Politische Berichte Nr.05/2023 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Premier Sunak kämpft um sein Ansehen

Eva Detscher, Karlsruhe

Obwohl erst 2025, spätestens am 28. Januar, Wahlen zum britischen Unterhaus stattfinden werden, gibt es den ständigem Blick auf die Meinungsumfragen über das Wahlverhalten, die Zufriedenheit mit den politischen Konzepten und den Parteiführungen. Aktuell würden die Labour-Party 47 %, die Conservatives 29 %, die Liberalen 11 %, Grüne und die sozialdemokratische Reformpartei jeweils 6 % in Wahlen erzielen. Danach wird Labour eher als geschlossen agierende Partei wahrgenommen, während die Conservatives als zerrissen erscheinen. Auf dem Parteitag der Regierungspartei Conservatives in Manchester, der gerade zu Ende ging, war Premierminister Sunak in der Zwickmühle, sich selbst als Motor einer sich erneuernden Partei und seine Pläne als „Langzeit-Projekte im nationalen Interesse“ darzustellen.

Hochgeschwindigkeitszüge in den Norden

Eines dieser Projekte betrifft die Schnellbahnstrecke HS2, deren Kosten aus dem Ruder gelaufen sind. Seit 2009 haben alle Regierungen dieses Projekt betrieben. Es war ein Brexit-Versprechen, dass die Schnellbahn für Züge mit einer Geschwindigkeit von bis zu 360 km/h das Gefälle zwischen dem wirtschaftlich schwachen Norden und dem wohlhabenden Süden Englands ausgleichen sollte. 2021 wurde bereits der nach Osten verlaufende Zweig Birmingham–Leeds gestrichen und jetzt der nach Westen verlaufende Zweig von Birmingham nach Manchester. Die Bahn ist nicht unumstritten, weil sie nicht nur viel teurer als vorgesehen ist (2009: 40 Milliarden Pfund, nun aber knapp 100 Milliarden Pfund), sondern auch große Eingriffe in die Landschaft mit sich bringt. Sunak stellt als Ausgleich den Ausbau der bestehenden Infrastruktur, die Anschaffung von neuen Bussen und Bahnen, jeder eingesparte Penny bei HS2 soll in das „network-north-programme“ – das Programm für das Straßen-, Bus- und Bahn-Projekt für den Norden fließen. Allerdings bestehen Zweifel, ob dieses Vorhaben mehr ist als eine Vision. Was bleibt sind Projekte für den Bau neuer Züge – hier haben 2021 Hitachi und Alstom den Zuschlag für die Produktion in Newton Aycliff (Hitachi – Rohbau), in Crewe (Alstom – Ausrüstung) erhalten, bis sie dann in Derby, Großbritanniens größtem und ältestem Fertigungswerk montiert werden.

Kommunen vor Bankrott

Die wirtschaftliche Lage Großbritanniens ist nicht einheitlich in den vier Landesteilen: Nordirland steht gut da, Schottland ist abhängig von der Ölindustrie und dort vor allem von den Ölplattformen in der Nordsee. Im Moment floriert dieses Geschäft noch gut. Wales leidet unter der Inflation und dem Weggang junger Menschen. England hat große wirtschaftliche Probleme. Kommunen können ihre Aufgaben wegen fehlender finanzieller Mittel, nicht mehr wahrnehmen. Birmingham zumBeispiel (mit 1,2 Millionen Einwohnern und fast 3 Millionen in der Metropolregion die zweitgrößte Stadt des Königreichs nach London) droht dieses Jahr ein Defizit von 87 Millionen Pfund, nächstes Jahr sogar 160 Millionen Pfund. Grund dafür seien steigende Sozialausgaben, Einbrüche bei der Gewerbesteuer und die Folgen der Inflation. Birmingham will versuchen, Sozialeinrichtungen und öffentliche Dienste weiter aufrechtzuerhalten, aber nur „das Nötigste“. Lokalregierungen können in beschränktem Ausmaß Gemeindesteuern erheben, weitere Finanzierungsquellen sind Gebühren wie etwa aus dem Betrieb von Parkplätzen. Der Großteil der Gemeindebudgets stammt aber direkt aus dem Haushalt der nationalen Regierung, die nach der Finanzkrise die Mittel für die Gemeindeverwaltungen gekürzt hat. Als Folge der Inflation und der steigenden Kosten für Miete, Heizen, Strom usw. beziehen aber immer mehr Bürgerinnen und Bürger lokale Sozialleistungen, auch die Auslagen für die Alterspflege nehmen zu. Daher steigen die Kosten für die Gemeinden, wobei sie im zentralistischen britischen Staatswesen nur begrenzte Möglichkeiten haben, Leistungen zu kürzen oder neue Einnahmen zu generieren. Der Bankrotterklärung Birminghams könnten weitere folgen.

Zusammenarbeit mit der EU und Annäherung an EU-Planungen

Von 2024 an wird Großbritannien wieder am Forschungsprogramm Horizon Europe und am Satellitenprogramm Corpernicus teilnehmen. Von beiden Programmen hatte sich Großbritannien im Zuge des Austritts aus der EU verabschiedet – sehr zu Lasten sowohl der Forschung in Großbritannien als auch der Möglichkeiten der EU. Großbritannien wird für die Teilnahme an Horizon Europe im Schnitt 2,6 Milliarden Euro pro Jahr bezahlen, das wären ungefähr 16 % des Budgets von Horizon Europe (von 2021 bis 2027 sind 95,5 Milliarden Euro seitens der EU eingeplant, im Schnitt also ca. 16 Milliarden pro Jahr). Wissenschaftsorganisationen begrüßen die Einigung, die rechtliche Umsetzung muss von den Mitgliedsstaaten der EU noch genehmigt werden. – Copernicus dient der Erdbeobachtung und ist im laufenden Finanzrahmen mit 4,8 Milliarden Euro ausgestattet. Großbritannien bekommt Zugang zu Daten und Analysen, die aus der Überwachung des Landes, der Meeresumwelt, der Atmosphäre, des Klimawandels und von Notsituationen gewonnen werden.

Annäherung an Vorgaben der EU

Boris Johnson hat Ende 2020 zur Erreichung der Klimaziele das Verbot von Verbrennermotoren, das in der EU auf 2035 festgeschrieben war, auf das Jahr 2030 vorgezogen. „Jetzt ist die Zeit gekommen, eine grüne Erholung mit hochqualifizierten Arbeitsplätzen zu planen, die den Menschen die Sicherheit gibt, dass sie dazu beitragen, das Land sauberer, grüner und schöner zu machen“, schrieb Johnson damals in einer Kolumne für die „Financial Times“. Der jetzige Premierminister Rishi Sunak kündigt nun doch wieder eine Änderung der Politik an. Nutzfahrzeuge und Pkw mit Verbrennungsmotoren sollen in mehreren Schritten ausrangiert werden – allerdings bis 2035. Es wird erwartet, dass Sunak in den kommenden Tagen eine Reihe politischer Lockerungen in Bezug auf Treibhausgasemissionen bekannt gibt. Großbritanniens Weg, bis 2050 das bereits 2019 ausgerufene Netto-Null-Emissionsziel zu erreichen, bleibt aber wohl unangetastet. Dann sollen überhaupt keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr auf britischen Straßen fahren. In Schottland gilt das Verbot reiner Verbrenner ab 2032 bereits als gesetzt. Die schottische Off- und Onshore-Windkraft zur Erzeugung von Elektrizität ist inzwischen auf 100 Megawatt gestiegen. Gleichzeitig will Sunak die Ölförderung vor der Küste Schottland erhöhen. „Max out“ – also das Maximale herausholen – ist sein Schlagwort. Daher wird er weitere Lizenzen erteilen. Die Furcht vor Armut steckt seit den Erfahrungen des Ausstiegs aus der Kohle in der britischen DNA. Daher sollte Labour vielleicht doch noch prüfen, ob die Ankündigung, keine Lizenzen mehr zu vergeben, wenn sie an der Regierung sind, so stehen bleiben kann. Auch wenn eine große Zahl junger Leute -parteiübergreifend – mehr und viel für den Klimaschutz tun wollen: Ideen, wie es weitergehen soll, gehören aber auch dazu.

Quellen: FAZ, Guardian, NZZ, Wirtschaftswoche, Auto-Motor-Sport, Wikipedia