Politische Berichte Nr.04/2022 (PDF)21
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Rechte Kräfte in der EU – Zusammengestellt von Michael Juretzek, Bremen

01 ITALIEN Strategiedebatte über EU-Wahl
02 Hart umkämpfte Justizreform
03 FINNLAND Offener Rassismus von Wahren Finnen-Ministern
04 SLOWAKEI „Rechtsextreme streben Regierung gegen ,Brüsseler Hölle‘ an“
05 SPANIEN Vox: Kulturdiktat im Amt

01

ITALIEN

Strategiedebatte über EU-Wahl

Zur Bildung einer Mehrheit im zukünftigen EU-Parlament vertreten die Regierungsparteien Forza Italia und Lega unterschiedliche Strategien. Forza-Vizepräsident Tajani (EVP-Fraktion) bevorzugt ein Bündnis mit den Liberalen (Renew-Fraktion) unter Ausschluss von Le Pens ID-Fraktion. Lega-Chef Salvini: „Jemanden von vornherein aus dem Mitte-Rechts-Bündnis auszuschließen, ist kurzsichtig. Der Wind ist klar und heikel, und die Europawahlen werden entscheidend sein. Die Türen sollten den Sozialisten und einer Ursula-Mehrheit nicht wieder geöffnet werden.“ Salvini wittert die Chance, nach den Wahlen 2024 einen Paradigmenwechsel im EU-Parlament durch ein Bündnis von EVP (Weber, CSU), ECR (Meloni, Fratelli) und ID (Le Pen und AfD) herbei zu führen. Tajani bezeichnete Le Pens RN und die AfD als „antieuropäische Parteien“. „Die Lega ist etwas ganz anderes. Wir wären froh, wenn die Lega Teil einer Mehrheit wäre, aber ohne Le Pen und die AfD“, sagte er. Die Lega-EU-Abgeordneten Zanni und Compomenosi dazu: „Möchte unser Freund Tajani lieber mit der Demokratischen Partei (PD/S&D), den Sozialisten und Macron weiterregieren? Die Lega arbeitet daran, die Mehrheitsverhältnisse in Europa zu ändern und endlich ein vereintes Mitte-Rechts-Projekt ins Leben zu rufen, das in der Lage ist, den Bürgern nach Jahren der Fehlregierungen durch die Linke konkrete Antworten zu geben.“ Zu der Auseinandersetzung befragt, sagte ECR-Vorsitzende Meloni, dass „es Zeit zum Nachdenken gibt“. (euractiv.de 4.7.2023)

02

Hart umkämpfte Justizreform

Kern des von der Regierung beschlossenen Gesetzentwurfes ist die Abschaffung des Straftatbestandes Amtsmissbrauch und die Einschränkung von Telefonabhörungen und der Veröffentlichung durch die Medien. Die Einschränkung der Berufungsmöglichkeit der Staatsanwaltschaft bei Freisprüchen wird von Richtern und Juristen als verfassungswidrig eingestuft. Justizminister Nordio nannte die Reform revolutionär und bedauerte, dass Berlusconi sie nicht mehr miterlebe. Er war während seiner Amtszeit mehrmals wegen Amtsmissbrauch und Korruption angeklagt und geißelte die „Diktatur linker Richter“. Die Entrechtung von Richtern, Staatsanwälten und Journalisten bedeute ein Einknicken der Justiz vor dem Verbrechen, äußern Kritiker. Verschärft hat sich der Streit um die Reform, nachdem die Justiz Ermittlungen gegen die Tourismusministerin wegen Bilanzfälschung und den Staatssekretär im Justizministerium wegen Weitergabe von Amtsgeheimnissen aufgenommen hat. Im Fall der Tourismusministerin stellte der Richter sich gegen den Staatsanwalt, der das Verfahren einstellen wollte. Nachdem aus Regierungskreisen die Äußerung bekannt wurde, ob ein Teil der Justiz jetzt die Rolle der Opposition einnehme, antwortete der Vorsitzende des italienischen Richterbundes Santalucia: „Es handelt sich um schwere Anschuldigungen, die aus der politischen Welt kommen.“ Die Regierung wolle die Justiz „delegitimieren“ und „ins Herz treffen“. (rainews.it; CORRIERE DELLA SERA 9.7.2023)

03

FINNLAND

Offener Rassismus von Wahren Finnen-Ministern

Nach zehn Amtstagen als Wirtschaftsminister trat Vilhelm Junnila von den Wahren Finnen zurück. Neben seinen Auftritten in der rechtsextremen Szene wurde ein Vorschlag von ihm gegen den Klimawandel publik: Da der Klimawandel seiner Meinung nach durch die Überbevölkerung verursacht ist, sollte man doch die „Förderung von Klimaabtreibungen“ bei afrikanischen Frauen einführen.

Nachdem der konservative Ministerpräsident Orpo erklärte, gegenüber Extremismus, Nationalsozialismus oder Antisemitismus gebe es „null Toleranz“, werden jetzt Vorwürfe gegen seine Finanzministerin laut. Riika Purra von den Wahren Finnen äußerte auf einem Internet-Blog über Menschen mit Migrationshintergrund, wenn ihr jemand ein Gewehr gäbe, gäbe es nun Tote. Weiter schrieb sie von „türkischen Affen“, dem Gedanken, auf Bettler zu spucken oder „Negerkinder“ zu schlagen. Vor der Presse entschuldigte sie sich damit, das sei eine „Art Insider-Humor“. Die Wahren Finnen übernahmen in der Vier-Parteien-Koalition das Wirtschafts-, Finanz-, Justiz- und Innenministerium. Innenministerin Rantanen hatte noch im März den Begriff „Bevölkerungsaustausch“ im Zusammenhang mit der Entwicklung in der Stadt Espoo benutzt. Laut dem finnischen Innenministerium, das sie nun führt, steht er als Verschwörungstheorie, die Rechtsextreme als Rechtfertigung für Gewalttaten nutzen. Am 12. Juli verpflichten sich die vier Koalitionsparteien in einer Erklärung, „in ihrer Arbeit, Rassismus sowohl in Finnland als auch international aktiv zu bekämpfen“.

Quellen: taz 2.7.23; faz.net 3.7.23; FAZ 13.7.23

04

SLOWAKEI

„Rechtsextreme streben Regierung gegen ,Brüsseler Hölle‘ an“

Mit dieser Überschrift weist das Nachrichtenportal Euraktiv am 4. Juli auf einen möglichen Ausgang der vorgezogenen Neuwahlen am 30. September hin. Die in den Umfragen führende Smer (deutsch: Richtung – Sozialdemokratie) signalisierte Bereitschaft, mit den aus der neofaschistischen Bewegung hervorgegangen Parteien Republika und SNS (Slowakische Nationalistische Partei) eine Koalition einzugehen. „Wenn es nicht zu einer Regierung aus Smer, Hlas und SNS kommt, wird die Slowakei in der Brüsseler Hölle versinken“, zitiert das Portal den SNS-Chef. Smer wird von Politikwissenschaftlern als sozialkonservative, nationalistische Partei eingeordnet. Sie warnt vor „Überfremdung“, nennt Homosexuelle „krank“ und bezeichnete jüngst Putin einen „großen Strategen“. Der SNS wünschte sie viel Erfolg und erklärte, sie werde in der Slowakei nach den Wahlen eine „wichtige Rolle“ spielen. Republika-Chef Uhrik, der es ablehnt, die Deportation von Juden im Zweiten Weltkrieg zu verurteilen, hat in seinem Team einen Kandidaten, der wiederholt Verständnis für Adolf Hitlers Politik äußerte.

05

SPANIEN

Vox: Kulturdiktat im Amt

In der Stadt Valdemorillo setzte der Vox-Kulturdezernent das Theaterstück „Orlando“ ab – die Hauptfigur ist eine transsexuelle Person. In Santa Cruz de Bezana wurde die Vorführung des Films „Lightyear“ verboten, in dem sich zwei Frauen küssen. Im valencianischen Burriana wurden die Abonnements katalanischer Zeitschriften für die Stadtbibliothek gekündigt, da sie „den Separatismus fördern“. Die letzten Regional- und Kommunalwahlen haben Vox zu Regierungskoalitionen in den Regionen Valencia und Extramadura mit der konservativen Partido Popular geführt und in viele kommunale Ämter. Auf den Balearen gibt es ein Tolerierungsabkommen mit der PP, in Aragon ist es in Verhandlung. In der Region Kastilien/Leon, in der Vox seit 2021 mitregiert, wurden die landesweit angeordneten Kontrollen gegen die Rindertuberkulose gelockert. Ebenso das Verkaufsverbot aller Kälber der Herde bei positivem Befund eines Tieres. „Die Regierung will, das wir unsere Herden opfern, wenn nur eine Kuh krank ist … Aber Produkte aus Nicht-EU-Ländern dürfen bei uns ohne Auflagen verkauft werden“, hetzte Vox-Vorsitzender Abascal auf einer Wahlkampfveranstaltung in Madrid. Spanien ist das siebtgrößte Exportland für Agrarprodukte. Quellen: FAZ 19.7.23; ARTEde Der Aufstieg der Rechten, youtube