Politische Berichte Nr.05/2023 (PDF)22
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Reichsbürger – eine wachsende Gefahr

Sommer 2023 – drei Schlaglichter auf die Reichsbürgerszene

Christiane Schneider, Hamburg.

In Koblenz stehen seit dem 17. Mai fünf sogenannte Reichsbürger vor Gericht, Mitglieder der Gruppe „Vereinte Patrioten“, angeklagt wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung, der geplanten Entführung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach und Vorbereitungen zu Angriffen auf die Stromversorgung. Dadurch sollte eine Situation der Gewalt geschaffen werden, die einen Umsturz ermöglichte. Zu den politischen Zielen der Gruppe gehört die „Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches“. Als Kopf der Gruppe gilt eine Theologin und Lehrerin aus Rheinland-Pfalz.

Im August veröffentlichte das Justizministerium neue Zahlen über die bei der Gruppe „Patriotische Union“ rund um den Frankfurter Geschäftsmann „Prinz“ Reuß beschlagnahmten Waffen. Demnach wurden bis dato 362 Schusswaffen sichergestellt, 347 Hieb- und Stichwaffen, 17 Sprengmittel, 148761 Munitionsteile. Damit kann man ein Blutbad anrichten. Im Dezember waren zudem „Feindeslisten“, 422846 Euro und 50 kg Gold und Edelmetalle beschlagnahmt worden. Inzwischen wird gegen 69 Beschuldigte ermittelt, darunter eine Berliner Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, aktive und ehemalige Berufssoldaten und Polizisten, ein CDU-Ex-Stadtrat, Verdächtige mit Verbindungen zur AfD und zur rechtsesoterischen Partei „Die Basis“, ziemlich viel gutsituiertes Bürgertum. Die Gruppe hatte sich über verschiedene Kanäle um Kontakte zu russischen Regierungsstellen zwecks Unterstützung bemüht. Mitte Juli ordnete der Bundesgerichtshof für 22 der Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung Beschuldigte die Fortsetzung der U-Haft an. Begründet wird die Verlängerung mit dem Verdacht eines „hochverräterischen Unternehmens“. Ziel der Vereinigung sei es, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland insbesondere durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten zu überwinden sowie durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Man habe die „Machtergreifung durch ein deutschlandweites Netz von sogenannten Heimatschutzkompanien absichern“ wollen. Der „engste Führungszirkel“ habe „das gewaltsame Eindringen einer bewaffneten Gruppe von bis zu 16 Personen vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr oder anderer militärischer oder polizeilicher Spezialeinheiten in das Reichstagsgebäude“ geplant. Einige Mitglieder seien „diesbezüglich schon in konkrete Vorbereitungshandlungen eingetreten“. (1)

Am 19. August versammelten sich rund 700 Reichsbürger aus dem ganzen Bundesgebiet in Magdeburg. Den Auftakt beim Aufmarsch bildeten 26 Fahnenträger, die die 26 Länder des Reichsgebiets von 1871 einschließlich des annektierte Elsass-Lothringen repräsentieren sollten. Zwar wurde die Versammlung vielfach belächelt. Aber es handelte sich tatsächlich um den größten Reichsbürgeraufmarsch seit Jahren. Die Reden waren nach den Berichten kritischer Beobachter geprägt durch Geschichtsrevisionismus, Verschwörungserzählungen, Holocaustrelativierung, Antisemitismus, Rassismus; sie bildeten, wie der Magdeburger Rechtsextremismusexperte David Begrich auf Twitter schrieb, eine Brücke zur Legitimation und Fantasien vom Sturz der Demokratie.

Antimoderne Weltbilder und rechte Umsturzfantasien

Der Verfassungsschutz geht für 2022 von 23 000 Reichsbürgern aus. Andere wie die Publizistin Katharina Nocum halten die Zahl für noch wesentlich höher. Die Szene ist heterogen. Es gibt sogenannte „Souveränisten“, darunter viele Einzelpersonen, die beanspruchen, per Erklärung aus der Bundesrepublik austreten zu können und ihren Gesetzen nicht mehr unterworfen zu sein. Ihr Einzelgängertum macht sie nicht ungefährlich, wie u.a. der Mord an einem Polizisten im bayerischen Georgensgmünd 2016 zeigte. (2) Es gibt organisierte Gruppen unterschiedlicher Größe und Bedeutung, die glauben, „dass die Bundesregierung kein legitimer Staat sei, und (… sich daher als berechtigt (betrachten), sich unter Selbstverwaltung zu stellen. Sie rufen teilweise eigene Staaten aus, stiften Königreiche, Fürstentümer oder ähnliches und erklären sich selbst zu deren Souveränen.“ (3) Sie verschicken unzählige Beschwerdeschreiben an die kommunalen Verwaltungen, bedrohen Verwaltungsangestellte, bestreiten die Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden …Zu den größten dieser Organisationen gehört das „Königreich Deutschland“ mit „König Peter“ an der Spitze und tausenden Anhängern. Es versteht sich als „Neuanfang des deutschen Staates“, als „Gemeinwohl-Staat“ mit eigener „Verfassung“, kauft Grundstücke und große Immobilien, errichtet sogenannte „Gemeinwohl“-Dörfer, baut eine eigene „Verwaltung“ auf, stellt „Personalpapiere“ aus, gibt eine eigene „Währung“ raus, unterhält eine eigene „Bank“ usw. Derzeit betreibt das „Königreich“, das gute Kontakte in die Querdenkerszene unterhält, auch den extrem rechten „Freien Sachsen“ Kooperation anbietet und Russland Avancen macht, die Expansion von Ost- nach Norddeutschland. Der Weg zu Gewalt ist potenziell auch bei solchen Gruppierungen nicht weit. Die Welt da draußen ist „Feindesland“ und sie wähnen sich in der Selbstverteidigung. So sieht das „Königreich“ in seiner „Verfassung“ eine „Verteidigungsarmee“ vor.

Zusammengehalten wird die Szene der Souveränisten und Reichsbürger durch ein autoritäres, antimodernes, weithin antisemitisches Weltbild und Verschwörungserzählungen. Durch das verschwörungsideologische Protestmilieu, das sich im Zuge der Corona-Pandemie herausbildete, erhielt sie einen größeren Resonanzboden und trug ihrerseits zur Radikalisierung des Milieus bei. Zudem eint sie die Auffassung, dass die Bundesrepublik verfassungsrechtlich illegal und de jure nicht existent sei. (4) Das ist der Nährboden für Umsturzpläne und Gewalt. Die Reichsbürgerszene geht vom Fortbestand des Deutschen Reiches aus, und ihr harter Kern erhebt damit den Anspruch seiner Wiederherstellung in den Grenzen von 1871 oder 1939.

Gewaltfaktor „Reichsidee“

David Begrich und Andreas Speit untersuchten vor einigen Jahren (5) die bis ins 19. Jh. zurückreichende unheilvolle Tradition der „Reichsidee“, die „das Reich nicht nur geografisch (…, sondern auch ideologisch“ versteht, als antimodernen Zufluchtsort der völkisch definierten „Deutschen“. Nach 1945 erhob die faschistische Sozialistische Reichspartei „Anspruch auf die Gesamtheit des Reichsraumes“. Nach ihrem Verbot 1952 blieb die Reichsidee in weiten Teilen der (neo)nazistischen Szene präsent, in den 1980er Jahren etwa bei Manfred Roeder und seinen terroristischen „Deutschen Aktionsgruppen“, später u.a. in der „Europäischen Allianz“ und der Szene von NPD, Die Rechte und Der III. Weg, bei den Freien Kameradschaften und den Autonomen Nationalisten. Unter denen, die die „Reichsidee“ in den 1990er Jahren neu belebten, sind vor allem die von links nach weit rechts gewanderten Oberlercher und Mahler zu nennen, die rund um das „Deutsche Kolleg“ ein Reichsbürger-Netzwerk strickten. 2016 schrieb Oberlercher: Der „Reichsdeutsche hat den ganzen deutschen Staat in sich, er ist souverän, er darf jede andere Staatsgewalt überwältigen oder notfalls vernichten.“ (6) In diesem einen Satz wird eine Drohung gegen die staatlichen Strukturen der Bundesrepublik, die Demokratie, das interkulturelle Zusammenleben und Nachbarstaaten, v.a. Polen, formuliert.

Die Szene wächst, sie verfügt über Mengen von Waffen, legalen und illegalen, und sie hat in nennenswertem Umfang Schnittmengen mit der Neonaziszene, dem verschwörungsideologischen Milieu und auch der AfD. Das BfV sieht in seinem letzten Bericht nur einen „geringen Teil“ der Szene, der „dem Rechtsextremismus zuzurechnen“ sei. In den Polizeistatistiken werden politisch motivierte Straftaten u.a. von Reichsbürgern/Souveränisten in der Kategorie „nicht zuzuordnen“ gelistet. Das verharmlost die von der Reichsbürger- und der gesamten extrem rechten Szene ausgehende Gefahr.

1 https://juristi.club/juristikon/entry/9367-ak-21-28-23-ak-34-47-23-bgh-ordnet-fortdauer-der-untersuchungshaft-gegen-beschul/ 2 Erst nach dieser blutigen Tat nahmen die Sicherheitsbehörden die Reichsbürgerszene überhaupt in den Blick- 3 Amadeo Antonio Stiftung, Reichsbürger und Souveränisten, 2018, S. 8 4 Ausführlich dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbürgerbewegung 5 Andreas Speit (Hg.), Reichsbürger, Die unterschätzte Gefahr, Berlin 2017 6 Zitiert nach Speit, a.a.O., S. 32. Abb: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d5/Deutsches_Reich_%281871-1918%29-de.svg

Abb. (PDF): Karte Deutschland in den Grenzen von 1871 bis zum Ende des Kaiserreichs. Dieses Deutschland betrachten die Reichsbürger als das einzig wahre.