Politische Berichte Nr.02/2024 (PDF)08
EU-Politik

Großer Erfolg: Das EU-Lieferkettengesetz kommt doch noch!

Rosemarie Steffens, Langen (Hessen)

01 Globale Rahmenvereinbarungen Rolf Gehring,

Die Initiative Lieferkettengesetz in Deutschland begrüßt die Verabschiedung der europäischen Lieferkettenrichtlinie, die nach Anstrengungen der belgischen EU-Ratspräsidentschaft zustande kam. „Der Paradigmenwechsel ist europaweit gelungen – weg von freiwilligen Selbstverpflichtungen, hin zu verbindlichen Sorgfaltspflichten. Das ist nicht nur für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen ein großer Erfolg, sondern auch für die deutsche und europäische Zivilgesellschaft, die unermüdlich für dieses Vorhaben gekämpft hat – und sich dabei erfolgreich einer schier übermächtigen Lobby von einflussreichen Industrie- und Unternehmensverbänden entgegengestellt hat.“1

Der letzte Kompromiss muss nun noch vom Europaparlament bestätigt werden, dies gilt als sicher.

Am 9. Februar 2024 war der EU-Richtlinienentwurf CSDDD (Corporate sustainability due diligence directive – Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit) vor allem an Deutschland und Italien gescheitert. Die FDP hatte argumentiert, dass Deutschland ein „riesiges Problem mit Wettbewerbsfähigkeit“ habe. Zusätzliche Bürokratie sei „genau falsch“. Als Beispiel nannte der stellvertretende FDP-Vorsitzende J. Vogel die Garantieübernahme der Mittelständler für indirekte Zulieferer. Die Befürchtung sei, dass sich viele Mittelständler wegen Haftungsrisiken und der „maximalen Bürokratie“ aus den Märkten zurückziehen würden.2

Die EU-Ratspräsidentschaft entwickelte einen Kompromiss, der nach langem Ringen am 14.3.2024 mit qualifizierter Mehrheit angenommen wurde. Deutschland enthielt sich auf Drängen der FDP, wurde diesmal aber überstimmt. Nun soll die EU-Richtlinie bis 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Ab 2027 fallen EU-Unternehmen ab 5000 Mitarbeiter und 1,5 Milliarden Euro Nettoumsatz unter den Geltungsbereich, stufenweise bis 2029 dann EU-Unternehmen ab 1000 Mitarbeitern (ursprünglich geplant ab 500) und mit einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 450 (vorher 150) Millionen Euro pro Jahr. Der Erfolg besteht vor allem darin, dass sich kein Unternehmen in der EU, das in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt, den Sorgfaltspflichten entziehen kann. Allerdings sind EU-weit durch den Kompromiss derzeit nur 5500, statt wie vorher geplant, 16000 Unternehmen betroffen.

In Deutschland gilt seit 2022 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das für die Kontrolle (Menschenrechte und Umweltschutz) unmittelbarer Zulieferer gilt. Dafür gab es zahlreiche Gewerkschaftsbeschlüsse und Aktivitäten von Gewerkschaften, Weltläden, dem BUND, dem CORA-Netzwerk, Menschenrechtsorganisationen und vielen anderen. Auch Besuche und Rundreisen von Gewerkschaftsvertretungen aus Bangladesh und Pakistan, in denen große Unglücke aufgrund fehlender Sicherheitsvorrichtungen passiert waren, stärkten die Forderung nach verpflichtender Verantwortungsübernahme durch international tätige Firmen.

Die europäische CSDDD-Richtlinie geht deutlich weiter als das deutsche Gesetz: Sie betrifft die gesamte „Aktivitätskette“, Tätigkeiten vor- und nachgelagerter Geschäftspartner im Zusammenhang mit der Herstellung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Planung, Beschaffung, Transport, Lagerung, Vertrieb und Entsorgung von Produkten … also auch mittelbare Lieferanten. Die Sorgfaltspflichten der EU-Lieferketten-Richtlinie umfassen sechs Schritte:

1. Integration der Sorgfaltspflichten in die Unternehmenspolitik und Managementsysteme. 2. Identifizierung und Bewertung nachteiliger Menschenrechts- und Umweltauswirkungen. 3. Verhinderung, Beendigung oder Minimierung tatsächlicher und potenzieller nachteiliger Menschenrechts- und Umweltauswirkungen. 4. Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen. 5. Kommunikation. 6. Bereitstellung von Abhilfemaßnahmen.

Es gibt ein Beschwerdeverfahren für die Betroffenen entlang der gesamten Aktivitätskette. Auch Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen, die in den jeweiligen Bereichen tätig sind, sollen es nutzen können.3

Das deutsche LkSG muss ab Mai/Juni 2026 „auf Stand“ gebracht werden.

Der Einführungstext der Richtlinie entkräftet Befürchtungen von BDI und BDA, Europas Wettbewerbsfähigkeit würde aufgrund der großen Bürokratie leiden.

„Gründe und Ziele des Vorschlags

… Da EU-Unternehmen, … mit einer beträchtlichen Zahl von Lieferanten in der Union und in Drittländern zusammenarbeiten und die Wertschöpfungsketten insgesamt sehr komplex sind, kann es für sie schwierig sein, Risiken im Zusammenhang mit der Wahrung der Menschenrechte oder mit Umweltauswirkungen in ihren Wertschöpfungsketten zu ermitteln und zu mindern. Die Ermittlung … wird einfacher werden, wenn mehr Unternehmen die Sorgfaltspflicht erfüllen und damit mehr Daten über negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt durch die Tätigkeit von Unternehmen zur Verfügung stehen.

Die EU-Wirtschaft steht über globale Wertschöpfungsketten in Verbindung mit Millionen von Arbeitnehmern in der ganzen Welt, was mit einer Verantwortung einhergeht, gegen negative Auswirkungen auf die Rechte dieser Arbeitnehmer vorzugehen. Die klare Forderung der Unionsbürgerinnen und -bürger, insbesondere im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas geäußert, dass die EU-Wirtschaft einen Beitrag zur Bekämpfung dieser und anderer negativer Auswirkungen leisten soll, spiegelt sich in den bestehenden oder geplanten nationalen Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit Menschenrechten und Umweltschutz, … in der Aufforderung zum Handeln des Europäischen Parlaments und des Rates wider. (…) (Diese haben sich) verpflichtet, eine Wirtschaft im Dienste der Menschen zu verwirklichen und den Rechtsrahmen für eine nachhaltige Unternehmensführung zu verbessern.“ 4

Lange schon wird auf internationaler Ebene gekämpft um die Verantwortungsübernahme von Unternehmen in Liefer- und Wertschöpfungsketten für Umweltschutz und Menschenrechte. Viele große Unglücke wegen fehlerhafter Arbeitssicherheitsvorrichtungen haben zu Bränden, Vergiftungen, frühem Tod und lebenslangen Beeinträchtigungen von Kindern und Erwachsenen geführt. In den 1980er Jahren setzten die Gewerkschaften auf globale Rahmenvereinbarungen als Instrument der gewerkschaftlichen Mitgestaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht (siehe Kasten). An dem jetzigen Richtlinienentwurf kritisieren die Gewerkschaften vor allem ihre fehlende direkte Beteiligung bei der Umsetzung der unternehmerischen Pflichten und den fehlenden Bezug auf europäische Rechtsgüter im Bereich der Arbeitnehmerrechte.

Mitte der 1990er Jahre befasste sich eine Arbeitsgruppe der UN-Menschenrechtskommission mit der Notwendigkeit eines internationalen Rechtsrahmens für transnationale Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und einem Beschwerdeverfahren gegenüber Unternehmen bei Normenverletzung. 2011 wurden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vorgelegt. Auf Initiative von Ecuador und Südafrika schuf der UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2014 eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines verbindlichen internationalen Abkommens über transnationale Unternehmen und Menschenrechte, unterstützt durch eine breite internationale Koalition von Nichtregierungsorganisationen.

1 Initiative Lieferkettengesetz. https://lieferkettengesetz.de; 2 NDR-Info-Interview mit Johannes Vogel, fdp.de; 3 Karl Würz, EU-Lieferketten-Richtlinie verabschiedet! 18.3.24, haufe.de; 4 Auszug aus dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937)

Abb: Banner, Gegen Gewinne ohne Gewissen hilft nur noch ein gesetzlicher Rahmen

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Globale Rahmenvereinbarungen

Rolf Gehring, Brüssel. Die internationale Arbeiterbewegung in ihrem Ringen um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen musste sich immer der Frage stellen, wie und auf welchen Ebenen soziale Interessen durchgesetzt, Rechtsansprüche verankert werden können. National wesentlich über Gesetze und Tarifverträge, hat sich international mit der ILO eine Institution und Regelungsebene entwickelt.

Neben der formalen Anerkennung von Rechten und ihrer Verankerung in Rechtsinstrumenten unterschiedlicher Qualität stellt sich aber auch die Frage, der Um- und Durchsetzung dieser Rechte. Hier wurde von den internationalen Gewerkschaftsverbänden in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts das Instrument der globalen Rahmenvereinbarungen entwickelt. In einer kürzlich veröffentlichten Studie geht die Hans-Böckler-Stiftung der Frage der Qualität und Perspektive dieser Form von Vereinbarungen nach. Zentrales Ziel der Vereinbarungen sind die Verankerung und Kontrolle von internationalen Arbeitsstandards, insbesondere der ILO-Kernarbeitsnormen.

Die Studie fand 185 solcher Vereinbarungen in 124 Unternehmen. Davon wurden 88% in Europa, also mit europäischen multinationalen Konzernen abgeschlossen. Dies dürfte auch mit dem Institut des Europäischen Betriebsrates zusammenhängen, der eine Struktur der Kommunikation aber auch eine (potenzielle) Verhandlungsebene mit dem Unternehmen schafft. Die Forscher sehen eine deutliche Spannbreite in der Qualität der globalen Rahmenabkommen, die von kurzen unverbindlichen Vereinbarungen ohne Verfahrensregeln und definierten Beteiligungsrechten bis hin zu detaillierten Abmachungen mit definierten Gremienstrukturen, Verfahrensregeln, Ressourcen für die Umsetzung, Kontrolle der Vereinbarung und den Umgang mit Verstößen und Vertragsverletzungen reichen. Den Vereinbarungen kommt durchaus eine Rolle bei der transnationalen Arbeitsregulierung zu und sie dürften damit auch die Debatte über die Verantwortung der Unternehmen in den Lieferketten angeregt und gestärkt haben. Demgegenüber dürfte neben einem erreichten Deckungsgrad die Durchsetzung von Lieferkettengesetzen allerdings auch ein Grund für die deutliche Abnahme von neuen Rahmenvereinbarungen seit etwa 2018 sein.

Quelle: Globale Rahmenabkommen: Regeln für Multinationale Konzerne. Böckler-Impuls 2/2024