Politische Berichte Nr.05/2023 (PDF)03a
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

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Granada: Gipfelkonferenzen der EU-Allianzpolitik

Christoph Cornides, Mannheim

Am 6. und 7. Oktober 2023 fanden in Granada, Spanien, hintereinander zwei europäische Großkonferenzen statt.

Zunächst tagte die (neue) Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) mit über 40 Vertretern europäischer und vorderasiatischer Staaten, danach der Europäische Rat der Regierungsvertreter der 27 EU-Staaten. An der EPG-Tagung nahm auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teil.

Zur Tagung der EPG kommentiert die Deutsche Welle (DW) am 5.10.2023: „Der eigentliche Sinn der Europäischen Politischen Gemeinschaft besteht nicht darin, formale Beschlüsse zu fassen. (…) Hier sollen sich Staats- und Regierungschefinnen und -chefs zum politischen Plausch treffen, die sich sonst nicht oft sehen. Deshalb gehören zu der Gemeinschaft nicht nur die 27 EU-Mitglieder, sondern auch zehn Beitrittskandidaten zur EU sowie zehn Staaten, die der Europäischen Union nicht beitreten wollen. Außer Russland und Weißrussland sind fast alle europäischen Staaten vertreten. Das klare Signal dieses Formats: Dies ist eine antirussische Koalition.“ (Berichte und Dokumente der beiden Tagungen in den Mitteilungen von: Europäischer Rat, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/)

Bereits Anfang der 1950er Jahr gab es den Versuch der Gründung einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) und zwar als Versuch einer umfassenden politischen Union der damaligen sechs Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS oder auch Montanunion). Das Projekt scheiterte jedoch am Widerstand der französischen Nationalversammlung, ebenso wie das damalige Projekt der Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG).

Im Mai 2022 schlug der französische Präsident Macron als Reaktion auf den Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine die Bildung einer neuen Europäischen Gemeinschaft (EPG), als Organisation „westlich orientierter“, „demokratischer Staaten“ vor. Diese neue EPG wurde am 6. Oktober 2022 gegründet. In Granada fand ihr drittes Treffen seit der Gründung im Oktober 2022 in Prag statt. Sie umfasst heute „47 europäischen und vorderasiatischen Staaten, die in den Bereichen Politik, Sicherheit, Energie, Verkehr, Investitionen, Infrastruktur und Personenverkehr zusammenarbeiten.“ (EPG, Wikipedia, einschl. Liste der Mitgliedstaaten.) Sie ist eine eigene, zwischenstaatliche Einrichtung, die weder mit der Europäischen Union (die selbst Teilnehmerin der EPG ist) noch mit dem Europarat direkt zusammenhängt. Zur EPG gehören auch die Türkei, die Ukraine und verschiedene weitere Staaten, denen gemeinsam ist, dass sie in ihrem heutigen Zustand die Aufnahmekriterien in die EU nicht oder kaum erfüllen.

Die zweite Tagung war die „Informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs“ des Europäischen Rates, der Regierungsvertreter der 27 EU-Staaten. Sie diente der Vorbereitung der „Politischen Strategischen Agenda 2024–2029“ der EU der nächsten fünf Jahre, die im Juni 2024, in zeitlicher Nähe zu den Wahlen zum Europäischen Parlament verabschiedet werden soll. „Dabei handelt es sich um einen Politikplan, der von den Staats- und Regierungschefs der EU einvernehmlich festgelegt wird und mit dem der EU allgemeine politische Leitlinien und Zielvorstellungen vorgegeben werden.“ Und der Europäische Rat stellt weiter dazu fest: „Gestützt auf ihre bisherigen Arbeiten, … hat die EU Fortschritte bei der Stärkung ihrer strategischen Autonomie erzielt und gleichzeitig die Ukraine uneingeschränkt unterstützt.“

Zentrales Thema der „informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs“ war die Erweiterung der EU und insbesondere die Frage der Aufnahme der Ukraine. Die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ) berichtet: „Offiziell haben derzeit acht Länder den Status als Beitrittskandidaten – von Albanien über Montenegro bis zur Türkei und zur Ukraine. … im Kern setzt die EU darauf, dass sie mit Erweiterungen mehr Stabilität exportiert, als sie Instabilität importiert. Die demokratischen Rückschritte in Ungarn und Polen illustrieren die Risiken. Mehrere Gipfelteilnehmer nannten die Erweiterungen eine ‚geostrategische Notwendigkeit‘“ (NZZ, 9.10.2023)

In diesem Zusammenhang ist die (neue) Europäische Politische Gemeinschaft also einerseits ein Teil der Allianzbildung der EU in Europa gegen die Russische Föderation, andererseits gehört sie auch aus kritischer Sicht anderer Staaten längerfristiger zu den Bausteinen eines insbesondere von Frankreich und Deutschland betriebenen Europas der „verschiedenen Geschwindigkeiten“.

Dementsprechend war ein zentrales Konfliktthema der informellen Ratstagung die Frage von Zielterminen für einen EU-Beitritt der Ukraine und auch anderer Länder aus der Liste der Beitrittskandidaten. Ein Beitritt – insbesondere der Ukraine – hätte massive Auswirkungen auf den EU-Haushalt. Für die Ukraine plädierten einige Teilnehmer als Aufnahmetermin für „spätestens 2030“ (NZZ), Ratspräsident Michelle sprach sich für die Nennung wenigstens überhaupt eines Zieldatums aus. Einen Konsens darüber gibt es derzeit nicht. Die Schlusserklärung zum Gipfeltreffen verzichtet auf jegliche Zeitangabe. Sie stellt als „Erklärung von Granada“ des Europäischen Rates (Pressemitteilung vom 6.10.2023) u.a. fest:

„Mit Erpressung im Energiebereich bedroht, haben wir unsere Abhängigkeiten erheblich verringert und unsere Quellen diversifiziert. Angesichts angespannter Lieferketten und des sich verschärfenden internationalen Wettbewerbs haben wir unsere wirtschaftliche Basis gestärkt. (…) Wir werden die Ukraine und ihre Bevölkerung so lange wie nötig weiter unterstützen. Wir haben außerdem bestätigt, dass die Zukunft der beitrittswilligen Länder und ihrer Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union liegt. (…) Aufbauend auf dem Strategischen Kompass für Sicherheit und Verteidigung werden wir unsere Verteidigungsbereitschaft stärken und in Fähigkeiten investieren, indem wir unsere technologische und industrielle Basis ausbauen. Wir werden auch einen Schwerpunkt auf die militärische Mobilität, auf die Resilienz im Weltraum und auf die Abwehr von Cyberbedrohungen und hybriden Bedrohungen sowie von ausländischer Informationsmanipulation in der gesamten Union legen. (…) Der Angriffskrieg Russlands hat auch die Stärke der transatlantischen Beziehungen weiter verdeutlicht.“

Über die Konferenz der EPG schreiben „Frankfurter Allgemeine“ (FAZ) und andere Zeitungen von „Sprachlosigkeit“. Es sei weder gelungen, die im Konflikt liegenden Präsidenten Armeniens und Aserbeidschans noch die Staatschefin des Kosovo und den Staatschef Serbiens zu gemeinsamen Gesprächen zu bewegen. Der türkische Präsident habe sich gleich wegen gesundheitlicher Unpässlichkeit abgemeldet. – Dagegen weist die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ) auf die zu beachtende Bedeutung der EPG für die Entwicklung von „Zwischenstrukturen“ – insbesondere also zwischen Nato und EU – für die Zusammenarbeit in Europa hin.