Politische Berichte Nr.01/2024 (PDF)29
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Keine Bühne für Hamas-Verherrlichung!

„Wir müssen euch leider verkünden, dass die Soliparty mit Antirepressionszweck am 27.10.23 einseitig vom Centro Sociale abgesagt wurde“ verkündete am 24.10. das Offene Antifaschistische Treffen Hamburg, OAT: „Als Grund dafür führt das Centro Sociale palästinasolidarische Positionen innerhalb des Veranstaltungsbündnisses an“.

Gaston Kirsche, Hamburg

Das Centro Sociale ist ein selbstverwalteter Ort im Hamburger Karoviertel, „ein autonomer Nachbarschaftstreff, der 2008/09 von vielen Anwohner:innen erkämpft wurde“, wie es im Selbstverständnis heißt – ohne staatliche Förderung, Entscheidungen werden kollektiv getroffen.

„Die Entscheidung der Absage der Party wurde bei einem Plenum der Nutzer:innen getroffen, nicht von dem Centro als solches“, so Christian von der Internationalen Sozialistischen Organisation, ISO, Gruppe Hamburg im Gespräch mit dem Autor: „Das Centro versteht sich als Raum mehrerer Gruppen, Vorstand und Aufsichtsrat treffen keine solchen politischen Entscheidungen – in der Regel entscheidet die Raumgruppe, in besonderen Fällen dann mit Hilfe des Nutzer:innenplenums, wie in diesem Fall.“ Zu den Nutzer:innen gehören zum Beispiel Aufstehen gegen Rassismus Hamburg, die Bundeskoordination Internationalismus, BUKO, die interkulturelle Frauenorganisation mujeres sin fronteras oder die Rote Hilfe. Ein Ort für verschiedenste Linke, die unabhängig von Staat und Kapital einen Freiraum nutzen wollen. Und gemeinsam entscheiden, wie dies geschieht. Die unterschiedlichsten Veranstaltungen finden dort statt, Ströme von Matebrause flossen hier bei Solipartys.

Aber nicht bei der Antirepressionsparty des OAT, das in ihrer Erklärung die Raumabsage aufgeregt mit Verfolgung durch den Staat in eins setzte: „Diese Art und Weise, palästinasolidarischen Positionen die Plattform zu entziehen reiht sich ein, in die aktuell große Welle an staatlicher Repression gegen Palästinenser:innen, Araber:innen und Proteste in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung, welche wir zu tiefst verurteilen.“

Anfang Oktober wurde noch fleißig mobilisiert: „Wir – das Offene Antifa Treffen Hamburg, Young Struggle Hamburg und das Sanitätsnetzwerk – organisieren zusammen eine Anti-Repressions-Party.“ Die wurde ins Vorfeld einer Demonstration gegen staatliche Repression gelegt, die am 4. November stattfand – von einem wesentlich breiteren Bündnis getragen und ohne positive Bezugnahme auf das Oktoberpogrom der Hamas im israelischen Grenzgebiet. Eine solche hatte eine der drei Veranstaltergruppen der Antirepressionsparty aber am 10. Oktober veröffentlicht, Young Struggle, YS, unter dem Titel „Die Al-Aqsa Flut – Der Gefängnisausbruch des palästinensischen Volkes“.

Einige der im Centro aktiven Gruppen sind auch Mitglied im „Hamburger Bündnis gegen Rechts“, einem langjährigen Netzwerk von Sozialdemokrat:innen bis hin zu radikalen Linken, auf deren Mailinglist eine Kritik an Young Struggle erschien: „Schon der Titel übernimmt die religiöse Sprache der Hamas“, und: Der Text von Young Struggle enthalte „keine eindeutige Verurteilung der grausamen Massaker an der Zivilbevölkerung“. Leider sei es deshalb konsequent, „dass auch YS das Existenzrecht Israels ablehnt, wie auch eine Zwei-Staaten-Lösung und bis heute unter der Israel negierenden Parole ‚From the river to the sea, palestina must be free‘ mobilisiert“.

Die E-Mail hat jemand verfasst, der frühere eigene Positionen hinterfragt: „Ich war selbst bis 1991 PFLP-Sympathisant, wie damals viele radikale Linke. Diese hat leider schon lange marxistische und säkulare Positionen aufgegeben. Die PFLP lehnt das Existenzrecht Israels bis heute ab, boykottierte den Osloer-Friedensprozess, boykottiert eine Zusammenarbeit mit der Fatah und ähnlichen Kräften in Palästina, betreibt keine Klassenanalyse und entsprechende Politik mit der palästinensischen und israelischen Linken sondern präferiert stattdessen seit langer Zeit schon ein Bündnis mit islamistischen Kräften wie der Hamas sowie dem Islamischen Dschihad und bedient sich auch islamischer Symbolik.“ Außerdem „findet sich auf den unterschiedlichen Twitter- und Instagram-Accounts von YS bundesweit oder in Hamburg keine einzige Verurteilung des Massakers der Hamas und ihrer Verbündeten noch eine Solidaritätsbekundung mit der israelischen Zivilbevölkerung“. Diese E-Mail lag auf dem Nutzer:innenplenum vor und gab den Ausschlag zur Absage an OAT, YS und das Sanitätsnetzwerk.

Humanismus gibt es bei Young Struggle nur mit Einschränkungen: „Natürlich befürworten wir nicht die unnötige Ermordung von Zivilist:innen durch politisch-islamische Kräfte wie die Hamas und erst Recht keine patriarchalen Kriegspraktiken. Trotzdem ändert das nichts an der Legitimität des Befreiungsschlags.“ Über die brutal überfallenen Kibbuzim heißt es in dem Text, dass es sich bei den dort Massakrierten „nicht einfach um Zivilist:innen handelt. Sie sind der Stoßtrupp, der, in den meisten Fällen bewaffnet, von der IDF gedeckt die Kolonialisierung Palästinas vorantreibt. Jedes einzelne Kibbuz steht für ein zerstörtes palästinensisches Dorf und hunderte ermordete und vertriebene Palästinenser:innen.“ Auch für die gejagten, erniedrigten und ermordeten Besucher:innen des Musikfestivals fehlt jegliche Empathie: „Die Leute, die heute aufschreien und über die Brutalität der Hamas klagen, sollten sich fragen: Was ist das für ein Land, in dem mehrere Tausend Menschen eine Party feiern, während ein paar Kilometer weiter seit Jahren Raketen einschlagen und Menschen nicht wissen, wie lange sie überhaupt noch unter der Isolation überleben können?“

Das Nutzer:innenplenum entschied sich wegen dieses Textes für eine Absage der Raumnutzung: „Unsere Position war, dass der Beitrag von YS eine Verharmlosung des Massakers darstellt“, so Christian von der ISO: „Ohne eine klare Distanzierung von diesem Artikel dürfe eine Veranstaltung nicht stattfinden, auch wenn die Veranstaltung sich nicht mit dem Nahostkonflikt beschäftigt.“ Aber die wurde verweigert: Das OAT brachte eine allgemeine Erklärung gegen Antisemitismus und Rassismus, „nicht jedoch eine Distanzierung von dem Artikel, insbesondere der Verharmlosung des Massakers“, so Christian: „Dieses war der ausschlaggebende Punkt, warum die meisten Teilnehmenden des Plenums für eine Absage stimmten.“

Lediglich eine Gruppe votierte gegen die Absage und für die Party und hat auch anschließend diese Position über ihre Kanäle verbreitet: Die selbstredend in Großbuchstaben zu schreibende REVOLUTION, „eine internationale kommunistische Jugendorganisation“. Die erklärten auf ihrem X-Account: „Hiermit distanzieren wir uns von der Entscheidung des Centro Sociale, die Anti-Repressions-Soliparty abzusagen! Solidarität mit allen fortschrittlichen und palästinasolidarischen Gruppen, die Angriffen durch staatliche Repression, Rechte und Teile der linken Szene ausgesetzt sind!“ in einer längeren „Stellungnahme zur Absage des Centro Sociale: Gegen jegliche Repression wegen Palästina-Solidarität“ wird putzmunter Verfolgung durch den Staat mit Kritik und der Raumabsage verrührt und räsoniert: „Dem Staat und den Antideutschen ist es egal, wie ‚glaubhaft‘ sich Gruppen von der Hamas distanzieren. Das Problem liegt grundsätzlich in der Palästina-Solidarität“. Eine Auseinandersetzung mit der Begründung der Raumabsage ist dies nicht. „Die Veranstaltenden haben in ihren Netzwerken behauptet, die Absage sei erfolgt aufgrund der palästinasolidarischen Position, dies ist ausdrücklich falsch“ so Christian: „Es wurde explizit formuliert, dass es keine Entscheidung gegen palästinasolidarische Positionen sei, sondern lediglich gegen eine menschenverachtende Verleugnung von extremer Gewalt.“ Das Centro hat zum Nahostkonflikt keine einheitliche Meinung – es geht um die Ablehnung des Oktoberpogroms. „Dieses spiegelt sich auch darin wieder“, betont Christian von der ISO, „dass es im Centro Gruppen gibt mit unterschiedlichen Positionen sowohl in Bezug auf die Solidarität mit Palästina als auch insgesamt in Bezug auf den Nahostkonflikt“.

Beim Umgang mit der Verherrlichung misogyner, antisemitischer oder auch rassistischer Gewalt und Erniedrigung geht es nicht darum, den Nahostkonflikt zu lösen, sondern um Mindeststandards, gerade in selbstverwalteten Räumen und Strukturen von Linken, im Umgang miteinander. Darum, keine Erniedrigung und kein Foltern, Massakrieren, Vergewaltigen gutzuheißen. Und dafür zu sorgen, dass sich potenzielle Opfer, die als Angehörige von Minderheiten ge-othert, ge-andert werden, sicher fühlen in linken Freiräumen. Davor, dass ihre Unterdrückung, Verfolgung und Ausgrenzung nicht befürwortet, gar bejubelt wird. Und hier und jetzt, ganz konkret: Empathie für die Opfer des Oktoberpogroms, des größten Pogroms seit dem mühsam erkämpften Sieg über den deutschen Nationalsozialismus.

Abb. (PDF): Logo.Das Centro Sociale ist ein autonomer Nachbarschaftstreff, der 2008/2009 von vielen Anwohner_innen erkämpft wurde, um einen Gegenpunkt zur zunehmenden Kommerzialisierung des Viertels zu schaffen (s. Geschichte des Centros). All‘ die, die die Räume nutzen zum feiern, diskutieren, basteln, Theater spielen oder was auch immer – sie sind das Centro (…).

„Grundphilosophie“ des Centro Sociale:

• Das Centro Sociale verstehtsich als Kontrapunkt zur Gentrifizierung und versucht – trotz hoher monatlicher Miet- und Energiekosten – Freiräume für nichtkommerzielle Aktivitäten im Viertel zu halten.

• Das Centro Sociale ist genossenschaftlich organisiert und funktioniert in gemeinschaftlichem Engagement, ohne staatliche Unterstützung, selbstverwaltet und über unbezahlte Arbeit.

https://centro.wonkee.de/

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