Politische Berichte Nr.02/2024 (PDF)28b
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

„Rechtgläubig“ — oder „rechts-gläubig“? – Vom Umgang mit Rechtsradikalen in den Kirchen

Edda und Helmut Lechner, Norderstedt

01 dok Erklärung der deutschen Bischöfe (Augsburg, Februar 2024, Auszüge)

Auf ihrer Frühjahrsvollversammlung Ende Februar 2024 in Augsburg befassten sich die katholischen Bischöfe Deutschlands mit dem Thema Demokratie und Frieden. Abschließend veröffentlichten sie eine Erklärung unter dem Titel: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. Besonders erfreulich: dieser Erklärung hat sich die „Evangelische Kirche in Deutschland“ (EKD) sofort angeschlossen. Damit haben die beiden großen Kirchen den völkischen Nationalismus deutlich verurteilt und dabei auch die rechtspopulistische AfD klar benannt. Das ist mehr als die kirchliche und politische Öffentlichkeit es in den letzten Jahren von ihnen gewohnt war. Es ist wert, aus dem verabschiedeten Text zunächst einmal ausführlich zu zitieren (siehe Kasten, Seite 24).

Gegen Traditionalismus — für Menschenrechte

Gemeinhin fordert der christliche Glaube der Katholischen und Evangelischen Kirche heute zu universaler Nächstenliebe und Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Unrecht auf.

Danach stünde sein Menschenbild, die „Gottebenbildlichkeit“ aller Menschen, im Widerspruch zu allen rechten Ideologien, deren Kern die fundamentale Ungleichwertigkeit von Menschen ist. Vieles von dem, was heute gängige Lehre der Kirchen ist, hätte allerdings vor noch gar nicht so langer Zeit als pure Ketzerei gegolten. Erst in neuester Zeit hat das „Zweite Vatikanische Konzil“ (1962 1965) sich darauf festgelegt, dass die international von den Staatengemeinschaften verabschiedeten Menschenrechte auch für katholische Christen verbindlich sind. Dazu gehört auch ihre grundsätzliche Akzeptanz von Demokratie und Religionsfreiheit.

Ein Blick in zweitausend Jahre kirchlicher und theologischer Auslegungsgeschichte der Bibel zeigt uns aber auch ganz andere „rechtgläubige“ Tendenzen. So war zum Beispiel das evangelische wie katholische Glaubensspektrum noch im 19. Jahrhundert vom Antimodernismus geprägt. Die offizielle Katholische Kirche legte damals in dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870) fest, dass ein religiöser Traditionalismus mit rechten Positionen die Kirche gegen Aufklärung, den Sozialismus und Religionsfreiheit stärken sollte.

Hier finden heute Personen und Gruppen mit geschlossen rechtsextremem Weltbild ihre religiösen Anknüpfungspunkte. Zu ihnen gehören die vielen neuen evangelikalen und pfingstlerisch-fundamentalistischen Bewegungen, die in erster Linie die Forderung nach Entpolitisierung der kirchlichen Lehre, bzw. des Evangeliums, stellen und sich dabei auf liturgische Ästhetik und eine streng auf das Persönliche begrenzte Individualmoral beschränken. Sodann in der ausgeprägten Betonung von als gottgewollt betrachteten Hierarchien und aus der biblischen Schöpfungsordnung abgeleiteten Unterschieden zwischen Menschen. Und drittens in der exklusiven Stellung der traditionellen Familie mit ihrer aus der Schöpfung vorgegebenen geschlechtsspezifischen Rollenverteilung. In den entsprechenden wirtschaftspolitischen Konzepten ist folgerichtig die Familie als einzig vorgesehene Sozialabsicherung vorgesehen.

Für die Mitglieder und Mitläufer rechtsextremer politischer Gruppen und Parteien führt die Überzeugung, der eigene Glaube sei der einzig wahre, konsequent zu einer Form der Religiosität, die unumwunden in allem „Anderen“ etwas graduell Schlechteres und Minderes sehen. Die andere Konfession und Religion werden als „fremd“ und mit dem Eigenen unvereinbar verstanden. Abgewertet werden mit ihr die Menschen, die eine solche Lebensweise praktizieren, sie sind „Ungläubige“ und „Sünder“, die es zu bekämpfen gilt. Die Haltung, „den Sünder zu lieben, aber die Sünde zu hassen“, führt gerade nicht dazu, Menschen, die anders leben, als gleichberechtigte GesprächspartnerInnen in einem Streit der Überzeugungen zu akzeptieren. Andersdenkende – das können neben dem islamischen Nachbarn denn auch mal Bischöfe und sogar Papst Franziskus sein – werden nicht nur für einzelne Entscheidungen kritisiert, sondern als Person verbal abgewertet und möglichst lächerlich gemacht.

Wie umgehen mit den Rechtsradikalen?

Mehr und mehr tritt daher bei den offiziellen Kirchenleitungen angesichts der Wahlerfolge und hohen Umfragewerte der AfD das Problem auf, wie sie mit rechtsradikalen AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen umgehen sollen. Dürfen diese AfD-affinen Leute etwa Ämter in der Kirche erhalten, bzw. behalten? Bedarf es gar eines (neuen) „Radikalenerlasses“ im Raum der Kirche?

Diese Frage stellt der evangelische Theologe Prof. Dr. Michael Haspel, von der Universität Erfurt, in einem Artikel der Zeitschrift „Feinschwarz“ vom Oktober 2023. „Was bedeutet es für die Kirche, wenn … 30-50% der Menschen sowohl im gesellschaftlichen Umfeld als auch in den Gemeinden rechtspopulistische und rechtsextremistische Einstellungen haben, die den christlichen Grundüberzeugungen widersprechen?

Kann man mit fremden-, frauen-, demokratie- und rechtsstaatsfeindlichen Menschen überhaupt noch Kirche sein? Das Erstaunliche ist, dass darüber in den Kirchen weitgehend geschwiegen wird. Die Frage des braunen Elefanten in der Kirche – über den man nicht spricht – ist also nicht nur ein politisches und ethisches Problem …“ Aus dieser theologischen Analyse folgert er für das alltägliche, praktische Leben der Christen in ihren Gemeinden: „Nach dieser … Problemanzeige stellt sich natürlich … die Frage, was man tun kann und was zu tun sei. Und die ist gar nicht trivial. Denn die Gemeinden und Kirchen müssen, wenn sie dieses Thema offensiv oder zumindest offen angehen, damit rechnen, dass es erhebliche Verwerfungen und Austritte, vielleicht sogar Abspaltungen geben wird. Schon bei dem klaren kirchlichen Bekenntnis zur Aufnahme von Geflüchteten 2015 und zur Seenotrettung von Migrant:innen gab es Austritte und Abmeldungen von Jugendlichen von der Konfirmationsvorbereitung (worüber auch nicht gesprochen wird). Vor Ort ist es oft schlicht so, dass die Pfarrpersonen es sich nicht leisten können, Gemeindeglieder oder gar Kirchenälteste zu verlieren und deshalb wegschauen, schweigen oder nur halbherzig reagieren“… Aber: „Nichtstun ist keine Option.“

Der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, J. Unterländer, betont: „Wir teilen die Auffassung, dass die Ursachen für das Erstarken des Rechtsextremismus in der Gesellschaft im Sinne des christlichen Menschenbildes und der sozialen Gerechtigkeit angegangen werden müssen.“ In der Diözese Würzburg heißt es in einer Passage bereits sehr konkret aus dem Jahr 2021, dass keine Verantwortung in der katholischen Kirche übernehmen kann, wer „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenrechtswidrige Auffassungen öffentlich kundgibt oder vertritt oder Mitglied von Organisationen und Parteien ist oder diese unterstützt, die diese Auffassungen vertreten“.

Bisher habe man diese Regelung nicht anwenden müssen, sagt Bistumssprecher Bernhard Schweßinger. Die eigentliche Auseinandersetzung steht mithin den Kirchen noch bevor.

Zu guter Letzt wurde bekannt: Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland hat einem ihrer Pfarrer, der bei der anstehenden Kommunalwahl auf einer AfD-Liste kandidiert, die Beauftragung entzogen. Und: die AfD hat sich über das Bischofswort ganz offiziell beim Vatikan beschwert. Man darf gespannt bleiben.

Quellen: www.katholisch.de/artikel/52071-kirchenrechtler-schueller-will-katholischen-radikalenerlass • https://www.feinschwarz.net/der-braune-elefant-kirche-im-rechtspopulismus/ • Isabelle Ley, Tine Stein, Georg Essen, Hrsg. „Semper Reformanda; Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften auf dem Prüfstand“, Herder, 2023

Abb: Das Zweite Vatikanische Konzil (1963 bis 1965) öffnete die Kirche für Menschenrechte, Religionsfreiheit und Demokratie

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dok Erklärung der deutschen Bischöfe (Augsburg, Februar 2024, Auszüge)

„Wir sehen mit großer Sorge, dass sich radikales Denken verstärkt und sogar zum Hass auf Mitmenschen wird – vor allem aufgrund ihrer Religion, Herkunft oder Hautfarbe, wegen des Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität.

Gegenwärtig stellt der Rechtsextremismus die größte Bedrohung extremistischer Art für unser Land und für Europa dar. Der Rechtsextremismus behauptet die Existenz von Völkern, die angeblich in ihrem ‚Wesen‘ und in den kulturellen Lebensgestalten scharf von den anderen Völkern abgegrenzt werden können. Man spricht von ‚natürlichen‘ und ‚künstlichen‘ Nationen. Das Volk ist für diese Ideologie eine Abstammungs-, letztlich eine Blutsgemeinschaft. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser Zugehörigkeit und kultureller Prägung wird von diesem Denken deshalb prinzipiell infrage gestellt, wenn nicht gar verworfen. Das Volk wird als ‚Ethnos‘ gedacht, als Gemeinschaft der ethnisch und kulturell Gleichen oder Ähnlichen. Dies ist die Ideologie des völkischen Nationalismus. Nach den Gräueln des Nationalsozialismus versteht unser Grundgesetz das Volk hingegen aus gutem Grund als ‚Demos‘, d. h. als Gemeinschaft der Gleichberechtigen, die auf der Grundlage der Menschen-und Bürgerrechte unsere Gesellschaft gemeinsam aufbauen und gestalten.

Für die Kirche aber ist klar: Jeder Mensch besitzt eine unantastbare und unverfügbare Würde. Sie gründet in der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und ist die Basis der Menschenrechte. So ist die Menschenwürde der Ausgangs- und Zielpunkt des christlichen Menschenbildes. Dieses Denken hat auch in unserer Verfassung seinen Niederschlag gefunden.

Nach mehreren Radikalisierungsschüben dominiert inzwischen vor allem in der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) eine völkisch-nationalistische Gesinnung. Die AfD changiert zwischen einem echten Rechtsextremismus und einem Rechtspopulismus, der weniger radikal und grundsätzlich daherkommt. Der Rechtspopulismus ist der schillernde Rand des Rechtsextremismus. Leisten wir alle Widerstand, wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten!“