Politische Berichte Nr.01/2024 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Spanien: Etappensieg der Konservativen gegen das Amnestiegesetz

Claus Seitz, San Sebastián

01 Podemos: Auf zum letzten Gefecht!
02 Der Oberste Gerichtshof hat ein Problem, nicht PSOE / Junts
03 Zitate zu Podemos

Warum lehnte die katalonische Partei Junts am 30. Januar im Parlament den Gesetzestext für eine Amnestie ab, dem sie eine Woche zuvor im Rechtsausschuss noch zugestimmt hatte?

„Niemals wäre der Meinungswandel von Junts erfolgt ohne die frenetische Folge von Entscheidungen von Seiten des Richters der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) Manuel Castellón … Niemals hätten wir uns vorgestellt, dass ein Richter den Werdegang eines Gesetzes so weit torpedieren könnte, dass es zu Fall kommt.“ 1

Der Tatbestand Terrorismus wurde im Gesetzestext bewusst von der Amnestie ausgenommen. Im November erweckte Richter Castellón den Fall „Protestbewegung Tsunami“ zu neuem Leben und forderte, ohne dafür neue Belege vorzulegen, Puigdemont und die Generalsekretärin des ERC, Martina Rovira, des Terrorismus anzuklagen. Regierung und Junts nahmen daraufhin am 23.1. des Terrorismus Beschuldigte, „die keine schweren Verstöße gegen die Menschenrechte“ begangen hätten, in die Amnestie auf. Drei Tage später verkündete Castellón, die Anschuldigungen gegen Puigdemont würden „schwerwiegende Verstöße gegen die Menschenrechte“ beinhalten. Am Tag vor der Abstimmung im Parlament verlängerte er die Untersuchung um weitere sechs Monate, um die Amnestie für Puigdemont erst einmal ins Leere laufen zu lassen. „Niemals hat man einen Richter erlebt, der so offen als ein weiterer Protagonist im politischen Spiel agiert. Ohne einen Sitz im Parlament zu haben, interveniert er direkt im Gesetzesprozess … Die PP ist begeistert von seinen Entscheidungen. Castellón ist, in dem was wirklich wichtig ist, effizienter als die PP-Führung.“ 2

Parallel ließ Richter Joaquín Aguirre den Fall „Russland-Connection“ auf magische Weise wieder auferstehen mit dem Ziel, Puigdemont „Hochverrat“ anzuhängen. 2 Auch er verlängerte die Untersuchungen um sechs Monate.

Bei Junts läuteten alle Alarmglocken, bis dahin, dass Panik ausbrach. Man befürchtete, dass nicht nur Puigdemont und die etwa achtzig von Castellón des Terrorismus Beschuldigten aus der Amnestie fallen könnten, sondern auch eine noch unbestimmt lange Liste mit des Hochverrats Beschuldigter. Die Rechtsberater von Junts kamen zum Schluss, dass aus den Ausnahmen im Gesetzestext jeder Hinweis auf Terrorismus etc. eliminiert werden sollte.

Der Abgeordnete Ruben Wagensberg der katalanischen ERC-Partei reiste nach der Ankündigung Castellóns, ihn im Fall Tsunami-Bewegung anklagen zu wollen, in die Schweiz, um sich dort juristisch beraten zu lassen. „Ich bekomme Panik, wenn ich an die Rückkehr nach Katalonien denke“, erklärte er dort. Bezüglich der Parlamentsabstimmung meinte er: „Wir haben so gehandelt, wie die Richter es wollten. Man hat das Gesetz zu Fall gebracht, und die Richter mussten es nicht einmal selbst machen“.

Die Sozialisten (PSOE) und die ERC beharren gegenüber Junts darauf, dass es unmöglich sei, jeder Aktion von Seiten der Richter hinterherzulaufen. Weitere Gesetzesänderungen erhöhten das Risiko, dass es rechtlich angreifbar würde. Die nicht zu rechtfertigenden Exzesse der Richter würden in den höheren Instanzen ins Leere laufen, so wie Castellón in anderen Fällen, z.B. gegen Podemos, scheiterte.

Pedro Sanchez am 1. Februar: Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist nicht terroristisch, und die Gerichte werden es so beschließen. Auf Basis des vorliegenden Gesetzestextes werden alle Betroffenen amnestiert werden.

Innerhalb von zwei Monaten müssen Sichtweisen und Rechtsinterpretationen in Einklang gebracht werden, um das Gesetz zu retten.

(1) https://elpais.com/espana/2024-01-31/la-legislatura-pende-de-un-hilo.html

(2) https://www.eldiario.es/politica/jueces-demuestran-no-necesitas-escano-protagonista-politica_129_10876033.html

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Podemos: Auf zum letzten Gefecht!

Bei den Wahlen im Mai verlor Podemos die Beteiligung an fünf regionalen Regierungen, jegliche Repräsentanz in den Regionalparlamenten von Madrid, Valencia und den Kanarischen Inseln, sowie in den Stadträten von Madrid und Valencia. In der Folge musste Podemos ca. 80 % ihres Personals entlassen. Angesichts düsterster Aussichten für eine eigenständige Kandidatur bei den Parlamentswahlen willigte Podemos ein, sich in das links-grüne Wahlbündnis Sumar einzufügen und eine „bescheidene Rolle“ einzunehmen. In Sumar integriert gelangten fünf Vertreter von Podemos ins Parlament.

Die Bescheidenheit war von kurzer Dauer. Anfang Dezember traten die fünf Podemos-Abgeordneten aus der Sumar-Fraktion aus, angeblich weil Sumar abgelehnt hatte, Irene Montero (Podemos) wieder als Gleichstellungsministerin einzusetzen. Es waren gerade die Weigerung Monteros, Fehler einzugestehen und dafür Verantwortung zu übernehmen, und die offensichtlich gewordene Kluft zwischen populistischem Anspruch und mangelnder Regierungskompetenz wesentlich dafür, dass sich viele Wähler von Podemos abgewandt hatten.

Pablo Iglesias dagegen: „Podemos hat mehr Mitglieder als jede andere linke Kraft. Wir haben die besten Mitglieder und die besten Leute auf verantwortlichen Positionen auf zentraler Ebene. Unser Projekt macht heute mehr Sinn als jemals zuvor. Wir sind entschlossen, uns zu erheben und den Bürgern ein übergreifendes politisches Projekt vorzuschlagen, das die Beschränkungen von PSOE und der Sozialdemokratie nicht akzeptiert. Ich glaube, dass immer mehr Leuten klar wird, dass dies unverzichtbar ist. Podemos wird für viele Jahre der fundamentale, ideologische Akteur der spanischen Linken sein.“

Die delikaten Mehrheitsverhältnisse im Parlament nutzen, um Podemos gegenüber Sumar als die wahre Linke zu profilieren und sich bei den Europawahlen mit der Spitzenkandidatin Irene Montero in die Schlacht zu werfen, so das naive Kalkül der Podemos-Spitze.

Seit dem Austritt aus der Sumar-Fraktion reißen die Parteiaustritte nicht ab. Fast die gesamte regionale Führungsstruktur in Madrid ist weggebrochen.

Am 24.1. gab Iglesias dem Mitbegründer von Podemos, Juan Carlos Monedero, im „Canal Red“ (TV-Kanal in Madrid) den Hut, nachdem er es gewagt hatte, Kritik zu äußern. Iglesias führt die Partei nach seinem Rücktritt von allen Regierungs- und Parteiämtern seit März 2023 faktisch über den Canal Red. Monedero war bis 2023 Direktor der Podemos-Stiftung und rechte Hand von Iglesias bei diversen Säuberungsaktionen.

Am 26.1. erklärte Lilith Verstrynge, Organisationssekretärin von Podemos, Nr. 3 der Partei, eine der fünf Abgeordneten, den Rücktritt von allen Parteiämtern und gab ihr Mandat an Sumar zurück. Am 30.1. machte Jaume Asens, Unidos Podemos-Fraktionssprecher im letzten Parlament, seinen Austritt publik.

Der letzte Akt des Selbstzerstörungsprozesses von Podemos ist eingeleitet.

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Der Oberste Gerichtshof hat ein Problem, nicht PSOE / Junts

„Die Wahrscheinlichkeit, dass der Oberste Gerichtshof (TS) die Meinung von García Castellón übernimmt, ist praktisch gleich null. Puigdemont ist Mitglied des Europaparlaments und der TS müsste sich an dieses wenden und fordern, dass es seine Immunität aufhebt. Gibt es jemanden, der glaubt, der TS würde es wagen, die Aufhebung der Immunität von Puigdemont zu fordern, um ihm wegen Terrorismus den Prozess zu machen? Wäre der 2. Senat bereit, sein professionelles Prestige zu riskieren und sich mit diesem Antrag zum Witzbold von ganz Europa zu machen? Castellón und Aguirre können den Clown spielen, weil sie nicht richten müssen, sie müssen den Fall nur an den TS übermitteln. … Die spanische Justiz kann nichts machen gegen das Amnestiegesetz, außer das Verfassungsgericht würde es als verfassungswidrig erklären.“ (Javier Pérez Royo, Professor für Verfassungsrecht)

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Zitate zu Podemos

„Auf der Suche nach eigenem Profil bricht Podemos das Abkommen mit Sumar und maßt sich die Schlüssel-Position für die parlamentarische Mehrheit an“. (El País)

„Nicht anerkennen, dass es irgendeinen Grund geben muss, wenn Dir die Leute davonlaufen; auf einer unheilvollen politischen Kultur beharren, in der die Dissidenten von der Führung stigmatisiert werden und sich von der Partei abwenden; beharrlich auf dem Vorschlag Irene Montero bestehen, als ob es in Podemos keine anderen kompetenten Politiker gäbe.“ (Juan Carlos Monedero)

„Für Podemos ist das Schicksal besiegelt. Nicht einmal die Europawahlen im kommenden Juli werden ihr jetzt als Rettungsring dienen. Podemos kann der spanischen Linken enormen Schaden zufügen, aber sie kann sich kein positives Ergebnis mehr erwarten vom Austritt aus Sumar.“ (Javier Pérez Royo, elDiario.es)

„Podemos: Schnell leben, jung sterben und einen ‚schönen‘? Leichnam hinterlassen.“ (Isaac Rosa, elDiario.es)