Politische Berichte Nr.06/2023 (PDF)22
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

dok Rechte Kräfte in der EU Red. Michael Juretzek, Bremen

01 Rechtsrutsch bei Wahlen niederlande
02 PiS abgewählt – Opposition vereinbart Koalition polen
03 Nationalistische SNS im Regierungsbündnis slowakei
04 Gefährliche Verfassungsreform geplant
05 EU-Wahl: Keine gemeinsame Kandidatur italien

01

Rechtsrutsch bei Wahlen

niederlande Das bisherige liberalkonservative Regierungsbündnis unter Führung von Ruttes VVD verliert bei den Parlamentswahlen am 22. November 23 %. Wilders PVV legt 12,5 % zu und wird mit 23,6 % stärkste Partei.

Die erst im August gegründete NSC (Neuer Gesellschaftsvertrag) erreicht 12,8 %. Im Programm der PVV steht der Austritt aus der EU. Im Manifest der NSC heißt es: „Wir treten nicht für eine ‚immer enger verbundene Union‘ ein. Innerhalb Europas treten wir für eine feste Position der Niederlande ein, konstruktiv, aber realistisch, ohne schleichende Übertragungen von Aufgaben, Befugnissen und Budgets, die die nationale Souveränität aushöhlen“. Sie fordert einen „moderaten“ EU-Haushalt und ist gegen die für 2027 geplante Erhöhung der nationalen Beiträge. Bei Ablehnung bestimmter EU-Gesetzesvorschläge strebt sie eine Sperrminorität mit gleichgesinnten Mitgliedern an.

Die Bauern-Bürger-Bewegung BBB verfünffachte mit 4,7 % ihr Ergebnis von 2021. Sie kündigte während des Wahlkampfes an, aus der Migrations- und Umweltpolitik der EU auszusteigen.

„De Volkskrant“ schreibt in ihrem Liveblog am 23. November über mögliche Koalitionen: „Nun, da die Ergebnisse fast vollständig sind, beginnt das Rätselraten um mögliche Koalitionen. Die offensichtlichste ist die von PVV, VVD und NSC. Diese Parteien kommen zusammen auf eine Mehrheit von 81 Sitzen in der Zweiten Kammer.“

Zu einer möglichen Zusammenarbeit mit Wilders PVV, die den Koran verbieten und Moscheen schließen will, äußerte der NSC-Vorsitzende, dass ihm sein Eid auf die Verfassung sehr wichtig ist, einschließlich der Religionsfreiheit.

Am 24. November gab die VVD (- 6,6 %) bekannt, dass sie nicht wieder an einer Regierung teilnehmen werde. Noch am Wahlabend fanden in verschiedenen Städten Protestversammlungen gegen die PVV-Positionen statt. Weitere unter dem Motto „Für den Rechtsstaat – die Niederlande für alle“ sind geplant.

02

PiS abgewählt – Opposition vereinbart Koalition

polen Tusks Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO) kommt zusammen mit Dritter Weg und Neuer Linker mit 248 von 460 Sitzen zu einer Parlamentsmehrheit.

Die regierende PiS mit 36,8 % verliert 6,8 %.

Die Wahlbeteiligung erreichte am 15. Oktober mit 74,4 % einen Rekordwert seit 1989 und lag um fast 13 % über der letzten Parlamentswahl.

Bei den jungen Wählern (18 bis 29 Jahre) verdoppelte sich die Wahlbeteiligung und war auch überdurchschnittlich hoch bei Frauen und in den Großstädten. „Die Wahl wurde für die PiS also in den Städten und durch eine zu geringe Mobilisierung der eigenen Wähler verloren“ schreiben die „laender-analysen.de/polen“ am 24. Oktober.

„Polen … hat gezeigt, dass Nationalismus und Populismus, die auf Rückständigkeit, Hass und Fanatismus setzen, in Wahlen besiegt werden können, selbst in ungerechten Wahlen“, kommentiert die linksliberale Zeitung „Gazeta Wyborcza“ in einem ersten Kommentar. Die souveränistische Rechte in der EU hat eine empfindliche Niederlage erlitten.

Obwohl Präsident Duda die PiS mit der Regierungsbildung beauftragte, präsentierten die Wahlsieger am 10. November ihre Koalitionsvereinbarungen. „Gazeta Wyborcza“ berichtet am 24. November, dass sich die zur Regierungskoalition unter Tusk bereiten Parteien über die Verteilung der Ministerien geeinigt haben.

Innen- und Justizministerium sind gegenwärtig wohl dabei, mit kurzfristig georderten Aktenschreddern die Aufarbeitung der Praktiken der PiS-Regierung zu erschweren. Das neu gewählte Parlament hatte die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen angekündigt, um undurchsichtige Auftragsvergaben, Immobilienkäufe und Spähprogramme gegen Oppositionelle zu durchleuchten.

03

Nationalistische SNS im Regierungsbündnis

slowakei Mit 23 % ist Smer, Richtung – Soziale Demokratie, stärkste Kraft bei den vorgezogenen Parlamentswahlen Ende September. Zusammen mit Hlas, Stimme – Soziale Demokratie, und der nationalistischen SNS, Slowakische Nationalpartei, stellt ihr Regierungsbündnis 79 der 150 Abgeordneten. Einig waren sie sich in der Ablösung des Polizeipräsidenten, der zuletzt gegen hochrangige Funktionsträger im Sicherheitsapparat vorgegangen war. Im Regierungsprogramm wird die im EU-Migrationspakt vorgesehene Zahlung für jeden nicht aufgenommenen Flüchtling als „Strafzahlung“ abgelehnt. Ob die Regierung die von Smer angekündigte Einstellung der Waffenhilfe für die Ukraine realisiert, ist offen. Außenminister Blanar forderte zunächst eine Folgenabschätzung des 12. EU-Sanktionspaketes gegen Russland. Die Sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament beschloss, die Mitgliedschaft von Smer und Hlas ruhen zu lassen, da ihre Regierungsvereinbarung „sich nicht mit den progressiven Werten und Grundsätzen der europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten in Einklang bringen“ lasse.

(Quellen: FAZ, EURACTIV, socialistanddemocrats.eu)

04

Gefährliche Verfassungsreform geplant

italien Am 3. November hat das Kabinett einen Gesetzentwurf zur Reform des politischen Systems beschlossen, den Ministerpräsidentin Meloni zu den wichtigsten Vorhaben ihrer Regierungszeit zählt. Hauptbestandteil ist die Direktwahl des Ministerpräsidenten durch das Volk für fünf Jahre. Um der Regierung mehr Stabilität zu bieten, soll der Wahlsieger bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl durch Bonusmandate mindestens 55% der Abgeordnetensitze erhalten. Was als „Legitimation durch den Wählerwillen“ bezeichnet wird, ist das genaue Gegenteil. Das grundlegende Prinzip ein Wähler – eine Stimme wäre damit außer Kraft gesetzt. Die zu den 55 % fehlenden Stimmen würden zugunsten des Kandidaten entwertet, der von diesen Wählern eben nicht gewählt wurde, und ihn aus einer Minderheitenposition in eine Mehrheitsposition bringen. Weiterhin sieht der Entwurf vor, dass bei einer verlorenen Vertrauensabstimmung nicht mehr der Staatspräsident eine Person seiner Wahl mit der Regierungsbildung beauftragt, sondern der zuvor gescheiterte Regierungschef. Der Verfassungsrechtler Francesco Palermo auf raisudtirol.rai.it am 4. November: „Die Direktwahl des Ministerpräsidenten wäre ein Unikum … Der aktuelle Vorschlag ist wenig zielführend.“ Ohne Zweidrittelmehrheit im Parlament müsste eine Volksabstimmung stattfinden.

Man kann nur hoffen, dass die bisher in der EU als überraschend moderat wahrgenommene Regierungschefin Meloni mit diesem Vorhaben mehr kritische Aufmerksamkeit erntet.

05

EU-Wahl: Keine gemeinsame Kandidatur

italien „Mit Lega und Forza Italia haben wir ein starkes und stabiles Regierungsbündnis, aber bei den Europawahlen wird jeder mit seiner eigenen Liste antreten“, gab der Europaabgeordnete Fidanza (Fratelli d’Italia) Anfang November bekannt.

Die Parteien sollten „mit ihren Identitäten und Besonderheiten, die sie eifrig hüten“, unterscheidbar sein. Die Lega hatte ein gemeinsames Vorgehen ins Gespräch gebracht, um „die Mehrheitsverhältnisse in Europa zu ändern“.

(www.euraktiv.de 1.11.2023)