Änderung der Richtlinie für europäische Betriebsräte
Rolf Gehring, Brüssel
Die Verabschiedung der Richtlinie zu europäischen Betriebsräten 1994 hat sowohl eine schwunghafte Beschäftigung der europäischen Gewerkschaften mit der grenzüberschreitenden Koordinierung von Belegschaftsinteressen und eine umfangreiche Bildungstätigkeit in Gang gesetzt als auch die Begegnung von Beschäftigten eines Unternehmens aus verschiedenen Ländern. Allerdings gelang es den Gewerkschaften nie, die potenziell möglichen EBRs auch einzurichten, Vereinbarungen mit den Unternehmen zu schließen. Die der Europäischen Kommission vorgelegte Untersuchung weist aus, dass etwa 3600 Unternehme EBR-fähig wären, tatsächlich aber nur etwa 1000 einen aktiven EBR haben.
Dies liegt allerdings nicht einfach an fehlender gewerkschaftlicher Durchsetzungskraft, sondern auch an der Architektur der EBR-Richtlinie, etwa den Anforderungen an die Einrichtung eines Verhandlungsgremiums und auch an Vermeidungsstrategien der Unternehmen. Eine erste Revision der Richtlinie 2009 hat diese Mängel nicht behoben. Vor diesem Hintergrund hatte das Europaparlament (EP) 2021 eine Resolution für eine weitere Revision verabschiedet. Diese Forderung wurde 2023 mit einem Legislativbericht erneuert, auf den die Europäische Kommission dann auch positiv reagierte. Der von ihr am 24. Januar dieses Jahres vorgelegte Textentwurf beinhaltet wesentliche Forderungen des Europaparlaments.
Zu nennen wären unter anderem:
- Der EBR ist an Umstrukturierungsmaßnahmen zu beteiligen, auch wenn nur ein Land betroffen ist; vorher mindestens zwei.
- Die Geschlechter sollen wo möglich mindestens mit je 40% im Gremium vertreten sein.
- Die Anhörung des EBR muss grundsätzlich vor einer endgültigen Entscheidung der Unternehmensleitung stattfinden.
- Finanzielle Rahmenbedingungen für die Tätigkeit des EBR, aber auch Verfahren bei Rechtstreitigkeiten einschließlich der Einbeziehung von Sachverständigen oder für Schulungsmaßnahmen müssen Teil der Vereinbarung sein.
- Alte Vereinbarungen müssen nachverhandelt werden.
- Die Kommission will ein stärkeres Monitoring bezüglich der Umsetzung der Richtlinie etablieren.
- Die neuen Anforderungen über die finanziellen und materiellen Ressourcen sollen grundsätzlich für alle bereits bestehenden EBR-Vereinbarungen, auch für die sogenannten freiwilligen Vereinbarungen aus der Zeit vor dem 22. September 1996 (Stichtag für die Umsetzung der Richtlinie von 1994) gelten. Diese alten Vereinbarungen, die viele Unternehmen noch vor Umsetzung der Richtlinie abgeschlossen hatten, unterliefen häufig die durch die Richtlinie gesetzten Standards (Bestandsgarantie). Sie müssen nun wohl angepasst oder neu verhandelt werden. Der Entwurf sieht hierfür eine Übergangsfrist von zwei Jahren vor.
Aktuell werden im Beschäftigungsausschuss des Parlaments die Positionen für die Verhandlungen mit Rat und Kommission abgestimmt, eine Reihe von EP-Vorschlägen wurden im Kommissionsentwurf nicht aufgegriffen. Die dortige Abstimmung ist für den 3. April terminiert, die im Plenum des EP Ende April. Der Standpunkt des Rates ist für den 20. Juni angekündigt. Die Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission werden also erst nach den Wahlen zum EP beginnen können.
Einen interessanten Überblick über die Historie der Richtlinie zu europäischen Betriebsräten hat das Europäische Parlament am 26. Januar 2024 auf seiner Website eingestellt. Link: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/ATAG/2023/739281/EPRS_ATA(2023)739281_DE.pdf