Politische Berichte Nr.05/2023 (PDF)17
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

Mantelpaviane und Elefanten – Streik im Hamburger Zoo

Seit dem 28. August wird im Hamburger privaten Tierpark Hagenbeck für einen Rahmentarifvertrag gestreikt

Gaston Kirsche, Hamburg

„Die Streiktage reduzieren anteilig die freiwilligen Urlaubstage“, steht auf einem an die „Lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ adressierten internen Aushang von Mitte August, für den „Ihr Dirk Albrecht“ verantwortlich zeichnet, der Geschäftsführer der „gemeinnützigen Tierpark GmbH“. Der Tierpark ist der einzige Großzoo Deutschlands, der in privater Hand ist und keinen Tarifvertrag hat. Mit dem Aushang reagierte die Geschäftsführung auf das Ergebnis der gewerkschaftlichen Urabstimmung über einen unbefristeten Streik, mit dem die Aufnahme von Verhandlungen über einen Rahmentarifvertrag erreicht werden soll. In dem Aushang, welcher dem Autor vorliegt, droht die Geschäftsführung noch mit weiteren Geldkürzungen, die rechtlich allein deshalb möglich sind, weil es eben keinen Tarifvertrag gibt. Und damit keinen Rechtsanspruch auf 30 Urlaubstage, Weihnachtsgeld, gleiche Überstundenzuschläge und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. So kann die Geschäftsführung im Aushang ankündigen: „Müsste der Tierpark schließen, reduzieren die fehlenden Besucher gegebenenfalls das Weihnachtsgeld“ …Im April 2022 forderte die IG BAU die Geschäftsführung zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Rahmentarifvertrag auf, in dem nicht nur die Zuschläge verbindlich festgeschrieben werden, sondern eben auch weiteres wie Urlaubsansprüche und Weihnachtsgeld geregelt wird.

Zwar gibt es im Tierpark Hagenbeck einen Betriebsrat, aber eben keinen Tarifvertrag – weil „die Gesellschafter und der Geschäftsführer Dr. Dirk Albrecht sich weigern, mit uns über einen Rahmentarifvertrag zu verhandeln“, so Pascal Lechner, bei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, IG BAU, für Hagenbeck zuständiger Gewerkschaftssekretär. Aber auch trotz dreier Warnstreiks am 3. August 2022 sowie am Karfreitag und am 1. Mai dieses Jahres gibt es bisher keine Verhandlungsbereitschaft. „Nun gibt es leider keine andere Möglichkeit mehr als den unbefristeten Streik“, erläutert Pascal Lechner …

Die Familie Hagenbeck, welcher hinter der den Zoo tragenden Stiftung steht, ist allerdings dafür bekannt, Kritik zu ignorieren: Groß wurde Hagenbeck mit der Organisierung von „Völkerschauen“, bei denen Menschen aus dem globalen Süden vorgeführt wurden. Dort, wo jetzt das Elefantengehege ist, wurden noch 1931 Menschen aus Neukaledonien in der Südsee exotisierend ausgestellt – als Kannibalen deklariert, obwohl sie keine waren. Die Eigentümer-Familie des Hamburger Tierparks Hagenbeck verweigert eine öffentliche Aufarbeitung dieses Teils der Unternehmensgeschichte. Und jetzt?

Bietet Geschäftsführer Albrecht den Beschäftigten des Tierparks gar eine „Nicht-Streik-Prämie“ an: Allen, die trotz Streiks zur Arbeit kämen, versprach er eine Zahlung von einmalig 150 Euro brutto.

Die unnachgiebige Ablehnung von Verhandlungen hat ebenso wie das „Führungsverhalten wie aus Zeiten des Feudalismus“, wie Lechner es charakterisiert, dazu geführt, dass weitere Beschäftigte des Tierparks in die Gewerkschaft IG BAU eingetreten sind. Mittlerweile sind über Zweidrittel der knapp 140 Angestellten dort Mitglied. Und deren Geduld scheint erschöpft zu sein: 86 Prozent stimmten bei der Urabstimmung unter den gewerkschaftlich Organisierten bei Hagenbeck für einen unbefristeten Streik, um dadurch die Aufnahme von Verhandlungen zu erzwingen. Als dieses Ergebnis am 23. August bekannt gegeben wurde, dauerte es nur einen Tag, bis Hagenbecks Geschäftsführer Dr. Dirk Albrecht in einem „Offenen Brief an die IG BAU“ unter Berufung auf die zuständige Amtstierärztin eine neue Drohkulisse auffuhr: „Die Behörde stellt klar und präzise fest, dass eine Einschränkung der Tierpflege durch einen gewerkschaftlich organisierten ‚Notdienst’ nicht zulässig ist und ggf. bei Missachtung der gesetzlichen Vorgaben Straftatbestände erfüllt sein können“ …

Mittlerweile liegt als „Drucksache 22/ 12798“ auch die Antwort des Hamburger Senats auf eine Schriftliche Kleine Anfrage der Bürgerschaftsfraktion der Linken zur behaupteten Gefahr der Tierwohlgefährdung durch den Streik vor. Darin heißt es unmissverständlich: „Zu keinem Zeitpunkt gab es einen konkreten Hinweis darauf, dass das Tierwohl im Tierpark Hagenbeck durch den angekündigten Streik tatsächlich gefährdet wäre. Gegenüber der Presse wurde durch die zuständigen Behörden dementsprechend keine Sorge bezüglich einer möglichen Tierwohlgefährdung geäußert“ …

Zu Streikbeginn wurde am Abend jeden Streiktags entschieden, ob am nächsten Tag gestreikt wird oder gearbeitet – eine schlaue Taktik, um das Management maximal im Unklaren zu lassen. Ein Nachteil hierbei allerdings: Vorgesetzte können die Streikwilligen bei der Arbeit überwachen und unter Druck setzen, wie Pascal Lechner berichtet. Aus dem Tierpark heraus wurde auch schon versucht, die Streikposten vor dem Haupttor abzufilmen. Nichts wirklich Neues: „Indirekt wurde immer wieder versucht ein Klima der Angst zu schaffen“, erläutert Pascal Lechner im Gespräch: „Beispielsweise werden Beschäftigte, welche unbequeme Fragen stellen zu Vier-Augen-Gesprächen mit Dr. Albrecht geladen.“ Mittlerweile wird deswegen jeden Tag gestreikt.

Die Geschäftsführung veranstaltet „Mitarbeiterversammlungen“ mit Anwesenheitspflicht, in denen außer der Geschäftsführung keine Wortbeiträge gewünscht sind und Fragen nicht zugelassen werden … Nicht nur vom DGB, auch von Betriebs- und Personalräten anderer städtischer Großzoos kommen viele Solidaritätsbekundungen – auch die Hamburger Regierungsparteien SPD und Grüne unterstützen die Forderung nach Verhandlungen, ebenso Die Linke Hamburg … Mittlerweile geht der Streik in die vierte Woche und die Geschäftsführung ist weiterhin zu keiner Verhandlung mit der Gewerkschaft bereit. Stattdessen berichten Beschäftigte weiterhin von Einschüchterung seitens der Geschäftsführung in Einzelgesprächen: „Wer in ein Mikro spricht, werde gleich zum Chef zitiert“, heißt es in einem Betrag des NDR dazu. Kein Wunder, dass sich auch einige Gewerkschaftsmitglieder in so einem Klima nicht am Streik beteiligen.

In der dritten Streikwoche wurde bekannt, dass der Geschäftsführer Dr. Dirk Albrecht mittlerweile auch bei den Besucher*innen des Tierparks, welche den Streik unterstützen, mit Einschüchterung und Sanktionierungen reagiert: „Mehrere Besucherinnen und Besucher sagten dem NDR, dass ihnen ein Hausverbot erteilt wurde“, heißt es in einem Radiobeitrag: „Die Betroffenen vermuten, der Grund sei, dass sie kritische Fragen an die Geschäftsleitung gestellt hätten“.

Der Geschäftsführer hat laut NDR einem Rentnerehepaar persönlich habe ihre noch gültigen Dauerkarten weggenommen: „Es hatte Albrecht zuvor auf den Streik der Tierpflegerinnen und Tierpfleger angesprochen“ …Die Gewerkschaft IG BAU besteht weiterhin auf der Forderung nach einem für alle Beschäftigten geltenden Rahmentarifvertrag und ist jederzeit zu Verhandlungen bereit.

Gegenüber dem Autor erklärte Ann-Christin Rath aus der Abteilung Presse und Marketing auf die Anfrage, wie der Tierpark Hagenbeck zum Streik und den Forderungen der IG BAU steht: „Der Tierpark gibt hierzu keine Kommentierung ab“.