Politische Berichte Nr.02/2024 (PDF)27
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Kann die Brandmauer bröckeln?

Olaf Argens, Schmitten

Die Ausweitung des Einflusses der AfD in den Parlamenten und Gemeindevertretungen verschafft ihr nicht nur die Möglichkeit, Personalpolitik in den Verwaltungen zu betreiben. Perspektivisch ist auch die Ausrichtung und Unabhängigkeit der Gerichte gefährdet. Seit 2016 war es der AfD wiederholt gelungen, politisch genehme ehrenamtliche Richter:innen in die Landesverfassungsgerichte von Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Bayern wählen zu lassen. In Baden-Württemberg war 2018 die Kandidatin mit einfacher Mehrheit des Landesparlaments gewählt worden. In Bayern begünstigten erst kürzlich die Wahlvorschriften, denen zufolge der Landtag eine Liste, die die politische Zusammensetzung des Parlaments abbildet, en bloc wählt, die Wahl von AfD-Kandidat:innen.

Mit einer einfachen Bundestagsmehrheit ließe sich derzeit auch das Bundesverfassungsgericht weitreichend parteipolitisch instrumentalisieren. Mehr brauchte es auch in Polen und in den USA nicht. Sowohl die polnische PiS als auch die US-amerikanischen Republikaner konnten mit einer einfachen Parlamentsmehrheit durch – zumindest formal rechtmäßige – Maßnahmen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der obersten Gerichte untergraben. In der Bundesrepublik ließe sich das nachahmen. Das Grundgesetz enthält nur wenige Vorgaben zur Organisation des Bundesverfassungsgerichts: So sind die Zahl der Senate und Richter, die Amtszeit und die erforderliche Wahlmehrheit nicht verfassungsrechtlich vorgegeben. Richter:innen werden mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt. Das Gericht entscheidet selbständig und unabhängig über Beschwerden und Klagen. Dabei handelt es sich um Eckpfeiler der verfassungsgerichtlichen Unabhängigkeit. Geregelt ist das in einem einfachen Gesetz, dem Bundesverfassungsgerichtgsgesetz, dessen Änderung noch nicht einmal der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Eine einfache Mehrheit im Bundestag würde ausreichen, um die Eckpfeiler einzureißen. Die Gewaltenteilung wäre gefährdet.

Um einer solchen Entwicklung vorzubeugen, gibt es aktuell eine Reihe von Diskussionsbeiträgen1, die vorrangig darauf abzielen, konkrete Vorgaben für die Organisation und Besetzung des Bundesverfassungsgerichts in das Grundgesetz aufzunehmen. So gibt es unter anderem einen Gesetzentwurf der Bundesländer auf Grundlage von Vorarbeiten aus Nordrhein-Westfalen. Dem Entwurf war eine gemeinsame Erklärung der Vorsitzenden der Justizministerkonferenz aus Niedersachsen, Bayern und Hamburg vorausgegangen.

Diskutiert wird insbesondere, die Zahl der Senate und deren Größe, die zwölfjährige Amtszeit, das Verbot einer Wiederwahl und die Zweidrittelmehrheit zur Richterwahl im Grundgesetz zu verankern. Ergänzen sollte diese Konstitutionalisierung ein prozeduraler Schutz. Gemeint ist damit, dass in das Grundgesetz besondere Anforderungen an Erlass und Änderung der einfachgesetzlichen Vorschriften über das Gericht aufgenommen werden sollten – etwa eine qualifizierte anstelle der einfachen Mehrheit oder die Zustimmung des Bundesrates und/oder des Plenums des Bundesverfassungsgerichts. Als Vorbild dienen ähnliche verfassungsrechtliche Ansätze in Griechenland, Frankreich und Spanien.

Es gibt allerdings auch eine offensichtliche Kehrseite der vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen: Je höher die Mehrheitsanforderungen, je mehr Entscheidungen die Regelung also einer einfachen Mehrheit entzieht, desto mehr Blockademöglichkeiten hat die Minderheit. Politische Minderheiten erhalten die Möglichkeit, die Funktionsfähigkeit des Gerichts zu gefährden, indem sie notwendige Reformen verhindern oder die Wahl von Richtern blockieren. – Für eine Änderung des Grundgesetzes, die das Gericht besser schützt, bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Ob die zustande kommt, ist offen, da das Meinungsbild in der Fraktion der CDU/CSU, die dafür benötigt wird, nicht eindeutig ist.

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