Politische Berichte Nr.02/2024 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Spanien: Parlament beschließt Amnestiegesetz

Claus Seitz, San Sebastián

01 Sumar: Mehr als ein Wahlbündnis auf zentraler Ebene!?

Am 14. März. wurde das Amnestiegesetz im spanischen Kongress mit absoluter Mehrheit verabschiedet. Die Kompromissformel für die Einigung zwischen Regierung und den katalanischen Parteien Junts und ERC wurde darin gefunden, dass sich das Gesetz in der Definition terroristischer Straftaten, die von der Amnestie ausgenommen werden, jetzt nicht mehr auf das spanische Strafgesetzbuch bezieht, sondern auf die Europäische Konvention für Menschenrechte und bezüglich des Hochverrats auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen.

Terrorismus wird im spanischen Strafgesetzbuch seit einer Reform (2015), die sowohl Handlungen als auch Ziele ausweitete, sehr breit gefasst. Das Verbrennen eines Müll-Containers kann z.B. als Terrorismus aufgefasst werden, wenn es mit der Absicht begangen wird, den öffentlichen Frieden zu stören. Eine Demonstration, die zu schweren öffentlichen Unruhen führt, kann als terroristisch eingestuft werden.

In der EU-Richtlinie 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung heißt es dagegen, dass nur Handlungen gegen das Leben von Menschen – in einigen Fällen auch gegen die körperliche Unversehrtheit und Entführungen – Terrorismus sind und nur dann, wenn sie darauf abzielen, eine Situation des Terrors in der gesamten Gesellschaft zu schaffen.

Die Spur zu dieser Lösung hatte die Venedig-Kommission des Europarats gelegt. Die Kommission war vom spanischen Senat, in dem die PP seit den Regionalwahlen im Mai die absolute Mehrheit hält, um eine Stellungnahme zum Amnestiegesetz angefragt worden. Die Hoffnung der PP auf eine Verurteilung des Amnestiegesetzes durch die Venedig-Kommission erfüllte sich nicht, im Gegenteil stimmte die Kommission den wesentlichen Inhalten des Gesetzes mit dem Ziel „Versöhnung in Katalonien“ zu. Die Amnestie sei ein völlig demokratisches politisches Instrument, würde das Gleichheitsprinzip nicht verletzten, sei bereits in Dutzenden von Ländern benutzt worden, kein einziges europäisches Land würde sie ausdrücklich verbieten, überdies sei sie in zwölf Ländern angewandt worden, wo sie in der Verfassung nicht erwähnt würde, wie es in Spanien der Fall sei. Allerdings kritisierte die Kommission das „zu rasche Vorgehen“ und das Fehlen einer „qualitativen Mehrheit“ im Parlament.

„Die Kommission betont, dass die Grenzen des Völkerrechts sich auf schwere Menschenrechtsverletzungen beziehen, die nicht notwendigerweise mit schweren Verbrechen nach innerstaatlichem Recht identisch sind.“ In diesem Satz in der Stellungnahme der Kommission fanden die Verhandlungsführer von Regierung und katalanischen Parteien die Lösung: Terrorismus von der Amnestie ausschließen, aber die Definition dessen, was Terrorismus ist, an das Völkerrecht knüpfen, konkret auf die europäische Richtlinie, nicht auf das weit interpretierbare spanische Strafgesetzbuch.

Die PP kann im Senat die Inkraftsetzung des Gesetzes bis Ende Mai verzögern aber nicht verhindern. Gestützt auf Kräfte aus dem rechten Lager der Europäischen Volksparteien wie Manfred Weber und Monika Hohlmeier versucht sie das Amnestiegesetz in Europa politisch zu Fall bringen. Hohlmeier in einem Interview in El Mundo vom 16. März: „Ich fordere die EU-Kommission auf, die Amnestie nicht zu akzeptieren.“

Das letzte Wort werden wohl das spanische Verfassungsgericht und der Gerichtshof der EU haben.

Vorgezogene Neuwahlen in Katalonien am 12. Mai

Zur erhofften Stabilisierung der Linksregierung kam es trotz des Amnestiegesetzes nicht, weil gleichzeitig die katalanische ERC-Minderheitsregierung keine Mehrheit für den Haushalt 2024 erreichte und sich gezwungen sah, Neuwahlen für den 12. Mai auszurufen. In der Konsequenz wird das gesamte politische Tableau in Katalonien in Bewegung geraten. Davor finden am 21.4. im Baskenland Wahlen und danach am 9.6. die Europawahl statt. Allgemein wird von einer Standby-Situation der spanischen Politik bis Juni ausgegangen. Sanchez hat die Verhandlungen um den Staatshaushalt 2024 abgebrochen.

01

Sumar: Mehr als ein Wahlbündnis auf zentraler Ebene!?

Am 23. März fand in Madrid die Gründungsversammlung von Sumar als politische Organisation statt. Die Versammlung verabschiedete drei Gründungsdokumente und wählte eine Koordinationsgruppe mit Vertretern aller beteiligten Organisationen.

Der Prozess zur Neustrukturierung des links-grünen Lagers begann vor zwei Jahren. Ende Mai 2023 gelang es 15 Organisationen zu einem Wahlbündnis für die vorgezogenen Parlamentswahlen unter dem Namen Sumar zu einen, aus dem Podemos in der Zwischenzeit ausgeschieden ist.

Einige Formationen wie Compromís, Chunta Aragonesista oder Mès Baleares, die sich politisch näher bei links-nationalistischen Positionen definieren, verbleiben zwar im Wahlbündnis Sumar, halten sich aber aus dem Prozess heraus und wollen ihre organisatorische Autonomie bewahren.

Beteiligt sind neben den bei Sumar eingeschriebenen Personen Organisationen mit starker Verankerung auf regionaler Ebene wie Catalunya en Comú, Más Madrid, Iniciativa del Pueblo Andaluz und Contigo Navarra sowie Parteien mit gesamtstaatlicher Ausdehnung Vereinigte Linke, Equo Verdes.

Im Organisationskonzept heißt es: „Sumar geht davon aus, eine sehr vielfältige interne institutionelle Architektur zu haben, die viele verschiedene Teile zusammenbringen muss und von unterschiedlichen Positionen in der organisatorischen Entwicklung ausgeht. Deshalb müssen wir vereinheitlichende Formeln vermeiden, deren einziges Ziel darin besteht, Komplexität auf Einheitlichkeit zu reduzieren. Vielmehr geht es um den Aufbau einer komplexen und umfassenden Organisation, deren Ziel die Suche nach einem breiten Konsens ist, der auf Respekt und Vertrauen beruht.“ (Titel 1, Absatz 12)

Im Vorfeld der Gründungsversammlung wurden bilaterale Abkommen mit Catalunya en Comú, Más Madrid und Iniciativa del Pueblo Andaluz geschlossen, die deren regionale Führerschaft anerkennen und die die in Sumar Eingeschriebenen regional faktisch in diese Organisationen integrieren.

Wie die Vereinigte Linke, die selbst aus vier verschiedenen Organisationen besteht, sinnvoll in Sumar eingebunden werden kann, scheint dagegen offen.

Bis zu der für den Herbst geplanten zweiten konstituierenden Versammlung sollen konkrete Lösungen gefunden werden.

Als Lehre aus dem gescheiterten Projekt Podemos will Sumar auf eine föderale Struktur und auf lokale und regionale Verankerung setzen.

Betont wird „die zentrale Bedeutung der kommunalen Politik und die Bedeutung der Rolle der Stadtviertel, des lokalen Handelns“. Aus dem beschlossenen Organisationskonzept: „Sumar entzieht sich dem hyperzentralen und vertikalen Organisationsmodell und setzt auf eine föderale Struktur, die unsere Vorstellung von der Plurinationalität auf die Organisation selbst überträgt.“ (Titel 1, Absatz 22)