt hätten, dass Rechtsextremismus keinen Platz an Schulen hat. Die beiden Lehrkräfte hatten im Frühjahr mit einem Pfarrer das Bündnis „Schule für mehr Demokratie“ gegründet.

Dieses Bündnis wie auch die Vereine Opferperspektive und „#unteilbar-Südbrandenburg“ sowie die Brandenburger Linke verlangten, dass der Minister, die Schulleitung und die zuständigen Beratungsstellen das Problem in seiner ganzen Dramatik öffentlich anerkennen und so engagierte Einzelpersonen entlasteten. Auch die Gesellschaft „Wirtschaftsregion Lausitz“ zeigte sich besorgt: „Wir sind jetzt schon nicht mehr in der Lage, die offenen Stellen zu besetzen“, so Geschäftsführer H. Jahn. Die Wirtschaft müsse weltoffen auftreten, um eine Zukunft zu haben.“

Die Zahl rechtsextremistischer Vorfälle an Schulen in Brandenburg erhöhte sich im Schuljahr 2022/23 von 30 auf 70 deutlich. (Migazin, 16.7.23)

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Übereifrige Ermittlungen wegen „Höcke ist ein Nazi“-Plakat.Christiane Schneider. Ende Juni informierte das LKA/Staatsschutz Hamburg die VVN-BdA-Vorsitzende Conny Kerth, dass gegen sie ermittelt werde: Auf dem von ihr angemeldeten 8.-Mai-Fest in Hamburg war am VVN-Stand ein Plakat mit der Aufschrift „Björn Höcke ist ein Nazi“ angebracht, das den anwesenden Polizeibeamten zur Meldung bewog und die Ermittlungen auslöste.

Von Ermittlungen wegen des Plakats sind bzw. waren ebenfalls Menschen aus Frankfurt, Schleswig-Holstein, Chemnitz betroffen. Grundlage ist § 188 StGB – „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“ –, wobei die entsprechenden Behauptungen geeignet sein müssen, „die öffentliche Betätigung des Betroffenen deutlich zu beeinträchtigen“. Seit 2021 wird von Staats wegen ermittelt, wenn die Strafverfolgungsbehörden wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amtswegen für geboten halten.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat die Ermittlungen inzwischen mit einer interessanten Begründung eingestellt. „Björn Höcke ist ein Nazi“ sei keine Beleidigung, sondern „ein an Tatsachen anknüpfendes Werturteil“, das von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Dies gelte umso mehr, zitiert die Tagesschau am 4.7. aus der Begründung, „vor dem Hintergrund, dass der Betroffene nach allgemeiner Auffassung dem äußersten rechten Rand seiner Partei angehört, sich in den letzten Jahren ausweislich einer Vielzahl von Presseveröffentlichungen in eindeutig nationalistisch-völkischer Weise mit rassistischen Anklängen und unter Hervorhebung eines natürlichen Führungsanspruchs der Deutschen geäußert und sich dabei immer wieder Formulierungen bedient hat, die zum Standardvokabular der Vertreter des Nationalsozialismus vor Mai 1945 gehörten.“

Die Hamburger Behörden müssen sich erklären.