Politische Berichte Nr.05/2023 (PDF)14
Aus Kommunen und Ländern

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Bayern ...

Martin Fochler, München

Für die Entwicklungen des bundesdeutschen Parteiensystems sind die Wahlergebnisse im Freistaat von besonderem Interesse, die Freien Wähler, die sich auch im Bund als Partei bewerben, haben hier seit Jahrzehnten eine starke Basis in den Organen der kommunalen Selbstverwaltung. Mit dem Einzug als Partei in den Landtag, der Regierungsbeteiligung und dem jetzigen starken Ergebnis ist eine neue Konstellation entstanden. Die CSU ist darin geschrumpft, aber eine Ablösung der CSU aus der Regierung ferner denn je. Die CSU hat, paradox, aber wahr, durch diese Verluste ihre Machtposition gefestigt.

Die CSU hat in den Nachkriegsjahrzehnten ihre starke Stellung durch ein Konzept der Landesentwicklung gewonnen, die den Prozess der Freisetzung von Arbeitskräften in den Sektoren Landwirtschaft und vielen Bereichen des Handwerks durch das Angebot von Arbeit in der Industrie sozial verträglich gestaltete. Etwas plakativ sprach man von der Entwicklung eines Agrarlandes zum Industrieland. Diese Phase ist abgelaufen. Nun hatte sich die Regierungspartei um den Übergang von der – wieder etwas pauschal gesagt – Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft zu bemühen. Sie trug dem durch die Vermehrung der Hochschulstandorte und die Förderung der Verbindung von Wissenschaft und anwendungsorientierter Technik Rechnung. Dabei zeigt sich der sogenannte Fühlungsvorteil, die räumliche Nähe von Menschen und Einrichtungen, als eine harte Bedingung, die Attraktion der Metropolenkern wird dementsprechend stark und das Ansehen der Menschen, die gewerblich und in der Fertigung beschäftigt sind, nimmt ab. Die Metropolenkerne ermöglichen außerdem ein dichtes Netzwerk von Einrichtungen der Daseinsvorsorge, man spricht von der 15-Minuten-Stadt, während im ländlichen Raum oft viele Stunden für den Weg z.B. zur Arztpraxis verbraucht werden.

Die Folge ist, dass die Menschen im ländlichen Raum Vertrauen in Kompetenz verloren. Mit den Freien Wählern, die schon in den Kommunalparlamenten nach der Devise: „Wir werden schon selber wissen, was für uns am besten ist“ gehandelt hatten, waren wie geschaffen, diese Repräsentationslücke zu füllen. Sie wurden gewählt, an der Landesregierung beteiligt und haben sich in den Augen ihrer Wählerschaft dabei auch bewährt.

Eine sehr schlichte Grafik zeigt, was CSU und Freie Wähler aneinanderbindet, die FW fangen einen Kompetenzverlust auf, den die CSU, die voll damit beschäftigt ist, sich als „moderne Großstadtpartei“ zu etablieren, erlitten hat und – diese These soll hier riskiert werden, nicht anders reparieren kann als durch Anerkennung anderer Vorstellung der Lebensgestaltung, die die Freien Wähler repräsentieren. Ein Bündnis mit den Grünen würde dieses Manko nicht beheben, sondern wahrscheinlich noch verschärfen.

Obwohl die Kopplung von CSU und FW über 50% der Abstimmenden repräsentiert, hat sich rechts neben diesem Bündnis die AfD festgesetzt. Sie hat mit 14,6% Prozent die Grünen knapp und die SPD sehr deutlich übertroffen und führt damit nach parlamentarischem Brauch die Opposition an. Wieso war es möglich, dass diese Partei, in deren Grundstruktur völkischer Nationalismus eingeschrieben ist, so zahlreiche Anhängerschaft findet? Dies hängt damit zusammen, dass die AfD-Größen zurzeit diesen Unrat nicht ausbreiten müssen. Da wirtschaftliche, ökologische und politische Katastrophen Flucht- und Wanderungsbewegungen auslösen, entsteht ein politischer Regelungsbedarf. Die AfD kann sich als eine besonders energische Kraft für die Verschärfung des Grenzregimes darstellen, die auch von anderen politischen Kräften betrieben wird. In diesem Szenario kann die AfD die Politik der Ab- und Ausgrenzung, Stichwort „Brandmauer“, sachlich angreifen, was sie nicht hindern muss, im Hintergrund und in ihren meinungsbildenden Zirkel Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu kultivieren. Der Zustrom, den die AfD aus allen politischen Lagern erfahren hat – in Bayern wie in Hessen –, belegt den Erfolg dieser Strategie.

Schließlich die Grünen. Die Partei hängt dem Wunschtraum einer Regierungsbildung „Schwarz-Grün“ nach. Sie verkennt, dass die CSU das Bündnis mit den Freien Wählern strukturell braucht, um ihre eigene Wählerschaft in den selbstbewussten ländlichen Räumen Bayerns – wenn auch auf etwas niedrigerem Niveau – zu stabilisieren.

Während man das traurige Ergebnis der Linken auf die innerparteilichen Zerwürfnisse schieben könnte, fehlen für die Entwicklung der SPD die Worte. Vielleicht spielt eine Rolle, dass die Partei die Menschen, für deren Belange sie sich einsetzt, sozial nicht mehr repräsentiert, ein Schicksal, das auch die Funktionsebene der Gewerkschaften trifft und auch die Partei die Linke.

Da in Bayern zeitgleich mit den Landtagswahlen auch die Bezirkswahlen stattfinden und weil hier die 5%-Klausel nicht gilt, stellt sich die Frage, wie die Linke, die bei den letzten Wahlen in allen Bezirkstagen vertreten war, abgeschnitten hat. Leider ist die Auszählung bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht abgeschlossen. Die Zwischenergebnisse deuten an, dass sich Die Linke von dem Abwärtstrend, der sich bei den Landtagswahlen gezeigt hat, nicht abkoppeln konnte: Aber die Partei wurde auch nicht einfach abgeräumt. Es scheint möglich, dass der Kampf gegen die sozialen Defizite und Versagungen auf der Ebene der Kommunalpolitik eine gewisse Anerkennung findet. Sicher ist, dass das schlechte Abschneiden der Linken nicht an fehlendem Engagement für soziale Belange gelegen hat, und wahrscheinlich bleibt, dass die Partei auf dieser Grundlage Positionen im öffentlichen Leben und in der kommunalen Selbstverwaltung behaupten kann, als Ausgangspunkt für strategische Klärungen und zum Kampf gegen den neuen autoritären, völkisch-rassistisch grundierten Nationalismus, der die globalen Beziehungen unterminiert.

Abb. (PDF): Kompetenz bzgl Ländlicher Raum – Wanderung FW – Wanderung AfD – Wanderung SPD – Tabelle Gesamtergebnis. Sämtliche Abbildungen zitiert aus der Wahlnachtberichterstattung der ARD

tagesschau.de/wahl/archiv/2023-10-08-LT-DE-HE/ bzw. By.