Politische Berichte Nr.02/2024 (PDF)26b
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Rechte Provokationen – demokratische Antworten – Redaktionsnotizen

Red. Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01 Gegen wachsenden Antisemitismus im Alltag Stellung beziehen! Rosemarie Steffens.
02 Go vote – keine Stimme für die AfD. Christiane Schneider.
03 Kirchen-Asyl soll gestärkt werden. Edda und Helmut Lechner.
04 Buchhinweis: Großonkel Pauls Geigenbogen. Rosemarie Steffens.

01

Gegen wachsenden Antisemitismus im Alltag Stellung beziehen!

Rosemarie Steffens. Der Zentralrat der Juden in Deutschland dokumentiert auf der Internetseite stop-repeating-stories.org, was Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem 7. Oktober verstärkt widerfährt. Ausgrenzung, Bedrohung, Diskriminierung. Er ruft dazu auf, sich antisemitischen Übergriffen tatkräftig entgegenzustellen. Verschiedene Beispiele werden dargestellt: Graffitis mit antisemitischem Inhalt, Beschädigungen von jüdischen Grabmalen sollen zuerst dokumentiert, dann dem Ordnungsamt/der Polizei gemeldet, dann Beratungsstellen bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung (RIAS – report-antisemitismus.de – oder OFEK.de) mitgeteilt werden. Partei zu ergreifen für antisemitisch beleidigte jüdische Menschen bedeutet beispielsweise im Sport, die rote Karte vom Schiedsrichter zu verlangen. In der Kneipe und im Bus gilt es, sich mit angegriffenen jüdischen Personen zu solidarisieren und Dritte um Hilfe zu bitten. Um mehr über Antisemitismus und seine Erscheinungsformen zu lernen und Beratungsmöglichkeiten zu nutzen, wird auf die Amadeu-Antonio-Stiftung, „Gesicht zeigen für ein weltoffenes Deutschland“, den Bundesverband RIAS e.V. und „Toleranzräume“ verwiesen.

www.stop-repeating-stories.org

02

Go vote – keine Stimme für die AfD.

Christiane Schneider. Die AfD tut sich in Großstädten schwer, auch in Hamburg. 2020 kam sie mit 5,1% gerade noch in die Bürgerschaft. Im Oktober 2023 erreichte sie in einer Umfrage für Hamburg 14%; im Februar sanken, nach Bekanntwerden der Correctiv-Recherchen und der mit 180 000 Teilnehmern größten Kundgebung, die es in Hamburg jemals gab, ihre Werte auf 9%.

Ende Januar bildete sich auf Einladung des Hamburger Bündnisses gegen Rechts ein breites Bündnis von derzeit über 80 Organisationen. Im Bündnis arbeiten antifaschistische und linke Gruppen, Gewerkschaften, Organisationen aus dem sozialen, dem Bildungs-, Kultur- und Sportbereich, Stadtteilvereine, christliche und islamische Religionsgemeinschaften, (wenige) migrantische Selbstorganisationen sowie zahlreiche Einzelpersonen solidarisch zusammen. Mit Blick auf die Europa- und Bezirksversammlungswahlen hat das Bündnis unter der Losung „Klare Kante gegen Rechts“ eine Kampagne auf den Weg gebracht für eine hohe Wahlbeteiligung und die Minimierung der AfD-Stimmen. Ein Manko allerdings ist, dass die EU und bei hoher AfD-Zustimmung der Schaden für die europäische Zusammenarbeit in der EU in den Diskussionen und Aktivitäten bisher keine Rolle spielen. Doch sind vielfältige und teils kreative Aktionen von einzelnen Gruppen oder dem Bündnis eingeleitet oder in Planung, Veranstaltungen, kleine Aktionen, eine mobilisierende Plakatserie, kritische Standbegleitung und ähnliches mehr. Eine Website ist jüngst an den Start gegangen, Social-Media-Aktivitäten finden Verbreitung und Zustimmung. In der Woche vor den Wahlen finden in drei sozialökonomisch benachteiligten Stadtteilen Konzerte bekannter örtlicher Bands statt. Für den 7. Juni wird, Stand heute, eine große gemeinsame Kundgebung unterschiedlicher Bündnisse vorbereitet; denn es gibt weitere Bündnisse, an denen Fridays for Future, Campact, Kultureinrichtungen, die Nordkirche, die DGB-Gewerkschaften (die in allen Bündnissen mitarbeiten) und Unternehmerverbände beteiligt sind. Um den äußerst vielfältigen Charakter deutlich zu machen, sollen drei Großdemonstrationen zur gemeinsamen Kundgebung führen. Diese wird zugleich Auftakt für einen bundesweiten Aktionstag am 8. Juni sein.

Abb: Logo, Neue Webseite unter: Neue Webseite: KKgR.eu

03

Kirchen-Asyl soll gestärkt werden.

Edda und Helmut Lechner. Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche hat am Freitag, 23. Februar 2024, beschlossen, das Kirchenasyl zu stärken. Eingebracht wurde der Antrag von Pastorin Luise Jarck-Albers aus Heide, Dithmarschen, im Auftrag für den synodalen Ausschuss „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Das Votum der Landessynode zum Thema Kirchenasyl hat folgenden Wortlaut: „Die Synode nimmt die versuchte Abschiebung afghanischer Geflüchteter aus dem Kirchenasyl im Dezember 2023 in Schwerin zum Anlass, die politisch Verantwortlichen dringend zu bitten, die kirchlichen Schutzräume zu achten. Die Synode dankt den Kirchengemeinden, die sich auch unter steigendem Druck für die Wahrung von Menschenrechten einsetzen und in besonderen Härtefällen Geflüchteten Schutz gewähren. Sie bittet alle Kirchengemeinden und Kirchenkreise, sich mit dem Thema Kirchenasyl auseinanderzusetzen. Die Synode bittet die Kirchenleitung, der Landes- und Bundespolitik gegenüber offensiv die synodale Haltung zu vertreten, wonach die steigende Zahl von Kirchenasylen unmittelbare Folge der dramatischen Notlagen vieler Geflüchteter und der vielfachen Rechtsbrüche in vielen Staaten an den EU-Außengrenzen ist.“ Die Entscheidung, Kirchenasyl zu gewähren, wird vom örtlichen Kirchengemeinderat beschlossen. Dabei geht die Kirchengemeinde von der berechtigten Annahme aus, dass es sich bei den betroffenen Geflüchteten jeweils um einen besonderen Härtefall handelt. Meist geht es um so genannte „Dublinfälle“, bei dem ein Asylantrag bereits in einem anderen europäischen Land gestellt wurde, bei einer Abschiebung dorthin aber Repressalien oder Gewalt für die geflüchteten Personen zu befürchten sind. Hier tritt das Kirchenasyl in Funktion. Der positive Ausgang eines Kirchenasyls bedeutet, dass jetzt Deutschland, also das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), für die Prüfung der Asylgründe zuständig wird. Ziel ist es, dadurch Zeit für eine Überprüfung durch das BAMF zu gewinnen und in dieser Zeit nicht abgeschoben wird. Natürlich hoffen die Kirchengemeinden, dass „ihr Fall“ einen gesicherten Aufenthalt in der BRD erreicht. Der Staat toleriert das Kirchenasyl, bei dem Kirchengemeinden Geflüchteten Wohnraum bieten und sie versorgen, obwohl er grundsätzlich von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen und abschieben könnte. Um gemeinsam zu guten humanitären Lösungen kommen zu können, wurde 2015 eine Verfahrensabsprache zwischen dem BAMF und den Kirchen getroffen. Mit Stand vom 19.2.2024 werden im Bereich der Nordkirche 32 Kirchenasyle für 72 Personen (47 Erwachsene und 25 Kinder) gewährt. Hauptherkunftsländer sind Afghanistan, Syrien, Irak und Iran.

04

Buchhinweis: Großonkel Pauls Geigenbogen.

Rosemarie Steffens. Das Buch erzählt die Familiengeschichte des ersten deutschen Sinto im Europäischen Parlament, Romeo Franz. Musik, Verfolgung und Flucht stehen im Mittelpunkt, ebenso die Zeit nach dem Nationalsozialismus, gezeichnet von Diskriminierung, Retraumatisierung – aber auch Erfolg. – Die Autorin Alexandra Senfft erforschte einen Teil seiner verloren gegangenen Familiengeschichte. Nur etwa zehn Prozent aller deutschen Sinti überlebten den NS-Völkermord. Ihr Leid ist viel zu lang geleugnet worden, erst 1982 wurde der Völkermord offiziell anerkannt. Anhand von Romeos Geschichte lassen sich einige Schicksale anschaulich darstellen. Viele seiner Angehörigen konnten sich trotz der schwierigen Erfahrungen ein neues Leben aufbauen. Auch Romeos eigener Lebensweg ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Romeo Franz, Alexandra Senft: Großonkel Pauls Geigenbogen, Goldmanns, 2024; 24.- €)

Abb: Cover Großonkel Pauls Geigenbogen