Politische Berichte Nr.05/2023 (PDF)13
Aus Kommunen und Ländern

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Hessen: starker AfD-Zuwachs und fehlende Linke belastet demokratische Opposition

Von Rosemarie Steffens, Langen, und Olaf Argens, Schmitten.

Boris Rhein wird Ministerpräsident in Hessen bleiben. Das Wahlergebnis der CDU übertraf mit 34,4 % (+ 7,5 % mehr als 2018) deutlich die Erwartungen. Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Hessen lag bei 66 % um 1,3 % geringer als 2018.

Die schwarzgrüne Koalition, der er seit 2022 nach dem vorzeitigen Ausscheiden von Ministerpräsident Bouffier vorgestanden hat, ist in Hessen seit zehn Jahren im Amt. CDU und Grüne haben immer ihre gute, „geräuschlose“ Zusammenarbeit gelobt. Rhein gibt sich als moderner, moderater CDU-Politiker, potenzielle Zusammenarbeit mit der AfD wurde ausdrücklich ausgeschlossen. Allerdings hat er sich von den Attacken des Bundesvorsitzenden Merz gegen die Asylbewerber nicht explizit distanziert.

Die Landtagswahlen werden in den Medien gerne als Zwischenergebnis für die Berliner Ampelregierung gewertet. Die Linke hat mit dem Slogan „Rote Karte für die Ampel & klare Kante gegen rechts“ in diesem Sinn auch den hessischen Wahlkampf geführt. Die Rote Karte gegen die Ampelparteien wurde deutlich, leider war die klare Kante gegen rechts nicht umsetzbar.

Die Forschungsgruppe Wahlen hat ermittelt, dass für 40 Prozent der Wähler/innen bundespolitische Themen für ihre Wahlentscheidung wichtiger als landespolitische (55 Prozent) sind. Die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP hätten starken Gegenwind aus Berlin zu spüren bekommen, die auf Unzufriedenheit mit dem „Heizungsgesetz“, der Migrationspolitik und der Sicherheitspolitik der Bundesregierung zurückzuführen sei. Darauf weisen auch die Wählerwanderungen zur CDU hin: sie hat 72 T. Wähler von der SPD dazugewonnen, 53 T von den Grünen, 52 T von FDP, 35 T haben die CDU als bisherige Nichtwähler gewählt. Von der Unzufriedenheit mit den Ampel-Parteien habe auch die AfD stark profitiert – siehe ARD-Schaubilder (1).

Die Hoffnung, dass die Zugewinne der AfD bei der hessischen Landtagswahl 2023 nicht so hoch werden würden, hat sich leider nicht bewahrheitet. Mit 18,4 % (+ 5,2 % mehr als 2018) liegen sie jetzt an zweiter Stelle hinter der CDU.

AfD-Spitzenkandidat Robert Lambrou tritt als biederer, bürgerlich konservativer Parteivertreter auf. Er hat es auch nicht nötig, die aggressiv völkische Seite des AfD-Programms zum Vorschein kommen zu lassen, denn er kann die starken Flucht- und Wanderungsströme, deren Regelung und Ordnung ein Anliegen vieler Menschen ist, bei einem der wichtigsten Wahlkampfthemen, der Migration, in den Vordergrund stellen.

Die AfD hat der SPD (15,2 %) und den Grünen (14,8 %) deutlich den Rang abgelaufen. Diese beiden Parteien konkurrierten mit der CDU um die Ministerpräsidentschaft.

Nancy Faesers Wunsch – und die einzige Chance, die CDU aus der Landesregierung zu entfernen – hätte in der Bildung einer Ampel (SPD/Grüne/FDP) bestanden, wofür es aber keine Stimmung gab. SPD/Grüne/FDP haben diese Option nicht aufgegriffen.

„Der harte Kurs in der Migrationspolitik dürfte … zu einer Demobilisierung eines Teils des progressiven SPD-Milieus geführt haben. Stellvertretend hierfür steht der Austritt der früheren Landesvorsitzenden und Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti im Juni dieses Jahres unter Verweis auf den eingeschlagenen Kurs von Asylrechtsverschärfungen von Faeser.“ (Wahlnachtbericht Rosa Luxemburg Stiftung, moritz.warnke@rosalux.org, Datenstand: Vorl. Endergebnis vom 9.10.23)

Unterstützung erfuh r die SPD-Kandidatin aber durch die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die jahrelang Drohungen vom „NSU 2.0“ erhalten hat und noch immer unter Polizeischutz steht. Sie startete den Aufruf „Haltung zeigen. Wir für Nancy Faeser.“ Nicht alles, was Nancy Faeser als Bundesinnenministerin entschieden hat, finde ihre Zustimmung, „Aber wir müssen reden, uns austauschen, andere Meinungen aushalten.“ Hessens Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre sei geprägt gewesen von rechtsextremen Anschlägen und Skandalen, heißt es in dem Aufruf, „Aufklärung, Transparenz und Konsequenzen hat es in der Folge aber leider allzu oft nicht gegeben.“ In Zeiten, in denen die viel zitierte Brandmauer bröckelt, brauche es Stimmen, die die Demokratie verteidigen. „Faeser sei menschlich wie fachlich geeignet, Hessen im Kampf gegen Rechts anzuführen – „sie eint, statt zu spalten“. Zum anderen sei es dem Einsatz der damaligen SPD-Fraktionschefin zu verdanken, dass der Landtag den NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt hatte. „Ohne ihre Vehemenz wäre das nicht passiert.“ Faeser sei für sie „die personifizierte Brandmauer gegen Rechts“. Die frühere Grünen-Landtagsabgeordnete Mürvet Oztürk aus Wetzlar nennt zwei Gründe, warum sie Faeser unterstützt: „Es ist wichtig, dass Hessen endlich mal von einer Frau regiert wird.“ Die Vielfalt Hessens sei eine „Auszeichnung“, die es zu verteidigen gelte. Angriffe auf die Diversität erforderten eine Politik, die den Zusammenhalt festige und rechtsextreme Netzwerke bekämpfe. „Dazu braucht es die kraftvolle Stimme einer Fachkraft für die Stärkung der Demokratie und Toleranz an der Spitze der hessischen Landesregierung.“ (Jutta Rippegather, FR, 27.9.23)

Die Grünen erreichen mit 14,8% einerseits ihr historisch zweitbestes Ergebnis in Hessen, haben aber andererseits mit -5,0% die größten Verluste des Wahlabends. Tarek Al-Wazir als Ministerpräsidenten-Kandidat führte eine betont konservative Kampagne („Etwas verändern, damit es bleibt, wie es ist.“– „Öko. Wie in Ökonomie“). Die Kompetenzzuschreibung beim Thema Klima- und Umweltpolitik bricht ein: der Wert beträgt nur noch 36% (infratest dimap/ARD).

Die Debatte zum Heizungsgesetz scheint den Grünen hier nachhaltig geschadet zu haben. Die Grünen haben 8000 Stimmen von der Linken gewonnen, aber 53 000 an die CDU, 30 000 an die SPD verloren und 25 000 der ehemals Grünen-Wähler entschieden sich, nicht mehr wählen zu gehen. 73% der Grüne-Wählenden sind der Ansicht, dass die Grünen in der Bundesregierung zu vielen Kompromissen zustimmen (infratest dimap/ARD).

Die FDP hat gerade so die Hürde in den Landtag mit 5 % überwunden (-2,5 %). Für Spitzenkandidat Naas war neben der Stärkung des Finanz- und Industriestandorts Hessen die populistische Besetzung des Begriffs Migration eines seiner Hauptthemen. Er verlangte im Wahlkampf von Nancy Faeser, sie solle die Flüchtlingszahlen in Hessen herabsetzen durch die Verringerung von „Pullfaktoren“, also Anreizen für die Geflüchteten.

Künftig werden nur fünf, statt bisher sechs Parteien im Hessischen Landtag vertreten sein, denn die Linke hat den Einzug mit 3,1 % (-3,2 %) leider nicht geschafft.

Damit fehlt eine kritische Stimme, die gerade auch in diesem Wahlkampf die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit erhoben hat, die ihren Schwerpunkt bei einer konsequent antifaschistischen Aufklärung setzte und Themen wie die Vertuschung um den Mord an Walter Lübcke, die mangelnde Aufklärung um die rassistischen Morde von Hanau oder der Skandal der antisemitischen Chatgruppen bei der Frankfurter Polizei an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Hermann Schaus, ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter in der Fraktion der Linken sagt am 8.10., die Abwanderung von 14 000 Wählerinnen und Wählern von der Linken zur AfD mache ihm am meisten zu schaffen.

Boris Rhein hat zwei Optionen, die schwarzgrüne Koalition fortzuführen oder eine Koalition mit der SPD einzugehen. Sollte er sich für eine große Koalition entscheiden, so müsste er mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Günter Rudolph ins Geschäft kommen, der bei seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden 2021 seinen Schwerpunkt darauf legte, die „Lebensverhältnisse für alle Menschen“ zu verbessern. Sein Ziel und das seiner Partei sei es, „das Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung wieder mit Leben zu füllen und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die unser Land mit harter Arbeit zusammenhalten, ihren gerechten Anteil am Wohlstand in unserer Gesellschaft bekommen“. Er gilt als „nordhessisches Raubein“.

Abb. (PDF): Wanderung SPD – Wanderung AfD – Wanderung Linke – Sämtliche Abbildungen zitiert aus der Wahlnachtberichterstattung der ARD tagesschau.de/wahl/archiv/2023-10-08-LT-DE-HE/ bzw. By.

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