Politische Berichte Nr.05/2023 (PDF)21
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

„Wir waren Sklaven“

Die Weigerung Deutschlands, die italienischen Militärgefangenen zu entschädigen, ist skandalös

Jan Krüger, AK Distomo, Foto: Christiane Schneider, Hamburg

Im Juli 2023 hat die juristische Auseinandersetzung der Entschädigungsfrage für die Italienischen Militärinternierten – IMIs – vor dem italienischen Verfassungsgericht ein bitteres Ende gefunden. Es werden zwar Ansprüche italienischer Opfer von deutschen NS-Verbrechen ausgezahlt – endlich, mit fast 80-jähriger Verspätung, allerdings nicht von dem deutschen, sondern von dem italienischen Staat. Der Nachfolgestaat Nazideutschlands hat sich in einem über 20 Jahre dauernden Rechtsstreit durchgesetzt und wieder einmal die Verantwortung für NS-Verbrechen verweigert und deren Opfer düpiert.

Als Folge der Entschädigungsklagen gegen Deutschland legt Italien einen Fonds auf, aus dem in den nächsten 3 Jahren ca. 60 Millionen Euro an italienische NS-Opfer ausgezahlt werden sollen, die bis zu einem festgesetzten Stichtag Klagen gegen Deutschland eingereicht haben. Es ist ein Skandal, dass nicht der Nachfolgestaat des NS-Staats, der für die Verbrechen verantwortlich ist, in den Fonds einzahlt, sondern ausschließlich der Staat der Opfer die Gelder aufzubringen hat.

Zudem werden 60 Millionen Euro bei weitem nicht ausreichen. Die Zeitung „La Stampa“ vom 5.7.2023 berichtet von insgesamt 780 Fällen mit einem Anspruchsvolumen von ca. 800 Millionen Euro.

Bezeichnend dabei, dass die Auszahlungen von einer rechtsextremen Regierung Italiens vollzogen werden, während eine deutsche grün-sozialliberale Regierung eine Entschädigungszahlung verweigert.

Die Verweigerung einer angemessenen Entschädigung aller Opfer der NS-Verbrechen ist ein Kontinuum der deutschen Außenpolitik seit dem Bestehen der BRD, denn die Auseinandersetzungen um Reparationen und individuelle Entschädigungen begannen schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine besondere Bedeutung besaßen dabei die italienischen Militärinternierten.

Als ehemalige Verbündete wurden die italienischen Militärinternierten als sogenannte „Verräter“ stigmatisiert und waren deshalb besonders schweren Drangsalierungen und Gewalt ausgesetzt. Zwischen September 1943 und Mai 1945 starben mehr als 50 000 italienische Militärangehörige. Sie wurden direkt nach der Gefangennahme von deutschen Truppen ermordet, starben beim Abtransport in die Lager oder infolge der menschenunwürdigen Bedingungen ihrer zwanzigmonatigen Gefangenschaft. Insgesamt wurden 650 000 Italiener als Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft eingesetzt.

Nach Kriegsende zahlte Deutschland an Italien nur Minimalbeträge als Entschädigungsleistungen. Im Rahmen eines „Globalabkommens“ wurden 1961 40 Millionen Deutsche Mark an den italienischen Staat gezahlt, allerdings wurden dabei nur die Insassen von Konzentrationslagern berücksichtigt. Opfer von Massakern und Zwangsarbeiter gingen leer aus.

Für ihre Opfer und ihr Leid wurden die italienischen Militärinternierten nie entschädigt, ihre Arbeitsleistung wurde nie entlohnt. Erst 1990 mit der Wende konnten Entschädigungsansprüche überhaupt geltend gemacht werden. Im Kalten Krieg sollte Deutschland nicht durch Reparations- und Entschädigungszahlungen belastet werden. Es dauerte noch weitere 10 Jahre, bis im August 2000 unter massivem Druck durch Verbände und Regierungsvertreter der USA ein Fonds aufgelegt wurde, der die Zwangsarbeiter des NS-Staats entschädigen sollte. Auch in Italien machten sich die ehemaligen italienischen Militärinternierten Hoffnungen. Ca. 130 000 Anträge wurden gestellt. Ein deutliches Zeichen dafür, wie präsent die NS-Verbrechen im Jahre 2000 waren und auch heute noch sind.

Der Fonds wurde von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – kurz EVZ – verwaltet, die zu diesem Zwecke gegründet wurde. Doch die Stiftung schloss die italienischen Militärinternierten aus und verweigerte ihnen somit selbst eine kleine Entschädigung. Und das mit einer hanebüchenen Begründung, die es in sich hat.

Eine Entschädigung aus dem Fonds wurde ihnen verweigert da sie „normale“ Kriegsgefangene waren, die nicht entschädigungsberechtigt sind. Die Nazis hatten sie allerdings 1943 zu Zivilisten, zu sogenannten Militärinternierten, erklärt. Als Zivilisten wären sie damit berechtigt gewesen, Gelder aus dem Zwangsarbeiterfonds zu erhalten. Im Jahre 2000 behauptet die Bundesregierung jedoch, dass die Nazis damals im Jahre 1943 illegal gehandelt haben und die italienischen Zwangsarbeiter somit doch Kriegsgefangene waren. Und ihnen somit keine Entschädigung zusteht.

Serafino Gesparino, der als IMI in Deutschland Zwangsarbeit leisten musste, erklärte am 25. Juni 2002 dazu:

„Die deutsche Entscheidung halte ich für skandalös. Wenn sie uns als Kriegsgefangene behandelt hätten, dann wäre ja alles okay gewesen. Aber sie haben uns nicht als Kriegsgefangene behandelt. Wir waren Sklaven. Daher ist das deutsche Rechtsgutachten, wonach wir keine Zwangsarbeiter waren, nicht korrekt.“

Den Opfern der NS-Verbrechen blieb nach dieser demütigenden Zurückweisung nur die Möglichkeit, Klagen vor italienischen Gerichten einzureichen. In diesen Prozessen wurde Deutschland zu Entschädigungszahlungen verpflichtet, die Urteile wurden von dem höchsten italienischen Gericht, dem Kassationshof in Rom, bestätigt.

Mit der Entscheidung vom Juli 2023 werden minimale Zahlungen erfolgen, die einer angemessenen Entschädigung nicht entsprechen, allerdings von dem italienischen Staat und nur an diejenigen, die eine Klage gegen Deutschland eingereicht haben. Die Anträge waren zudem an eine kurze Frist gebunden.

Die meisten IMI haben nach der Abweisung ihrer Anträge bei dem Zwangsarbeiterfonds der EVZ im Jahre 2000 enttäuscht aufgegeben und keine Klage eingereicht. Von den 130 000 Antragsstellern aus dem Jahre 2000 wird also nur ein minimaler Teil eine Zahlung erhalten. Wir fordern, dass alle IMIs entschädigt werden und das mit Geldern des deutschen Staats!

Quelle: Kundgebung vor dem Hafenamt, Redebeitrag 8. September 2023 von Jan Krüger, AK Distomo

Abb. (PDF): Hamburg. Aus Anlass des 80. Jahrestags der Verkündung des Waffenstillstands Italiens mit den Alliierten am 8. September 1943 organisierte die IMI-Projektgruppe verschiedene Veranstaltungen. 600 000 italienische Soldaten wurden, weil sie die Kollaboration mit Nazi-Deutschland verweigerten, zu rechtlosen Militärinternierten. In Hamburg wurden 15 000 als Zwangsarbeiter in über 600 privaten und städtischen Unternehmen eingesetzt. Auf einer Kundgebung vor dem früheren Hafenamt sprachen auch zwei Angehörige, Gianni Ruga (Mitte), der u.a. aus dem ins Deutsche übersetzte Tagebuch seines Vaters las, und Maria Grazia Alemanno (rechts), die ihrem Vater für sein „Nein“ zur Kollaboration dankte.

Kundgebungsrede von Jan Krüger, AK Distomo*, Foto Christiane Schneider, Hamburg